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Baerbock in Athen und AnkaraBisweilen Klartext

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

In der Türkei findet die Außenministerin kritische Worte. Selbige wären auch in Griechenland nötig gewesen – in der Frage der Pushbacks.

Hält eigentlich nichts von Plattitüden im diplomatischen Umgang: Außenministerin Baerbock in Ankara Foto: Burhan Ozbilici/ap

A nnalena Baerbock hält nichts davon, im diplomatischen Umgang nur Plattitüden auszutauschen. „Klartext, dass die Ohren schmerzen“, sollte vor allem unter Freunden dazugehören. Diesem Grundsatz blieb sie bei ihrem Antrittsbesuch in Griechenland und der Türkei vor allem in Istanbul treu. Und ja, es ist gut, dass Baerbock nicht nur hinter verschlossenen Türen die Freilassung des Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala forderte und die Türkei vor einem neuerlichen Einmarsch in Nordsyrien warnte.

Es war auch richtig, mit Ver­tre­te­r:in­nen der Opposition und einer Fraueninitiative, die gegen Femizide kämpft, zu sprechen. Allerdings war bei näherem Hinsehen ihr Klartext doch ziemlich selektiv. Es geht ja darum, wo und wie man in der Außenpolitik etwas erreichen kann. Die Freilassung von Kavala gehört sicher nicht dazu. Das hat Präsident Tayyip Erdoğan mehrfach klargestellt. Dasselbe gilt für Nordsyrien.

Sowohl die Russen als auch die Amerikaner haben Erdoğan dringend davon abgeraten, in Nordsyrien militärisch aktiv zu werden. Damit war die Sache bereits entschieden, und es gehört nicht viel dazu, sich der Auffassung der Großmächte anzuschließen. Wo Baerbock aber etwas bewegen kann, ist beim Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei.

Sich hier vollmundig der griechischen Position zu den jahrzehntealten Auseinandersetzungen um Hoheitsgebiete und Ausbeutung von Bodenschätzen in der Ägäis und im Mittelmeer anzuschließen, ist zwar Klartext, doch politisch gesehen mindestens unterkomplex. Und da, wo sie wirklich etwas hätte ausrichten können, bei der Frage der illegalen Pushbacks von Flüchtlingen durch die griechische Küstenwache und Frontex, war es dann ganz aus mit dem Klartext.

Anstatt die Gelegenheit zu nutzen und den griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis mit den systematischen und politisch gewollten Pushbacks zu konfrontieren, dimmte sie den Skandal zu „Einzelfällen“ herunter, denen man nachgehen müsse. Alles andere hätte auch vermutlich echten Ärger mit Brüssel und in der heimischen Koalition gegeben.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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9 Kommentare

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  • Sachlage ist, dass auch Deutschland Frontex unterstützt, dass Deutschland ebenfalls eine Abschottung gegenüber Geflüchteten wünscht und ebenso wie Griechenland Verantwortung für die schweren, anhaltenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen der EU insbesondere gegenüber Geflüchteten aus Afrika und dem Nahen Osten trägt.

    Wenn sie also diese Politik nicht aufgeben will, kann sie auch keine wirklich "klaren Worten" an die Adresse Griechenlands richten.

    Leider hat sie aber in einem anderen Sinne sehr wohl klar gesprochen:

    Es seien alles nur Einzelfälle und sie sei sich mit der griechischen Regierung einig. Letzteres dürfte letztlich, wenn wir von Stilfragen absehen, stimmen. Es scheint Einigkeit zu bestehen.

    Leider hat Deutschland auch weiterhin nicht die Zusammenarbeit mit libyschen Milizen aufgegeben, die auch Deutschland weiterhin als "Küstenwache" bezeichnet und damit deren Wirken, einschließlich der Verschleppung von Menschen in Lager, in denen sie versklavt, vergewaltigt und einige getötet werden, nach wie vor Vorschub leistet.

    Selber will sich Deutschland nicht die Hände schmutzig machen, aber die schmutzige Arbeit soll weiterhin geleistet werden. Dies ist wohl die nüchterne Bilanz.

    Genau durch solch eine Politik werden Menschenrechte international untergraben. Wie sollte sich Deutschland glaubhaft irgendwo für Menschenrechte einsetzen, wenn es brutale Menschenrechtsverstöße der EU deckt und sogar mit Verbrecherorganisationen, wie den Milizen in Libyen, weiterhin zusammenarbeitet?

    Mit der Fortsetzung einer Politik der systematischen Menschenrechtsverletzungen im eigenen Abschottungsinteresse durch die EU, werden anderswo Autokraten, Reaktionäre und Menschenschinder, wie Putin, genährt, da diese sich so jede Kritik (leider berechtigt) als reine Heuchelei verbitten können.

    Menschenrechte müssen von allen erfüllt werden, diese Lektion hat Deutschland bisher nicht gelernt.

  • Das Problem von Baerbocks Außenpolitik ist, dass unsere Werte nicht mal innerhalb der EU universell sind (Stichwort Aufnahme von Flüchtlingen). Jedes Land hat andere Werte, die Europäer ebenso wie die USA.

    Natürlich wäre es schön, wenn irgendwann auch China und Russland Demokratien wären. Aber die Aufgabe der Außenpolitik ist in der Gegenwart Politik zu betreiben, und in dieser muss Politik betrieben werden. Das bedeutet, dass wir zum Beispiel trotz grundverschiedener Wertevorstellungen eine außenpolitische Verständigung mit China brauchen.

