Globaler Klimastreik: Fridays-Protest größer als erwartet
Die Klimabewegung ist zwar geschrumpft, aber mancherorts kamen doch deutlich mehr Menschen als erwartet. Stimmen von Protest-Standorten in Europa.
Die Zeiten, in denen Thunberg wie eingangs vor vier Jahren allein vor dem schwedischen Parlament saß, sind vorbei. Die Zeiten, in denen Fridays for Future wie 2019 Millionen von Menschen auf die Straße trieb, allerdings auch – und das trotz Rekordsommer mit Waldbränden, Dürre und leeren Flussbetten.
Für den Freitag hat Fridays for Future zum globalen Streik aufgerufen, die elfte weltweite Aktion der Bewegung. Auch wenn die Proteste für eine ausreichende Klimapolitik nicht mehr so groß sind wie einst, kamen teils mehr Menschen als erwartet. In Berlin hatten die Veranstalter zum Beispiel nur 8.000 Klimastreikende angemeldet. Bei der Polizei war nachmittags von 22.000 die Rede, die auf dem Invalidenplatz vor dem Bundeswirtschaftsministerium zusammengekommen seien.
Das wäre ungefähr ein Zehntel derer, die 2019 in der Hauptstadt protestierten, als über ganz Deutschland verteilt sogar 1,4 Millionen Menschen auf der Straße waren. Die Aktivistin Luisa Neubauer sprach am Nachmittag auf Twitter aber sogar von 36.000 demonstrierenden Berliner:innen.
Forderung: 100 Milliarden Euro fürs Klima
Tagelang hatten hier zuvor die Aktivist*innen von Extinction Rebellion auf dem Demo-Platz in Zelten kampiert. Nun war Fridays for Future dran. „100 Milliarden für internationale Ausgleichszahlungen, für unsere Generation und für alle, die nach uns kommen“, forderte Maya Winkler, die Sprecherin der Gruppe. Investiert werden solle das Geld etwa in eine „Energiewende im Rekordtempo“ und „ein Null-Euro-Ticket“. Die Idee: langfristige Schutzmaßnahmen anstelle von kurzfristigen Entlastungen.
Es ist eine der zentralen Forderungen von Fridays for Future in Deutschland: Ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, wie es die Bundesregierung auch für die Bundeswehr eingerichtet hat. Ein breites Bündnis hatte den Klimastreik in Berlin unterstützt. Greenpeace, WWF und Amnesty International hatten Stände aufgebaut.
Bundeskanzler ging lieber zur Bergbau-Gewerkschaft
Gar nicht nur jugendlich waren die Proteste in Hannover. Nach und nach strömten am frühen Nachmittag auch hier die Klimabewegten zusammen. In der niedersächsischen Landeshauptstadt folgten mehrere Tausend dem Aufruf. Jung und Alt sammelten sich mit Fahrrädern und Schildern am Königsworther Platz. Schüler*innen waren augenscheinlich in der Unterzahl.
„Es ist 2022, die Klimakatastrophe ist jetzt“, rief eine junge Rednerin von der Bühne. „Nur wenn wir die nächsten Jahre den Druck erhöhen, können wir dafür sorgen, dass die am stärksten von der Krise Betroffenen echte Klimagerechtigkeit erfahren“, schallte es über den Platz. Eine Kundgebung, die sich eher wie ein gemütliches Get-together als wie wütender Protest anfühlte.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach das aber offenbar nicht an. Er würdigte die Demo kaum eines Blickes, als er gegenüber der Auftaktkundgebung aus seiner Limousine stieg, um bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie zu sprechen.
Ärger über Lindner und Scholz in Hamburg
In Hamburg hatten die Klimaaktivist:innen unter anderem den lokalen Klimaforscher Mojib Latif auf die Bühne eingeladen, dem die tausenden Protestierenden Applaus schenkten. Wie viele es genau waren und ob ihre Zahl an die optimistisch angemeldeten 20.000 heranreichte, gaben weder Polizei noch Fridays for Future bis Redaktionsschluss bekannt.
Neben der Klimakrise spielten der Krieg in der Ukraine und die Proteste im Iran eine Rolle: „Hoch die internationale Solidarität!“, skandierten die Protestierenden. „Ich komme hier nicht mit Wut im Bauch hin, sondern mit einem Gefühl des Zusammenhalts“, sagte Demonstrant Max. Er verlieh selbstgebastelte Schilder an andere Demonstrant*innen.
Auf der Bühne wurden derweil vor allem Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeskanzler Scholz angegriffen. Lindners Aussage zur angeblichen „Gratismentalität“ im Zuge des 9-Euro-Tickets zog den Zorn der Protestierenden auf sich. Und Scholz würde „die Sorgen um die Klimakrise und die Sorgen um Energiepreise gegeneinander ausspielen.“
Eine Sprecherin hatte zudem im Vorhinein gegenüber dem Hamburger Senat geklagt, dass das Ziel, Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, viel zu unambitioniert sei. Damit liege der Stadtstaat schließlich noch hinter der Zielvorgabe von ganz Deutschland, nämlich 2045.
