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Olympia-Attentat 1972 in MünchenStreit um Entschädigung

1972 töteten Palästinenser in München elf Israelis. Nun will die Bundesregierung die Angehörigen entschädigen. Doch die lehnen die angebotene Summe als zu niedrig ab.

Flughafen Fürstenfeldbruck 1072. Die israelischen Opfer des Attentats werden in Ihr Land zurückgeflogen Foto: Imago

München dpa/afp/epd | Die Hinterbliebenen der Opfer des Olympia-Attentats 1972 in München haben ein Angebot der Bundesregierung auf Entschädigung abgelehnt. „Die Summe, die uns angeboten wurde, ist beleidigend“, sagte die Sprecherin der Opferfamilien, Ankie Spitzer, dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Online/Mittwoch). „Wir sind verärgert und enttäuscht.“ Sollte es bei dem Angebot bleiben, würden die Angehörigen nicht zur Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Attentats auf die israelische Olympia-Mannschaft Anfang September nach München kommen.

Das Angebot, das der neue deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, den Opferfamilien am vergangenen Freitag in der Botschaft in Tel Aviv vorgestellt hatte, sieht laut Bundesinnenministerium eine umfassende historische Aufarbeitung und eine Öffnung der Archive vor. Außerdem seien weitere Anerkennungsleistungen an die Hinterbliebenen der Opfer möglich.

Nach Angaben der Opferfamilien sieht der Vorschlag eine Gesamtleistung von zehn Millionen Euro für alle Hinterbliebenen vor, wobei frühere Zahlungen aus den Jahren 1972 und 2002 von insgesamt rund viereinhalb Millionen Euro angerechnet werden sollen. Dies entspreche aber nicht den internationalen Standards in ähnlichen Fällen. „Wir wollten nie öffentlich über Geld reden“, kritisierte Spitzer. „Aber nun sind wir gezwungen, es zu tun.“

Zusammen mit den Familien hatte auch Israels Präsident Jitzchak Herzog nach Deutschland reisen wollen. Bis zum 15. August soll nun bei Regierungsgesprächen zwischen Deutschland und Israel nach einer Lösung für die Entschädigungsfrage gesucht werden. Bei dem Attentat einer palästinensischen Terrorgruppe und einer gescheiterten Befreiungsaktion der deutschen Polizei waren am 5. und 6. September 1972 insgesamt elf israelische Sportler sowie ein Polizist ums Leben gekommen.

Zuvor hatte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der Süddeutschen Zeitung gesagt, es sei entschieden worden, „die gravierenden Folgen für die Hinterbliebenen der Opfer in immaterieller und in materieller Hinsicht erneut zu artikulieren“. Dies sei das Ergebnis einer „Neubewertung“ des Olympia-Attentats und seiner Folgen durch die Bundesregierung „in den vergangenen Wochen“.

Unmittelbar nach dem Attentat hatte es nach Angaben des Bundesinnenministeriums Zahlungen aus Deutschland an die Angehörigen der Opfer in Höhe von rund 4,19 Millionen Mark (rund 2 Millionen Euro) gegeben. Rund 3,2 Millionen Mark davon seien humanitäre Leistungen durch die Bundesrepublik gewesen, teilte das Ministerium 2001 mit. Bei dem restlichen Betrag habe es sich um Spenden des Deutschen Roten Kreuzes und Leistungen des Nationalen Olympischen Komitees gehandelt.

Der Gesamtbetrag sei damals an das Nationale Olympische Komitee zur Weiterleitung an die Hinterbliebenen gegangen. 2002 erhielten die Hinterbliebenen weitere drei Millionen Euro – als humanitäre Geste, wie Bundesregierung, Freistaat Bayern und Stadt München damals erklärten.

Eine Klage auf Schadenersatz in Höhe von rund 40 Millionen Mark (rund 20,45 Millionen Euro) unter Verweis auf massive Fehler beim Polizeieinsatz wurde wegen Verjährung abgewiesen.

Aktualisiert und ergänzt am 27.07.2022 um 14:25 Uhr. d. R.

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9 Kommentare

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  • 4G
    47351 (Profil gelöscht)

    Die Argumentation der Hinterbliebenen legt nahe, dass es bereits im Jahr 1972 eine staatliche Verantwortung für den geordneten Ablauf von Terrorattacken gegeben habe. Dies ist natürlich nicht der Fall, auch wenn die missglückten Aktion der Einsatzkräfte berechtigterweise kritisiert wurden und im Ergebnis zur Gründung der GSG 9 führte.

