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Kein Job für Feiglinge

Die Zeit der Grundsatzdebatten ist in Niedersachsens Schulpolitik vorbei. Der Lehrermangel überschattet alles andere

Bemüht: Niedersachsens Bildungsminister Grant-Hendrik Tonne (SPD) liest aus einem zweisprachigen Kinderbuch vor Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Von Nadine Conti

„Schule ist das Letzte. Wenn sie ausfällt“, plakatiert die CDU in Niedersachsen. Das ist auch schon der originellste Spruch. Ansonsten steht irgendwas mit guter Bildung und Digitalem auf den Plakaten, das so austauschbar ist, dass man es sich weder merken noch zuordnen kann.

Bemerkenswert, wie klein dieses Thema geworden ist. Die FDP hatte kurzzeitig den Versuch unternommen, den Erhalt der Förderschule Lernen zum Wahlkampfthema zu machen – mit einem Volksbegehren. Doch die Unterschriftensammlung dümpelt vor sich hin, das Thema ist kaum noch präsent.

Mit dem „Elektriker, der mit den Schü­le­r:in­nen Experimente macht“, lieferte die Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg kurz eine Steilvorlage. Die stammte aus einem Interview, das die Grüne dem NDR gegeben hat. Darin sagte sie, man solle den Schulen doch das Geld zur Verfügung stellen, wenn Lehrerstellen nicht besetzt würden. Dann könnten die selbst entscheiden, welche Entlastungskräfte sie gerade am dringendsten brauchen könnten.

Unter den Beispielen, die sie nannte, war auch der Elektriker. Und natürlich schaffte es am Ende nur der in die Schlagzeilen. „Grüne will Elektriker unterrichten lassen“. Mit den absehbaren Folgen: In den sozialen Medien wurde höhnisch gefragt, ob sie eigentlich nicht wisse, dass Handwerker Mangelware sind. In Lehrerforen echauffierte man sich darüber, ob denn eigentlich demnächst auch jeder Stromkabel verlegen dürfe, wenn doch auch jeder Kinder unterrichten könne.

In Wirklichkeit gehört der Lehrermangel nicht nur in Niedersachsen zu den dringendsten Problemen – für den niemand so wirklich eine Lösung hat.

Vorbei sind die Zeiten der großen Grundsatzdebatten über das ein-, zwei-, dreigliedrige Schulsystem, über Gesamtschulen gegen Gymnasien und Oberschulen – auch wenn die alten Fronten noch in den Wahlprogrammen stehen. Grüne und SPD werben unverdrossen weiter fürs längere gemeinsame Lernen, CDU und FDP fürs frühzeitige Aussortieren – alles wie gehabt.

Im wirklichen Leben geht es vor allem darum, dass Unterricht überhaupt noch stattfindet. 7.000 Lehrer fehlen eigentlich, hat die Gewerkschaft GEW erst zum Schuljahresbeginn wieder ausgerechnet – aber natürlich hat das Land nur einen Bruchteil dieser Stellen ausgeschrieben. Und selbst von denen konnten nur 80 Prozent besetzt werden.

Kein Wunder, wie die GEW genüsslich vorrechnet: 2.300 Stellen waren ausgeschrieben, aber nur 1.470 angehende Lehrkräfte haben zu diesem Schuljahr ihr Referendariat abgeschlossen. Das Land bildet unter Bedarf aus und oft auch in den falschen Fächern und für die falschen Schulformen – an Deutsch- und Englischlehrern fürs Gymnasium gibt es keinen Mangel, an den Haupt- und Realschulen, wo viele Lehrer auch noch an Grundschulen abgeordnet wurden, nehmen die Unterrichtsausfälle dramatische Züge an.

Plötzlich kommt an den Schulen alles zusammen: Ein endloser Sanierungsstau, der auch den angestrebten Ganztagsausbau blockiert, die gestiegenen Geburtenzahlen der letzten Jahre, die zusätzlichen Schüler aus der Ukraine, die große Pensionierungswelle der Babyboomer. Und natürlich ist angesichts der Ausbildungsdauer da nicht so schnell für Abhilfe zu sorgen.

Möglicherweise wäre es also tatsächlich hilfreich, zunächst einmal dafür zu sorgen, dass die vorhandenen Lehrer sich tatsächlich aufs Unterrichten konzentrieren statt auf alle möglichen Verwaltungs- und Koordinierungsaufgaben (darunter auch die Verwaltung der digitalen Geräte und Netze).

Das haben auch alle Parteien in unterschiedlichen Formen in ihren Programmen stehen. Genauso wie eine stufenweise Angleichung der Bezahlung auf Besoldungsgruppe A13 für alle, multiprofessionelle Teams, mehr Sonderpädagogen, mehr Sozialarbeiter und Schulpsychologen, Verwaltungshilfekräfte, IT-Administratoren – man unterscheidet sich allenfalls in Nuancen.

75 Prozent sind mit der Schulpolitik unzufrieden, besonders verheerend sind die Werte bei Frauen und jungen Menschen

Doch den betroffenen Eltern fehlt der Glaube: 75 Prozent sind mit der Schulpolitik unzufrieden, hat eine Forsa-Umfrage der niedersächsischen Zeitungsverlage ergeben, besonders verheerend sind die Werte bei Frauen und jungen Menschen.

Das betrifft vor allem die beiden Großparteien: Die SPD, die nun schon seit zehn Jahren dieses Ressort verantwortet, aber auch die CDU, deren Finanzminister eine deutlichere Ausweitung des Etats blockiert hat. Ausgaben und Neueinstellungen sind zwar deutlich gestiegen – aber eben nicht weit genug.

Ein kurz vor der Wahl noch rasch aufgelegter Lehrkräftegewinnungspakt von Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) – mit Prämien für die wenig begehrten Stellen und weiteren Erleichterungen für Quereinsteiger – hilft auch kaum. Zumal Lehrerausbilder kritisierten, Tonne mache, hübsch verbrämt als „früherer Praxisbezug“, Abstriche bei der Qualität der Ausbildung und ziele vor allem darauf, noch mehr Leute noch schneller ins kalte Wasser zu werfen.

Vize-Ministerpräsident Bernd Althusmann (CDU), früher selbst Kultusminister, muss sich zudem vorwerfen lassen, als Wirtschaftsminister zumindest zum Teil für die vermurkste Digitalisierung mitverantwortlich zu sein. Gerade erst hat der Landesrechnungshof moniert, dass in vielen Schulen nicht einmal die Netzanbindung gut genug ist – die zuständigen Kommunen bräuchten außerdem mehr Geld, um auch nur den mickrigen Status quo langfristig aufrecht erhalten zu können.

Da mag Kultusminister Tonne sich noch so viel Mühe geben: In der Pandemie schrieb er zeitweise wöchentlich Rundbriefe an Schüler, Eltern und Lehrer, jetzt tourt er freundlich lächelnd durch die Lande und überreicht überall Bewilligungsbescheide, Plaketten und Auszeichnungen. Doch die Erschöpfung und der Frust sitzen tief bei Lehrern, Schülern und Eltern.

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