piwik no script img

Boris Johnson verabschiedet sich„Das war's, Leute“

In seiner letzten Rede als Premierminister preist Boris Johnson seine Bilanz an. Die Tories ruft er zur Einheit hinter Liz Truss auf.

Seine letzte Rede: Boris Johnson vor der 10 Downing Street Foto: Henry Nicholls/reuters

London taz | Mit den Worten „This is it, folks!“ (Das war's, Leute) hat sich Boris Johnson am Dienstagmorgen in gewohnt bombastischer Manier vor vielen politischen Be­glei­te­r:in­nen der letzten Jahre und dem eng aneinandergereihten Medienschwarm verabschiedet. Gemeinsam mit seiner Frau Carrie trat er aus der schwarzen Tür von 10 Downing Street an ein Rednerpult und erklärte, dass er in ein paar Stunden die Queen in Balmoral in Schottland treffen werde, was sein Amt als Premierminister beenden werde.

Typisch für seinen Charakter gab es wieder eine Schuldzuweisung für seinen Abgang, als er ganz am Anfang von einem Stafettenrennen sprach, bei dem man während des Rennens die Regeln geändert hätte. Das war ein eindeutiger Wink auf das Misstrauensvotum in der konservativen Parlamentsfraktion im Juni und die Rücktrittsserie in seiner Regierung einen Monat später, die letztendlich zu seinem eigenen Rücktritt führten. Zu den Gründen, weshalb diese Dinge geschahen, schwieg er selbstverständlich völlig.

Stattdessen prahlte Boris Johnson noch einmal mit seinem Wahlsieg 2019 und mit dem Corona-Impfprogramm, das 70 Prozent der britischen Bevölkerung innerhalb von sechs Monaten vakziniert habe. Seine Regierung habe die Wirtschaft nach der Pandemie schnell wieder auf die Beine gebracht, das Land stehe nun bezüglich Investitionen besser da als China und zähle mehr Fintech-Unternehmen als Israel, Deutschland und Frankreich zusammen.

Auch der altbekannte Hinweis auf die extrem niedrige Arbeitslosigkeit fehlte nicht, gemeinsam mit der Betonung der Geschwindigkeit der britischen Hilfe für die Ukraine. Putin könne Bri­t:in­nen nicht erpressen, sagte Johnson.

Dann folgte ein Mix aus Statistiken, welcher ohne Zusammenhänge im Grunde bedeutungslos war, nicht zuletzt, weil er den Schaden konservativer Regierungen durch Austeritätspolitik vor seiner Zeit unter den Tisch fallen ließ, etwa was die Rekrutierung von Polizei und Gesundheitspersonal in seiner Zeit betrifft, die vorher gerissene Lücken wieder füllte. Sein Wink auf das im Bau befindliche neue Hochgeschwindigkeitsbahnnetz verbarg die riesengroße Kontroverse hierzu selbst in den eigenen Reihen bezüglich der immensen Kosten und Umweltbelastung des Bauprojekts HS2, das derzeit von London nach Birmingham gegraben wird.

Richtiger hingegen war Johnsons Hinweis auf den Ausbau der Windenergie unter seiner Regierung, die bald die Hälfte des britischen Energiebedarfs decken wird, und den Ausbau des Glasfasernetzes für schnelles Internet von 7 auf 70 Prozent der Bevölkerung, oder auch, dass er durch eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge die Gesundheitsversorgung und das Pflegesystem verbessern wollte, ein Schritt den Liz Truss übrigens wieder rückgängig machen will. Auch seine Versessenheit auf Atomkraft fehlte nicht. Ein neues AKW pro Jahr sei nun geplant – nicht alle glauben, dass dieser nukleare Ausbau der richtige Schritt ist.

Wenn Hund und Katze sich verstehen …

Was ihn selbst betreffe, sagte Boris Johnson, würde er nun „wie eine Rakete nach ihrem Gebrauch irgendwo im Pazifik landen“. Er werde allerdings in dieser sehr schweren Zeit 100 Prozent hinter Liz Truss stehen. „Die Zeit für Politik ist zu Ende, meine Freunde, es ist Zeit, sich hinter Liz Truss zu stellen“, betonte der scheidende Premierminister – eine klare Kritik an der Zerstrittenheit seiner Partei.

Die Konservativen sollten es Larry, der Hauskatze von 10 Downing Street, und Dilyn, Johnsons Hund, gleichtun, die oft ihre Schwierigkeiten miteinander beiseiteräumten. „Wenn die es können, dann kann es auch die Partei“, scherzte er und fuhr fort mit Selbstlob, wie er dem Land die Kontrolle über seine Gesetzgebung wiederbrachte und Großbritannien so auf den Weg des Wohlstands und der Zuversicht führte.

