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Die WahrheitKrokodil versus Hund

Ein Dobermann kommt dir entgegen. Selbstverständlich will er nur spielen, während im Daumenkino deines Hirns der Film deines Lebens abläuft.

E rst nachdem ich erkannte, dass der mir auf dem Bürgersteig entgegenkommende Mann einen Dobermann und keinen ausgewachsenen Panther an der Leine führte, entschied ich mich gegen einen sofortigen Richtungswechsel. Stattdessen wich ich zehn Meter vor der unausweichlichen Begegnung zur Seite, in der Hoffnung, dadurch aus dem Sichtfeld des Dobermanns verschwunden zu sein. Allerdings durchschaute er meine Strategie und sprang, als wir uns schließlich auf Augenhöhe befanden, mit offenem Maul in Richtung meines Genicks.

Meine ersten Schritte als Zweijähriger, meine Einschulung und der erste Kuss erschienen wie in einem Daumenkino vor meinem inneren Auge. Es war schön. Als ich den heißen Brodem des Dobermanns bereits im Genick spürte, zog ihn sein Herrchen zurück auf den Boden der Tatsachen. Über 500 gefährliche Hundebisse werden jährlich in Deutschland gemeldet. Krokodilbisse: Null. Statistisch gesehen sterben cirka drei Menschen jährlich in Deutschland durch Hundeattacken. Krokodiltote: Null.

Scharfsinnige Hundebesitzer könnten nun einwenden, dass der Vergleich unzulässig sei, weil das Krokodil in Deutschland nicht als Haustier geführt werde. Und auch sonst kaum vorkommt. Doch weltweit liefert der Hund ebenfalls eine bedauerliche Statistik ab: 25.000 Tote durch Hundebisse jährlich. Damit verursacht dieses Tier 24.000 mehr Tode als Krokodile. Nur haustieruntaugliche, weil nicht autoritätshörige Mücken und Schlangen kommen auf mehr Leichen.

Zugegeben, Dobermänner sind wohl etwas entspanntere Zeitgenossen als Königskobras. Ein Krokodil aber hätte im Gegensatz zum Dobermann mein Ausweichmanöver als Friedenszeichen erkannt. Oder nicht? Fakt ist, wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, wie ein Krokodil gehandelt hätte. Wir wissen auch nicht, ob ich noch am Leben wäre, hätte der Dobermann-Besitzer nicht eingegriffen. Vielleicht hätte der Hund nur meinen Hals abgeleckt oder mir einen Knutschfleck verpasst.

Der Mensch beziehungsweise der durchschnittliche Hundebesitzer glaubt, er wisse, was der Hund will und denkt, was er tun wird, kann und muss. Anderen macht er weis, sein Hund „beiße nicht“, „tue keinem was“ und „wolle doch nur spielen“. Ein Irrglaube, wie die Statistiken zeigen. Statt einer Debatte über Wölfe, die eine 20-mal geringere Gefahr für den Menschen darstellen, wäre eine grundlegende Debatte über Hundebesitz und -haltung angebracht. Was rechtfertigt eigentlich die lebenslange Unterwerfung eines Hundes? Sollten ungeschulte Hundebesitzer jederzeit ihren Hund „Gassi führen“ können?

Eine mögliche Antwort: Ja, aber nur wenn dasselbe für Krokodile gilt. Eine andere Antwort: Nein. Versöhnlicher Vorschlag meinerseits: Alle Hunde ab einer gewissen Größe die Toilette runterspülen. In der Kanalisation können sie dann den Krokodilen Pfötchen geben, wie es in New York guter Brauch sein soll.

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10 Kommentare

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  • Dass ich dem Autor sein Erlebnis nachfühlen kann, hab ich weiter unten schon geschrieben. Darüber hinaus finde ich die empirisch-statistischen Überlegungen dieses Wahrheitsbeitrags hervorhebenswert.

    "Fakt ist, wir wissen nichts."

    Genau. *D* unser Land, in dem man administrativ über alles Bescheid weiß. Wirklich? Oder dehnen sich hinter den Datengebirgen Wüsteneien der Unkenntniss aus, die dringend erschlossen werden müssen.

    Wie soll es einen anständigen Versicherungsschutz für die Hinterbliebenen eines durch Kaimanbiss zu Tode gekommenen geben können, wenn nicht empirische Erhebungen dazu statfinden? Man bedenke: Unsere Baggerseen wärmen sich auf. Dort leben jetzt schon tropische Zierfische, die verantwortungslose Typen als geschützte Arten nach *D* verfrachtet haben - und ihrer dann überdrüssig wurden.



    Wie soll das erst bei all den Kaimanen werden, die jetzt noch in Badewannen vegetieren?