    Wer weiterhin Werte propagiert, von dem wird erwartet, dass sie dann immer gleich gültig sind. Wer aber auf Basis derselben Werte Sachverhalte unterschiedlich bewertet, der macht sich schnell des Verdachts der Doppelmoral schuldig. Auch das ist nicht wirklich gut, und genau auf dieses dünne Eis begibt sich Baerbock aber.

    Genau daher kommt die uralte Erkenntnis, dass Außenpolitik immer Realpolitik ist. Und nichts anderes.

    Weiter bin ich mir sicher, dass sich die Türkei nur von zwei Ländern etwas sagen lässt: den USA und Russland. Da aber Baerbock die Außenministerin einer zögerlichen Mittelmacht ohne wirklich militärisches Gewicht ist, sind ihre direkten Einlassungen dann etwas, was die Türkei einfach an sich abperlen lassen wird.

    Was Frau Baerbock hier liefert, ist einfach nur eine insezenierte Show der Tugendsignalisierung für die grünen Stammtische. Opium für die eigene Klientel. Das kommt zuhause gut an, ist aber keine Diplomatie und potentiell schädlich für die Beziehungen zu anderen Ländern.

  • Diese Frau macht mir nur noch Angst.

  • Nun, dass man Dinge nicht mehr unter vier Augen anspricht, sondern für das heimische Publikum als "Virtue Signaling" hinausplörrt ist für mich gerade keine kluge Diplomatie.

  • Ja, ein nettes Schauspiel, das da so abgeht. Erst der Versuch, Europa wieder zusammenzubekommen mit ermunternden Mahnungen, um die Illusion einer zusammenhaltenden Vorreiterrolle (Deutschland als Musterknabe) aufrecht zu erhalten, dann Besuche in sehr von China und Russland beeinflussten Ländern des Südens, mit einem side trip in das deutsche Kolonialherrschaft erinnernde ehemalige Bismarck-Archipel als Mahnung an die Klimaambitionen des -inzwischen deutlich zu schwachen- Pariser Abkommens und schließlich ein Besuch in Japan, einer Gesellschaft, die ähnlich überaltert ist wie unsere, aber sehr viel solidarischer und nationalbewusster handelt. Außer mit der Pflichtveranstaltung in Kiew finden alle Reisen wie auch diesmal nach Griechenland un in die Türkei mit dem Regierungsjet statt, der schon jetzt mehr Meilen unterwegs war als in der ganzen Legislaturperiode vorher. Mediengeiler Aktionismus als Politikersatz mit beschränkter Relevanz, da Frau Baerbock ihre Auftritte so zelebriert, dass das deutsche Vorbild in der Ferne eher als Überheblichkeit als ein Versuch



    verstanden werden kann, lieber freundschaftliche Bande zwischen den Völkern herzustellen. Wenn frau bedenkt, dass das Aussenministerium die meisten Mitarbeiter beschäftigt, wirkt das ganze Theater wie eine neue Schnellschussvariante ohne eine langfristige Strategie, wie sich der -vor allem ökonomische- Umgang zwischen den neuen Blöcken gestalten könnte, zumal Macron ja gerade beweist, ebenfalls eigene Wege gehen zu wollen.

    • @Dietmar Rauter:

      Wie man am Gasnotfallplan sehen kann, hält die EU eben nicht zusammen.

      Allerdings kann ich das auch verstehen: wieso sollten ausgerechnet Portugal und Spanien beispielsweise, die nie am russischen Gas hingen, für Deutschlands Fehler geradestehen? Genau das wollte von der Leyen, und genau das ist diesen Ländern nicht zu vermitteln, warum.

  • Das Leben und die Gesundheit geflüchteter Menschen sind ihr also weniger wichtig als das kuschelige Klima am Kabinettstisch.



    Das sagt viel aus über sie als Person und noch mehr, über die von ihr behauptete weitergeleitete Außenpolitik.

  • "Und da, wo sie wirklich etwas hätte ausrichten können, bei der Frage der illegalen Pushbacks von Flüchtlingen durch die griechische Küstenwache und Frontex, war es dann ganz aus mit dem Klartext."

    Das mag wohl daran gelegen haben, dass Deutschland dankbar für diese Praxis der Verhinderung und Abschreckung von Migration ist.

    • @Jim Hawkins:

      Dankbar ist gut, Deutschland finanziert das mit und nicht zu knapp und wenn man wollte, könnte man dem auf EU-Ebene als Schwergewicht ganz schnell den Riegel vorschieben. Müsste sich dann eben anderweitig unilateral verpflichten und einklinken, jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass Länder wie Griechenland sich um diese Rolle reißen. Schon deshalb eher klug von Baerbock und ich finde ehrlich, sich da zurückzuhalten. Man kann ihr nicht raten, auf Grundlage von Verdächtigungen oder Mutmaßungen bei so nem Besuch gleich'n riesen Fass aufzumachen und die Einzelheiten bleiben ja vielfach unklar. sollen das offensichtlich ja auch. So hat sie erst mal Aufklärung angemahnt, keine Revolution, auch das ist ehrlich. Genauso dass man bitteschön erst mal selbst erläutern müsste, wie man Migrationspolitik, so wie sich das im Koalitionspapier wolkig ausgemalt wird, eigentlich konkret umsetzen wollte. Den Luxus, sich dafür wieder Jahre Zeit zu lassen, hat man da unten eben nicht und auch das weiß Frau Baerbock.