piwik no script img

Österreichs hausgemachte EnergiekriseWien verspekuliert sich

Österreich muss seinen größten Energieversorger vor der Pleite retten. Der wurde von den steigenden Preisen kalt erwischt.

Das Bürohaus von Wien Energie in der österreichischen Hauptstadt Foto: Leonhard Foeger/reuters

Wien taz | Die SPÖ-Chefin hatte schon angenehmere Auftritte. Kurz vor dem live gesendeten ORF-Sommergespräch mit Oppositionsführerin Pamela Rendi-Wagner war ein Skandal geplatzt. Verantwortlich war sie zwar nicht. Die nötige Sachkenntnis, ihn zu erklären, hatte Rendi-Wagner aber auch nicht. Die Wien Energie (WE), zu hundert Prozent Eigentum der SPÖ-regierten österreichischen Bundeshauptstadt, steht am Rande der Pleite. Aus eigenem Verschulden, wie sich nach und nach herauskristallisiert.

In einer als Energiegipfel getarnten Krisensitzung mit Regierungsmitgliedern und Chefs der Energieversorger hatte WE-Vizechef Peter Weinelt Sonntagnacht einen dringenden Finanzbedarf von 1,7 Milliarden Euro angemeldet. Vielleicht aber auch von 6 oder von 8 Milliarden. So viel war selbst am Folgetag nicht ganz klar.

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) will nun den größten Energieversorger des Landes mit Krediten vor dem Kollaps bewahren. WE beliefert rund zwei Millionen Haushalte in Wien und Umgebung mit Gas und Strom. Anders als die Energieversorger in den Bundesländern erzeugt der Konzern aber kaum eigenen Strom, sondern kauft auf dem freien Markt ein. Während etwa die Tiroler Tiwag mit ihren Wasserkraftwerken zuletzt Gewinne einfuhr, wurde WE von den rasant gestiegenen Gaspreisen kalt erwischt.

Vor einem Jahr kostete die Megawattsunde Strom noch 86 Euro, inzwischen zum Teil über 1.000. Unglücklicherweise hat die WE auf fallende Preise spekuliert und dreimal mehr Energie verkauft, als sie liefern konnte. Um weitere Termingeschäfte tätigen zu können, brauchte sie nun dringend Kautionen in Milliardenhöhe. Der Fall weckt Erinnerungen an den Gas-Händler Uniper in Deutschland, der zuletzt 60 Millionen Euro Verlust am Tag schrieb: Hier sollen ein Teileinstieg des Staates und die Gasumlage verhindern, dass Versorger pleitegehen, weil sie ausgefallene Lieferungen aus Russland teuer am Markt nachkaufen müssen.

Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke wies am Montag den Vorwurf unverantwortlichen Handelns oder gar spekulativer Geschäfte zurück. „Es ist immer dieser Mix zwischen Kaufen und Verkaufen des Handels entscheidend dafür, das beste Produkt zu generieren“, sagte er. So habe auch Wien Energie gearbeitet. Alles sei „ordnungsgemäß abgelaufen“. Eine bessere Erklärung hatte am Dienstag Finanzombudsmann Gerald Zmuegg im Ö1-„Mittagsjournal“. Für ihn hat sich Wien Energie verspekuliert.

Rücktritt von Wiens Bürgermeister gefordert

Das Unternehmen habe das Eineinhalbfache seiner Jahresproduktion an der Börse verkauft und mögliche Marktschwankungen nicht ausreichend berücksichtigt: „Man hätte sehen müssen, dass das den Liquiditätsbedarf überschreitet“, sagte Zmuegg. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der für das Desaster politisch verantwortlich ist, verließ seine Tauchstation erst nach zwei Krisensitzungen und spielte dann die Auswirkungen der Beinahe-Pleite herunter. „Das Allerwichtigste“ sei ihm die Versorgungssicherheit der Wiener. Er hatte schon am 15. Juli WE ein Darlehen von 1,4 Milliarden Euro bewilligt. Warum er das so lange vor der Öffentlichkeit verborgen hatte, sagte er nicht.

Vertreter der anderen Parteien verlangten „Konsequenzen“, „volle Aufklärung“ und den Rücktritt von OB Ludwig. Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) will nun sämtliche Energieversorger durchleuchten lassen, um ein „detailliertes Bild des Sektors zu erhalten“. Zudem verwies sie auf den EU-Energieministerrat am 9. September, wo eine europäische Lösung gegen hohe Strompreise gesucht werden soll.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Man möchte in diesen Tagen Österreicher sein - dann müsste man nicht, wie in Deutschland, internationale Emergiekonzerne mit seinem Privatvermögen retten.