    Wer weiß Bescheid über die jährliche Anzahl von Eichhörnchen, die bei einem Kletterunfall vom Baum plumpsen - direkt auch den Kopf eines Menschen?

    Die meißten Unfälle passieren im Haushalt. Es geht ja nicht nur um die Meerschweinchen, die Jahr um Jahr getötet werden, wenn einer in der Wohnung über sie stolpert.

    Man weiß nichts über Fälle, an denen ein Mensch fast erstickt, weil ihm ein freifliegender Wellensitich Pfeil schnell direkt in den Mund fliegt, während Mensch gerade gerade gähnt.

    Wie viele Personen in *D* halten zwar Krokodile - haben aber aus Unwissenheit oder Verantwortungslosigkeit für sie nie einen Leinenführungsberechtigung beantragt und die Leinenführungsberechtigungsschulung dafür nachweislich bestanden?

    Das muss doch mal geklärt werden!

    • @Moon:

      Leinenführungsberechtigung nie beantragt, aber - Schulung bestanden.



      richtig, muss geklärt werden :)

      wie übel wird es wohl ausgehen wenn statt eines frei fliegenden Wellensitich ein frei fliegender Buntspecht sich so verirrt?

      • @Ramaz:

        Das ist gar nicht auszudenken!



        Deshalb:

        Notwehr ist erlaubt

        Fliegt dir ein wilder, böser Buntspecht in den Rachen -

        Da gibt es keine halben Sachen!

        Der Schmerz bohrt. Bleib standhaft, tu dich einmal noch zusammenreißen.

        Tu Zähne zusammenbeißen.

        Mein verrücktester "Unfall": Auf der Straße. Ein Gewitter zog auf. Bevor es los ging heftige Winböen. Eine war so stark, dass sie das Sommerlaub, die Stöckchen usw. fast waagrecht vor sich her trieb. Auf meinem Auge das knappe Plop eines Aufschlags. Wohl genau zwischen Augenbraue und Augenlied. Dann ein Stich. Wespe, Biene? Keine Ahnung. Ich hatte Glück, reflexartig schlosssen sich meine Augen. Der Stich muss noch nicht mal vollständg gewesen sein. Durch mein Fuchteln spürte ich, wie etwas von mir ablies und wegflog.



        Zwei Tage lang trug ich statt meines Gesichts eine 1 a Schlägervisage. Obwohl ich doch so friedlich bin.

        So kann es kommen.

  • manchmal verstehe ich die Sorge nicht.



    wenn ich mit meinen beiden deutschen Doggen den Gehweg entlang laufe springen die Entgegenkommenden alle auf die Straße, Gärten, oder wechseln frühzeitig die Straßenseite. Dabei ist ein Hund ab einer bestimmten Größe Zwangsversichert; wie Haftpflicht beim Auto.



    Hätte der Dobermann dein Genick mitgenommen und etwas damit gespielt, deine Hinterbliebenen hätten einen angemessenen Ausgleich erhalten.



    Krokodile sind meist nicht versichert. Passanten auch nicht notwendiger Weise.



    Was ist wenn dich ein Passant beißt? Nicht versichert, nicht geimpft, sehr gefährlich



    Wer sich einen Hund zulegen will, der als solcher gilt und nicht als Fußhupe, der muss zumindest einen Eignungstest bestehen. Wer Kinder in die Welt wirft nicht. Da sieht man deutlich das Problem. Milliarden Menschen wurden ohne Eignungstest in die Welt geworfen und bringen sich gegenseitig um. Da fallen die paar Hundebisse doch nicht mehr auf. In der Relation zu Menschengewallt sind sie vergleichbar der Krokodilattacken in Deutschland. Sind Dobermänner und Doggen nicht süße Tiere?

    • @Ramaz:

      "Manchmal verstehe ich die Sorge nicht"

      Also die Sorge ist die: Das war anfang der 1960er Jahre und ich in der zweiten Klasse Grundschule. Auf dem Nachhauseweg rannte der Schäferhund, ausgewachsen und mir bis dahin unbekannt, sofort auf mich zu, den der Besitzer auf der wenig befahrenen Wohnstraße frei laufen ließ. Ich mit dem Rücken zum Zaun, das Hunderl mit seinen Vorderpfoten auf meinen Schultern. Knurren, Zähne fletschen und Bisse in die Kleidung. Der Besitzer tat nichts, gar nichts. Halt, etwas doch. Er stand unmittelbar neben mir, lachte freundlich und erklärte mir wortreich, dieser Hund tut dir nichts. Das wäre nur Spiel. Ich versichere, das war so. Das dauerte Minuten lang. Der einzige der nichts tat, war der Besitzer, bis ein Dritter den Hund von mir weg zog.



