„Die Kriegerin“ von Helene Bukowski: Blumen und Härte

Helene Bukowskis neuer Roman „Die Kriegerin“ erzählt von Soldatinnen, die Verletzlichkeit überwinden wollen. Ein Porträt.

Helen Bukowski sitzt auf einer Terrasse, umgeben von Blumen

Recherchierte für ihren Roman unter anderem im Blumenladen: Helene Bukowski Foto: Stefanie Loos

Folgt man der Schriftstellerin Helene Bukowski auf Instagram, könnte man glauben, sie halte sich selbst oft in dieser postzivilisatorischen Welt auf, die sie für ihren Debütroman „Milchzähne“ geschaffen hat.

Gleißendes Licht hinter schweren Vorhängen, verdorrtes Gras, rissige Holzfassaden. Zum einen liegt das an Brandenburg, wo die 29-Jährige mit Freun­d:in­nen ein Haus besitzt und wo die Wälder in diesem Sommer besonders leicht entflammbar waren. Zum anderen an ihren Besuchen am Set in Mecklenburg-Vorpommern, wo „Milchzähne“ gerade verfilmt wird und die Hitze gleichermaßen sengte.

Bukowski war angeboten worden, das Drehbuch selbst zu schreiben, sie lehnte aber ab, weil sie das erstens noch nie gemacht und es zweitens schön gefunden habe, den Stoff abzugeben an eine „junge und coole Frau“, die Regisseurin Sophia Bösch nämlich.

Sie überließ ihr lediglich das Moodboard zum Roman, eine digitale Bildersammlung aus flirrenden Farben, die ihr beim Schrei­ben halfen. Diese Farben braucht sie schon lange nicht mehr, denn ihr neuer Roman „Die Kriegerin“ ist „eher pastellig“.

Das Spiel mit der Toughness

Wir treffen uns an einem heißen Nachmittag im Berliner Bergmannkiez. Hier um die Ecke befindet sich „Der Blumenstand“, wo Helene Bukowski lernte, dass man alles Vertrocknete auch einfach wegschneiden kann. Protagonistin Lisbeth arbeitet als Floristin, und Bukowski wollte wissen, wie viel Disziplin und körperliche Ausdauer es braucht, um Blühendes am Leben zu halten und damit zu handeln.

„Denkt man an Blumen und Blumenladen, kommen einem als Erstes Schönheit und Fragilität in den Sinn“, sagt sie. In Wahrheit ist es ein Knochenjob: weit vor Sonnenaufgang zum Großmarkt, Auftragsflut in den Hochzeiten, Gestecke, die komplett ersetzt werden müssen, ist nur eine Blume verwelkt, schwere, hüfthohe Vasen, die täglich frisches Wasser brauchen.

Lisbeth hat am Ende des Tages kribbelnde Hände und vom Pflanzensaft verfärbte Finger. Bukowski brauchte für ihre Hauptfigur einen Job, der sie abends gut schlafen lässt, denn Lisbeth leidet seit ihrer Kindheit an einer Hautkrankheit, und um die in Schach zu halten, muss sie ihren Körper herausfordern.

Als Kind hört Lisbeth oft, sie müsse robuster werden. Doch ihre Hülle bleibt durchlässig. Weil Lisbeths Haut juckt, blutet und nässt, lernt sie, sich zu stählen. Erst beim Tanzen, dann bei der Bundeswehr. Sie beginnt eine Ausbildung zur Soldatin, um jede Verletzlichkeit zu überwinden, und lernt dort die Kriegerin kennen, die aus anderen Gründen die gleiche Absicht hat.

Bukowskis Protagonistinnen sind wütende Frauen, traumatisierte Frauen. In Rezensionen zu ihrem ersten Roman hieß es oft, sie erschaffe „toughe Heldinnen“. „Dabei mag ich einfach vielschichtige Frauenfiguren“, sagt sie. „Das wird dann immer gleich als unabhängig und stark gelesen.“ In ihrem neuen Roman spielt Bukowski mit dieser vermeintlichen Toughness. Lässt sie erst auf ein gesundes Maß anwachsen und dann kippen, sodass Lisbeth und die Kriegerin beinahe daran zugrunde gehen.

Nach einem Vorfall in der Kaserne bricht Lisbeth ihre Dienstzeit ab, geht zurück nach Jena, gründet eine Familie, wird Floristin. Doch was in der Ausbildung geschah, holt sie ein. Sie flieht ans Meer, das ihrer Haut immer schon Linderung verschaffte, und trifft die Kriegerin wieder. Für die beiden beginnt eine Zeit, in der sie sich mit Gewalt aus der Vergangenheit auseinandersetzen müssen: der, die sich gegen sie richtete, und der, die von ihnen ausging.

So wie „Milchzähne“ nicht als Parabel auf die Klimakrise gedacht war, ist auch die „Die Kriegerin“ kein Anti­kriegs­roman. Trotzdem geben die äußeren Umstände den Geschichten Aktualität. Eigentlich sind es aber menschliche Beziehungen in Extremsituationen, die Bukowski interessieren. Und eben komplexe Akteurinnen an Orten, „an denen Frauen nicht unbedingt vorgesehen sind“, wie zum Beispiel in der Bundeswehr.