    Was die angesprochenen internationalen Standards betrifft, so gibt es diese nicht in Bezug auf Leistungen an Hinterbliebene von Gewaltopfern. Es gibt es gibt auf Ebene der EU eine Richtlinie von 2004 zur Entschädigung von Opfern von Gewalttaten, ohne Beträge zu nennen. Über die Richtlinie hinausgehend existiert in Deutschland das Opferentschädigungsgesetz, das auch Hinterbliebene im Blick hat, in seiner beschränkten Rückwirkung (Härteregelung) im vorliegenden Fall jedoch kaum zur Anwendung kommen dürfte, natürlich auch nicht der Höhe nach. Israel hat an die Familie eines im Rahmen der Operation Caesarea 1973 in Norwegen getöteten Marokkaners dem Vernehmen nach 400.000 US-Dollar bezahlt. Allerdings handelte es sich dabei um eine staatlich angeordnete vorsätzliche Tötung, während in München einzelnen Einsatzkräften, wenn überhaupt, höchstens Fahrlässigkeit zur Last fiele.

    Die Bundesrepublik hat vorliegend ohne rechtliche Verpflichtung zweimal Leistungen erbracht. Aus welchen Gründen eine moralische Verpflichtung zugunsten der Hinterbliebenen ein drittes Mal in Geld umgerechnet werden soll, erschließt sich mir nicht.

  • Was ich an diesem Artikel und auch in anderer Berichterstattung vermisse:

    * Um wieviele Angehörige geht es



    * Und was wäre der erwähnte internationale Standard für ähnliche Fälle.

  • Erst hat man die Terroristen ins Olympische Dorf gelassen, israelische Bitten um Schutz abgewimmelt, dann hat man den Einsatz versaubeutelt und israelische Hilfe dabei abgelehnt, dann hat man die überlebenden Terroristen so schnell wie möglich straffrei außer Landes geschafft.

    Schließlich gingen die fröhlichen Spiele weiter und jetzt zahlt man sogar eine Entschädigung.

    Bravo Deutschland.

  • RS
    Ria Sauter

    Das glaube ich jetzt nicht!



    Werden zukünfig alle Opfer so grosszügig entschädigt?



    Da hängt Justizias Waage enorm schief

    • @Ria Sauter:

      Die Opfer von Lockerbie bekamen 10 Millionen Dollar pro Person.

      Das traurige und beschämende ist, dass überhaupt verhandelt werden muss. Mit einem der reichsten Staaten der Welt.

      Der in diesem Fall alles, was man falsch machen kann, falsch gemacht hat.

  • Warum?



    Ist der Staat dafür verantwortlich, dass auf seinem Gebiet ein Attentat erfolgt?



    Oder eine verbotene Gewalttat?



    Bekommen alle Opfer neuerdings Entschädigungen?



    Insbesondere bei Hinterbliebenen nach 50 Jahren kann ich das nicht nachvollziehen...

    • @mensch meier:

      Der Staat ist dafür verantwortlich, dass die Athleten nicht beschützt wurden, obwohl es im Vorfeld eine klare Gefahrensituation gab.



      Er ist dafür verantwortlich, dass er sich in den Jahren davor bereits von palästinensischen Attentätern hat erfolgreich erpressen lassen und somit vermittelt hat, das gehe so weiter.



      Er ist dafür verantwortlich, dass er die Hilfe eines Spezialkommandos aus Israel abgelehnt hat, obwohl er selbst null Erfahrung in Geiselbefreiung hatte.



      Er ist dafür verantwortlich, dass die Polizistin, die bereits eine Vertrauensbasis zu den Attentätern geschaffen hatte von den Herren Polizeipräsidenten und bayerischer CSU Prominenz als kleines Mädchen abgetan und ignoriert wurden, während sie sich selbst bei der Anzahl der Attentäter verzählt und entsprechend weniger Scharfschützen bereit gestellt haben.



      Und das sind nur die Versäumnisse, die mir spontan einfallen…



      Manchmal sollte man einfach großzügig zahlen als Staat, wenn man auf ganzer Linie versagt hat.

    • @mensch meier:

      Ich weiß nicht, ob es eine rechtliche Verpflichtung gibt. Aber der Staat entschädigt gewissermaßen dafür, dass er nicht angemessen vor derartigem politischen Terrorismus schützen konnte. Natürlich wäre es besser, die Terrororganisation selbst in Haftung nehmen zu können. Ich habe gerade mal bei der Hamas angerufen: Die fanden das Attentat gut, aber wollen trotzdem nicht zahlen...

  • Also 1972 gezahlt, dann noch mal 2002 gezahlt, jetzt wieder 2022 weiterzahlen. Mal schauen, wer sich 2040 zu Wort meldet.