      Damals waren Hunde noch leider viel zu oft OBJEKTE für Kleingärten-Vereins-Dikatatoren und Reihenhaus-Faschisten. Die brauchten das für ihr WK II gedemütigtes Ego.



      Die Zeiten dürften inzwischen vorbei sein. Und ich glaube Ihnen sofort, dass Sie ihre Hunde gut und verhaltensgerecht erzogen haben. wirklich.



      Aber solche Erlebnisse bleiben zumindest eine gewisse Zeit in einem lebendig. Heute habe ich längst mehr Vertrauen zu den aller meißten Hunden. Ich freue mich immer über nette Begegnungen mit denen, wirklich. Macht Spaß.



      Aber Verständnis für den Autor hier habe ich. Hier wird die Wahrheit gesagt. Und das tut der Autor, wenn er mal frank und frei berichtet, wie ihm zu Mute ist.



      Oder ist das etwa ihr voller Ernst, wenn Sie sagen, Genickbisse sind doch nicht so schlimm, weil es ja für die Hinterbliebenen einen finanziellen Ausgleich gibt?

      Den richtigen Hund in die richtigen Hände. Das muss schon sein.

    • @Ramaz:

      Ihr erster Absatz könnte verfilmt werden!



      Isser nich süß?



      flickr.com/photos/...Nfsd-c2QaxE-2y8ysH

      • @Ringelnatz1:

        Na und ob. Der Eindruck entsteht auch, weil man dem Tier seine Schlappohren gelassen hat. Das macht gleich ganz was anderes her als das, was man auf dem Folgebild sieht: Da wurden die in wie ich meine typisch toitscher Natur wegkupiert. Ekelhaft gemein. Wie soll ein Hund seine Friedlchihkeit beweisen, wenn man ihm zwei drittel vom Schwanz weggeschnittten hat? Na ja - und wenn er mit dem nicht wedelt - schnell schnell davon auf die andere Stassenseite...

        • @Moon:

          Jenau. Deswegen. Moonbaby!



          Ich rege mich auch immer über kupierte Ohren auf!

          • @Ringelnatz1:

            Ich weiß ja, die Ohren sagen nichts über das Wesen des Tieres...Aber über das Wesen mancher Züchter schon...

  • "Der durchschnittliche Hundebesitzer" tickt mit Sicherheit anders als der offensichtlich unfähige Besitzer des schlecht erzogenen Dobermannes, dem Sie begegnet sind -- und der durchschnittliche Hund anders als besagter Dobermann.

    Wenn Ihre Anzahl von weltweit jährlich 25.000 tödlichen Hundebissen stimmt, macht das bei laut Wikipedia 500.000.000 Hunden pro Hund und Jahr im Schnitt 0,00005 tödliche Hundebisse. Wikipedia schreibt außerdem, dass ca. 75 % der Hunde weltweit Streuner sind. Die werden halt mal von niemandem erzogen und sind wahrscheinlich häufiger gefährlich als Hunde mit Besitzer. Das erklärt, warum laut Wikipedia auf 10.100.000 Hunde in Deutschland nur drei tödliche Hundeattacken pro Jahr kommen, also rund 0,000000297 pro Hund und Jahr: unterdurchschnittlich!

    Zur Anzahl der weltweit lebenden Krokodile konnte ich auf die Schnelle keine Statistik entdecken. Meine Vermutung wäre aber, dass es bei weitem weniger sind als Hunde. Es würde mich sehr wundern, wenn die Anzahl der von Krokodilen getöteten Menschen pro Krokodil niedriger wäre als die (sehr niedrige, s.o.) Anzahl der von Hunden getöteten Menschen pro Hund.

    Interessant wären auch weltweite Zahlen zu Tötungsdelikten, die durch Menschen verübt werden. Nach einer Zahl aus Wikipedia für Deutschland wären Menschen hierzulande anscheindend nur ein Fünftel so lebensgefährlich wie Hunde. Ob das wohl weltweit gilt?

    Was Wölfe betrifft, haben Sie wahrscheinlich recht, zumindest was Angriffe auf Menschen betrifft. Der sachliche Kern der Wolfsdebatte bezieht sich auch eher auf die Gefahr, die Wölfe für Weidetiere darstellen. Für Menschen sind Wölfe weitgehend ungefährlich, zumindest solange sie nicht tollwütig sind -- und die Tollwut kann durch Schluckimpfung mittels Impfködern gut bekämpft werden. Man sieht's ja an vielen europäischen Ländern, wo dank Impfaktionen keine Tollwut mehr vorkommt, u.a. in Deutschland (mit Ausnahme der Fledermaustollwut). Hoffen wir, dass sich die Impfgegner nicht durchsetzen!