Das gesagt, unterstrich er nochmal seine Unterstützung für Liz Truss und lief dann nach vielem Handschütteln und Küsschen – da waren so manche Augen feucht – in Richtung eines wartenden Range Rovers.

Als Johnsons Frau sich noch einmal in Richtung Publikum umblickte, zog er sie auf dem Weg zum Auto so unvorsichtig, dass sie in ihrem rosa Kleid um ein Haar in einen Laternenpfahl geknallt wäre. Am Ende sah sie den Pfosten gerade noch rechtzeitig, um auszuweichen. Mehr zu Boris Johnson hätten keine Worte sagen können.

Amtsübergabe im schottischen Schloss

Nun geht es per Flugzeug nach Balmoral. Dort wird Boris Johnson sein Amt niederlegen und dann wird Liz Truss von der Queen zur Premierministerin ernannt. Die beiden fliegen aus Sicherheitsgründen getrennt.

Balmoral ist ein Präzedenzfall. Normalerweise ernennen die Königlichen Hoheiten ihre Premiers im Buckingham Palace, nur wenige Minuten Autofahrt von Downing Street erklärt. Doch die 96 Jahre alte Queen leidet offiziell unter „Mobilitätsproblemen“ und lud deshalb in ihre schottische Residenz.

Wenn Truss am Dienstag dann den Regierungsauftrag von Queen Elizabeth II erhalten hat, wird sie die 15. britische Premierministerin sein, welche der langlebigen Königin dient. Einst, damals noch als Studentin in der liberaldemokratischen Partei, plädierte Truss öffentlich und laut für die Abschaffung der britischen Monarchie.

Nach London zurückgekehrt, wird Truss als dritte weibliche Premierministerin Großbritanniens in 10 Downing Street einziehen und dort voraussichtlich am späten Nachmittag ihre erste öffentliche Rede in ihrer neuen Funktion halten.

Danach wird Liz Truss beginnen, ihr Kabinett zu bilden. Es wird gemunkelt, dass es das erste Kabinett in der Geschichte Großbritanniens sein könnte, in dem keine weißen Männer in den wichtigsten Posten sitzen werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Dass Johnson noch mal zusammenfasste, was er alles geleistet habe, das ist kein Zufall. Er steht immer im Ruf, nur heiße Luft zu produzieren, selbst der Brexit ist gar nicht sein egenes Werk, sondern er sprang spät auf den Zug und kaperte ihn erfolgreich.

    Dass er jedes Jahr ein AKW bauen lassen will, sozusagen als Erbe, von dem Nachfolger nicht zurückkönnen? Vielleicht eine Chance für Labour.

    Ich glaube, dass Johnson eher unterdurchschnittlich war. Sein größtes Machwerk ist der Brexit und da sehe ich noch viele Nachteile auf die Briten zukommen. Gerade kleine und mittlere Betriebe werden in der EU Schwierigkeiten haben, ihre Produkte zu lancieren. Und mit Pfund und anderen Regulationen wird UK auch nicht zum Tourismus-Zentrum.

    Dazu noch die ellitäre Art der Konservativen, ich denke nicht, dass die nächsten Jahre besonders gut werden. Konservative haben in den letzten Jahrzehnten viel Mist gemacht. Es würde mich wundern, wenn das jetzt anders gemacht wird. Alleine die Steuerschlupflöcher und Steuersenkungen für ein oder zwei Prozent Superreiche kosten derart viel. Und es könnte mit solchen Dingen weitergehen.

    Für Zoff und Streit hat Johnson selber gesorgt, er wurde ja nur Premierminister, weil er vorher eine Premierministerin stürzte, die wird sich ihren Teil gedacht haben, als er sich da als loyales Mitglied der Konservativen gerierte.

    Die spannende Frage ist nun, was macht so ein Mensch nach diesem Amt?

  • > eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge die Gesundheitsversorgung und das Pflegesystem verbessern

    Wie bitte? Warum werden die Sozialversicherungsbeiträge erhöht, um den NHS zu stützen bzw. verbessern? Sollten dafür nicht nach dem Brexit die eingesparten EU-Beiträge von 350 Mio. GBP wöchentlich verwendet werden?? So stand's doch auf dem Brexit-Bus...

  • Zum letzten Absatz: es wird vor allem ein Kabinett sein, das von dem rechtspopulistischen, nationalistischen Flügel der britischen Konservativen dominiert wird - wenn man sich damit tröstet, dass es wenigstens keine weißen Männer sind, hat man das Politische dem Habituellen geopfert.