Schreibende Figuren

Am Anfang jeder Geschichte steht für Helene Bukowski meist ein Foto oder Bild, irgendwas Visuelles. Bei „Die Kriegerin“ waren es Aufnahmen der israelischen Fotografin Mayan Toledano, die vor ein paar Jahren israelische Soldatinnen inszenierte: wunderschöne junge Frauen in wunderschönen Landschaften – eigentlich normale Bilder in Instagram-Ästhetik – würden sie nicht Uniformen tragen, deren dunkles Grün sich an den rosastichigen Himmel schmiegt. Hier hat Helene Bukowski das „Pastellige“ für ihren Roman her, an dem sie seitdem festhielt.

Diese Arbeitsweise hat sie schon aus der Grundschule. Helene ­Bukowski, 1993 in Berlin geboren, ging auf „so eine Montessorischule“, wo man viel machen darf, was man möchte, und richtige Grammatik oder Rechtschreibung erst mal keine so große Rolle spielen.

Sie erinnert sich an ein Arbeitsheft, das dazu aufforderte, auf die linke Seite ein Bild zu malen und auf die rechte Seite eine Geschichte zu schreiben. „Das hat mir großen Spaß gemacht, und ich wurde viel bestärkt. Die Lehrerin fand: toll. Meine Eltern: toll. Andere Leute: toll“, sagt sie und lacht.

Helene Bukowski: „Die Kriegerin“. Aufbau Verlag, Berlin 2022, 256 Seiten, 23 Euro

Kindern sagt man ja oft, dass sie ihre Sache gut machen, aber bei Helene Bukowski und dem Schreiben ging es so weiter. In der Oberstufe motiviert sie ein anderer Lehrer, bei einem Wettbewerb mitzumachen; sie sollte zu einem Bild des Künstlers Jeff Wall eine Kurzgeschichte entwickeln. Sie gewinnt den Wettbewerb, und als sie nach der Schule und einem Au-pair-Jahr in London nicht genau weiß, wie es weitergeht, erinnert ihr Vater sie daran, dass man Schreiben auch studieren kann.

Also geht sie nach Hildesheim für Bachelor und Master, insgesamt sechs Jahre lebt sie dort. Aus der Zeit geblieben sind ihr enge Freundschaften und die Erfahrung gemacht zu haben, Dinge einfach mal anzustoßen, nicht groß zu überlegen. „In Berlin gibt es diese Energie von ‚Alles schon mal da gewesen‘, die einen lähmt, überhaupt etwas anzufangen.“ In Hildesheim war das anders.

Schon während ihres Studiums beginnt sie mit „Milchzähne“, aber das Projekt besteht lange nur aus Fragmenten, die sie nicht zusammengeschnürt kriegt. Was ihr hilft, ist, die Figur der Skalde zur Schreibenden zu machen, die sich mit Notizen ihrer selbst und des Vergangenen vergewissert. „Da hat sich für mich was gelöst“, sagt ­Bukowski. „Weil ich plötzlich wusste, wie sie es erzählt, konnte ich es selbst erzählen.“

Sowieso hat das Schreiben für ihre Protagonistinnen immer etwas Existenzielles. Die Kriegerin schreibt, weil das Schweigen mit dem „Gewicht von Gehwegplatten“ auf ihr liegt und zu sprechen unmöglich ist.

Frau-lässt-Kind-im-Stich-Erzählung

Ein anderes Motiv in ihren Romanen sind Mutter-Kind-Verhältnisse, die wohl unter den Begriff „Regretting Motherhood“ fallen würden. In „Milchzähne“ fremdelt Edith immer wieder mit Tochter Skalde, sieht sie zwischenzeitlich gar als Gefahr, Zärtlichkeiten gibt es kaum. Lisbeth aus „Die Kriegerin“ verlässt Freund und Sohn gleich für mehrere Jahre. Im Buch hat die Frau-lässt-Kind-im-Stich-Erzählung eine schöne Beiläufigkeit, denn gedanklich befasst sich Lisbeth nicht allzu viel damit, Freund und Sohn kommen ohnehin ganz gut allein klar.

Für ihren Roman hat Bukowski sehr viel recherchiert, und das merkt man auch. Sie hat Soldatinnen und Veteranen interviewt, sich mit Büchern, Dokus und Zeitungsartikeln Wissen zu Kampfhandlungen, posttraumatischer Belastungsstörung und sexualisierter Gewalt draufgeschafft.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Nach „Milchzähne“ sei ihre Mutter häufiger darauf angesprochen worden, was denn mit der Helene los sei, ob sie eine ganz schlimme Kindheit gehabt habe, alles immer so schwer und düster. „Das ist ja das Komische, dass Leute denken, ich erzähle von mir.“ Dabei findet sie sich selbst relativ unspannend, zum Schreiben braucht sie Draufsicht.

Bukowski ist das Gegenteil einer einsamen Kriegerin, Freund:innenschaften, Frauennetzwerke, ihre beiden Schwestern sind ihr sehr wichtig. Sie ist die „Wilde Hühner“-Generation, ihr Hausprojekt in Brandenburg sei eigentlich wie eine kleine Bande.

Während sie an „Die Kriegerin“ schrieb, begann Bukowski sich für Körper und Abhärten zu interessieren. Sie fing mit Kickboxen an und macht das heute noch, mittlerweile in einem Verein, der nur Frauen aufnimmt. Dort habe sie gelernt, dass miteinander kämpfen auch aufeinander achtgeben bedeutet, dass man Sensoren braucht für die andere Person und sie jederzeit wahrnehmen, auf sie reagieren muss – sich Verletzlichkeit zunutze zu machen, statt sie zu überwinden. Ihre Figuren lernen das auf die harte Tour.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.