Forschungszentrum Desy in Hamburg: Blick ins Innerste der Welt

Am Desy wird mit riesigen Forschungsmaschinen die Natur der Materie untersucht. Hier können Moleküle fotografiert und Reaktionen gefilmt werden.

Helmut Dosch, Vorsitzender des DESY-Direktoriums, Heshmat Noei, Forscherin am CXNS, und Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesbildungsministerin, betrachten während der Eröffnung des Zentrums für Röntgen- und Nanoforschung CXNS auf dem Gelände von DESY ein Röntgenfotoemissionsspektrometer im Ultrahochvakuumlabor.

Eröffnung des Zentrums für Röntgen- und Nanoforschung CXNS auf dem Gelände von DESY im April 2022 Foto: dpa / Georg Wendt

HAMBURG taz | Goethes Doktor Faust war auf dem Holzweg. Aus lauter Verzweiflung hat er sich im Drama der Magie ergeben, auf dass er „nicht mehr mit saurem Schweiß / Zu sagen brauche, was ich nicht weiß; daß ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält, / schau alle Wirkenskraft und Samen und tu nicht mehr in Worten kramen“.

Ex negativo ist damit ziemlich gut beschrieben, was das Deutsche Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg betreibt. Das riesige Wissenschaftsareal neben und untern dem Volksparkstadion gehört zu den Orten auf der Welt, auf denen Physikgeschichte geschrieben worden ist. Dabei ist die Schau auf „alle Wirkenskraft und Samen“ gerade mit viel Schweiß und ganz ohne Zauberei gelungen – auch wenn so manches dabei magisch wirkt.

Um ins Innerste der Welt blicken zu können, gibt es im Desy kilometerlange Ring- und Längstunnel, in denen subatomare Teilchen auf annähernd Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und mit Energie aufgeladen werden können. Die Tunnel sind so groß, dass U-Bahnen darin fahren könnten. 3.000 Wissenschaftler aus dem In- und Ausland machen hier Experimente und auch die Industrie bucht die Anlagen, wenn es etwa darum geht, besondere Materialeigenschaften zu prüfen.

Der erste, nur 300 Meter lange Beschleunigerring wurde von 1959 bis 1964 gebaut und kostete 100 Millionen Mark. Die junge Bundesrepublik suchte damit Anschluss an die internationale Spitzenforschung, in der sich zu dieser Zeit aufregende Dinge taten. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts hatten sich die Physiker darauf verständigt, dass die Materie aus Atomen und diese wiederum aus einen Kern von Protonen und Neutronen sowie Elektronen besteht, die auf bestimmten Energieniveaus um diesen Kern kreisen.

Elektronen auf Kollisionskurs

In den 40er und 50er Jahren stellte sich heraus, dass dieses einfache Weltbild nicht zu halten war. Die Forscher machten sich auf die Suche nach weiteren Teilchen und die Deutschen wollten mitspielen. Das ursprüngliche, namensgebnde Synchrotron beschleunigte Elektronen, die dann abgelenkt und auf ein Ziel geschossen wurden. Dabei entsanden neue Teilchen wie das Antiproton, das Antiteilchen des Wasserstoffkerns, dessen Existenz bis dato nur theoretisch bekannt war.

Bald schon reichten den Physikern die Erkenntnismöglichkeiten des Desy nicht mehr aus. Sie planten einen Speicherring, in dem die Elektronen und andere Teilen dauerhaft auf Trab gehalten und mit viel größerer Energie auf Kollisionskurs gebracht werden konnten. „Doris“, so der Name des Speicherrings, half zu beweisen, dass sich Protonen und Neutronen aus weiteren kleinen Teilchen zusammensetzen, sogenannten Quarks.

Doris war noch nicht fertig, da planten die Wissenschaftler den 2.300 Meter langen Ring „Petra“, der weitere Kurven aufwies, so dass sich die Elektronen leichter auf ihrer Bahn halten ließen. In diesem Ring gelang in Hamburg zum ersten Mal der Nachweis des Gluons, des Klebeteilchens, das die Quarks zusammenhält.

In den runden Teilchenbeschleunigern trat ein zunächst bloß störendere Effekt auf: Die Elektronen gaben in den Kurven Energie ab, die Synchrotronstrahlung. Schnell kamen die Forscher auf den Gedanken, dass sich dieses Röntgenlicht für Forschungszwecke verwenden ließe. Die neueste Ausbaustufe des Teilchenbescheunigers wird deshalb als Lichtquelle benutzt, mit der sich winzige Eiweißkristalle oder feinstes Material für Computer-Festplatten quasi fotografieren lässt.

Der gleiche Effekt wird am Desy für Freie-Elektronen-Laser genutzt. Dabei werden geradeaus beschleunigte Elektronen von Magneten auf einen Schleuderkursgebracht, bei dem sie Licht emittieren. Das wird so koordiniert, dass sehr intensive Laserblitze in der Größenordnung einer Billionstel Sekunde entstehen. Damit das klappt, werden die Elektronen widerstandslos auf supraleitenden Bahnen beschleunigt, die auf minus 271 Grad Celsius gekühlt werden müssen.

Zwei dieser Anlagen gibt es heute, die jüngste, den European Xfel, seit 2015. Wegen der kurzen Wellenlänge und der Kürze der Blitze lässt sich damit nicht nur die Struktur von Molekülen erfassen sondern auch wie sie im Zeitablauf miteinander reagieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.