Noch ein Stück weiter im Norden, nämlich im Nachbarstaat Dänemark, hatten die Proteste derweil einen aktuellen politischen Aufhänger: Es stehen Parlamentswahlen an.
Protestierende in Dänemark fordern Klimawahl
Am Freitag um 12 Uhr füllte sich der Platz vor dem dänischen Parlament in Kopenhagen schnell mit jungen Menschen, die ihre Schlachtrufe und Slogans auf alles Mögliche, von Transparenten bis hin zu zerschnittenen Kartons, aufschrieben. „Es gibt keinen Planeten B“ oder „Wir fordern eine Klimawahl“ hieß es da. Nach Angaben von Nomi Slotorup, Aktivistin und Pressekoordinatorin von Fridays for Future Denmark, beteiligten sich 20 Schulen in und um Kopenhagen an dem Streik und dem Protest.
Die Botschaft an die Menschen im Inneren des Parlamentsgebäudes war klar. Angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen in Dänemark nutzten die protestierenden Jugendlichen die Gelegenheit, um eine grüne Wahl zu fordern, die sich auf die Klimakrise konzentriert.
„Für alle von uns, die zu jung sind, um wählen zu gehen, ist dies eine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen“, sagte Nomi Slotorup, 16 Jahre alt. Während des Protests gab es eine Schweigeminute zum Gedenken an alle, die derzeit unter der Klimakrise leiden. Und eine Minute Lärm, um die Politiker auf den Protest aufmerksam zu machen.
Gegen fossile Multis in Österreich
Auch in Österreich geht man hart mit der Politik ins Gericht. Reinhard Steurer, Klimapolitikexperte an der Universität für Bodenkultur Wien, hatte schon in der Tageszeitung Der Standard angekündigt, mit Fridays for Future auf die Straße zu gehen – denn die Politik biete nur Scheinlösungen: „Das trifft vor allem auf Großparteien zu. Damit können sie bis heute Wahlen gewinnen, während sich technische Entwicklungen von alleine viel zu langsam durchsetzen und die Klimakrise weiter eskaliert.“ Österreich habe seine Emissionen seit 1990 kaum verringert, bis vor vier Jahren sogar gesteigert.
Die Aktivist:innen in Österreich demonstrierten unter dem globalen Fridays-forFuture-Motto „People Not Profit“ (zu deutsch „Menschen statt Profite“), forderten aber zusätzlich „Energiewende für alle“. In Wien gipfelte die Demo um 16:30 am Heldenplatz. Protestiert wurde auch in weiteren sechs Landeshauptstädten.
Jasmin Duregger von Greenpeace Österreich gab sich kämpferisch: „Der schamlosen Gier der fossilen Multis muss ein Riegel vorgeschoben werden“, sagte die Aktivistin. „Es ist absurd, dass Kriegsgewinnler-Konzerne wie die OMV Milliarden scheffeln, während die Menschen nicht mehr wissen, wie sie ihre Gasrechnung bezahlen sollen. Diese Rekordgewinne gehören an die Bevölkerung rückverteilt sowie in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert.“
Merle Weber, Sprecherin der Südwind-Agentur für Klimagerechtigkeit, nahm die Flutkatastrophe in Pakistan zum Anlass, um die globale Dimension der Krise zu thematisieren: „Die Klimakrise ist eine Krise der globalen Gerechtigkeit. Ausgerechnet junge Menschen und Menschen im Globalen Süden sind übermäßig betroffen von der jahrzehntelangen klimapolitischen Untätigkeit im Globalen Norden. Die Politik muss gerade diesen Stimmen viel mehr Beachtung schenken.“
Spanien: Demokratisierung der Energieversorgung
An vielen Protesten war die Energiekrise durch Russlands Krieg gegen die Ukraine Thema. Zum Beispiel in Spanien: „Es macht null Sinn, das russische Gas durch Gas anderer Herkunft zu ersetzen“, beschwerte sich Pablo Sallabera, Sprecher der „Jugend für das Klima“ in Madrid. Das würde nichts zum Klimaschutz beitragen und einzig und allein die großen Energieversorger begünstigen.
Der spanische Ableger von Fridays for Future verlangte deshalb beim Klimastreik von der spanischen Linksregierung „einen Modellwandel“, soll heißen „einen entschlossenen Schritt Richtung Demokratisierung der Energieversorgung“.
Statt dem von Deutschland und Spanien unterstützten Bau der Gaspipeline MidCat über die Pyrenäen – vom ostspanischen Katalonien nach Südfrankreich – wollen die spanischen Klimaschützer einen „schnellen Ausbau des Eigenkonsums, Energiegemeinschaften und Energiesparen unter sozialen Richtlinien“. Jugend für das Klima rief neben Madrid in 20 Provinzhauptstädten zu Protestaktionen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“