Pressefreiheit in Syrien: Parteiisch, aber unabhängig
Im Vergleich zu den Nachbarländern herrscht im Nordosten Syriens Pressefreiheit. Ein entscheidender medialer Akteur ist das Rojava Information Center.
Eine der Freiwilligen vom RIC ist die Kurdin Ahin Musa, die aus der rund 30 Kilometer von Qamişlo entfernten Stadt Amude stammt und seit drei Jahren im RIC arbeitet. „Als ich hier angefangen habe, gab es gerade die türkische Invasion in Serê Kanîyê und Girê Spî. Dabei habe ich selbst gesehen, wie es zu massiver Gewalt gegen Zivilisten gekommen ist – das wollte ich der Außenwelt mitteilen.“ Ein politischer Anspruch und Sympathien für Rojava leiten das RIC.
Rojava – das sind die vorwiegend von Kurd*innen bewohnten Gebiete im Norden und Osten Syriens, die sich vor zehn Jahren unabhängig erklärten. Seitdem versucht dort eine Selbstverwaltung eine basisdemokratische, geschlechtergerechte und ökologische Gesellschaft aufzubauen, die von Kommunen und Räten verwaltet wird. Zahlreiche Freiwillige engagieren sich vor Ort. Dabei spielt auch Medienarbeit eine entscheidende Rolle.
Rojava – das ist aber auch Bürgerkrieg, der Kampf gegen den sogenannten IS, Besatzung durch die Türkei, Flüchtlingslager, Wasserknappheit sowie weit verbreitete Armut. Verlässliche Informationen aus Krisengebieten sind besonders schwer zu bekommen, sagt die 28-jährige Ahin Musa, vor allem wenn neben seriösen Meldungen gleichberechtigt Desinformationen stehen.
Angriff und Aufbau
Daher sammelt das RIC Informationen über die Entwicklungen vor Ort und stellt diese internationalen Journalist*innen zur Verfügung, und zwar meistens gratis. Man wolle Journalist*innen die Möglichkeit zur Berichterstattung geben, „vor allem auch kleineren Medienhäusern, die selbst keine eigenen finanziellen Mittel haben“, sagt Hoffmann. Finanziert wird das Center hauptsächlich über Spenden, Großspender gibt es nicht. „Wir wollen nicht an unserer Arbeit verdienen, aber auch wir brauchen Geld, gerade die lokalen Mitarbeiter. Nur größere Auftragsarbeiten lassen wir uns bezahlen“, so Hoffmann.
Das RIC entstand nach dem türkischen Angriff auf Afrin 2018. Für die Türkei ist Rojava ein Ableger der als terroristisch eingestuften Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Sie ist daher dreimal völkerrechtswidrig einmarschiert und hält große Teile der Region besetzt. Das RIC berichtet über Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Angriffe. Ein weiterer Schwerpunkt der Berichterstattung ist der Aufbau der Selbstverwaltung: Berichte gibt es über Genossenschaften, ethnische Minderheiten oder die lokale Frauenbewegung.
Damit ist das RIC erfolgreich – und international anerkannt: Die Arbeiten werden von großen Medieninstitutionen wie BBC, CNN oder Zeit zitiert. In einer Whatsapp-Gruppe mit knapp 400 Journalist*innen veröffentlicht das RIC regelmäßig eigene Berichte.
Aus Sicherheitsgründen macht Hoffmann keine Angaben über die Anzahl der Mitarbeiter*innen, fügt aber mit süffisanten Lächeln hinzu: „Es sind weniger, als man denkt.“ An Arbeit mangelt es dem RIC nicht. In einem unscheinbaren Bürogebäude, dass es sich mit anderen Institutionen teilt, die der kurdischen Freiheitsbewegung nahestehen, sitzen die Mitarbeiter*innen an ihren Laptops. In zwei Abteilungen wird die Arbeit organisiert: eine arabisch/kurdisch- sowie eine englischsprachige Gruppe. „Man hilft sich aber gegenseitig“, sagt Musa.
Der Arbeitsalltag unterscheidet sich dabei zunächst nicht wesentlich von Medienhäusern in den USA oder Europa. Es wird viel telefoniert, die Mitarbeiter*innen betreiben eine Homepage und Social-Media-Kanäle, sitzen im Büro, erstellen Berichte und machen Übersetzungsarbeit. Manchmal bedeutet dies auch tagelang Layoutarbeit und Fußnotenkorrektur – „aber hier ist es revolutionär“, fügt Hoffmann lachend hinzu. Andere Mitarbeiter*innen reisen für Recherchen durch Rojava, was in einem Kriegsgebiet nicht ganz ungefährlich ist.
Neue internationale Kolleg*innen machen zuerst einen Sprachkurs. „Am Anfang war es schwer, weil die Länder und Kulturen so verschieden sind“, erinnert sich Ahin Musa. „Menschen sprechen nicht nur andere Sprachen, sondern verhalten sich auch anders. Aber das hat sich verbessert.“ Sie betont einen weiteren Aspekt: „Ich finde es sehr wichtig, das Internationalisten hier sind. Das ist sowohl gut für die Arbeit, aber es gibt mir auch viel Kraft, dass immer wieder Menschen nach Rojava kommen.“
Trotz einer politischen Nähe zur kurdischen Freiheitsbewegung betonen alle Mitarbeiter*innen die Unabhängigkeit des Centers. „Unser Aktivismus, besteht darin, die Wahrheit zu sagen“, so Hoffmann. Die Wahrheit ist hier – wie überall – politisch umkämpft.
Vor allem kurdische Medien sind meist eindeutig politischen Akteuren zuzuordnen. „Man kann relativ genau sagen, welches Medium zu welchem Akteur gehört.“ Zu diesem Ergebnis kommt Kerem Schamberger und spricht dabei von „externer“ und „interner Pluralität“. Damit meint er, dass sich politische Unterschiede in kurdischen Medien meist nicht innerhalb von Blättern oder Sendern, sondern zwischen ihnen finden lassen. Der 1986 geborene Kommunikationswissenschaftler hat jüngst seine Doktorarbeit zur Medienlandschaft in Kurdistan veröffentlicht.
Schutz und Zuschuss
Gerade im Vergleich zu den Nachbarländern und dem Rest Syriens besteht in den Gebieten der Selbstverwaltung eine vielfältige und auch kritische Medienlandschaft. „Journalist*innen können hier ihre Arbeit ohne große Einschränkungen machen“, so Schamberger weiter. Die Pressefreiheit ist sowohl im „Gesellschaftsvertrag“, der Verfassung Nordostsyriens als auch im neu ratifizierten Mediengesetz vom Sommer 2021 festgeschrieben. Dort heißt es, dass die Ausbildung von Journalist*innen unterstützt und finanziell gefördert werden soll. Zudem können Medien von lokalen Minderheiten bezuschusst werden.
Gleichzeitig ist die Medienlandschaft in Nordostsyrien hoch politisiert. Mit seiner klaren politischen Haltung ist das RIC daher nicht allein. Auch ein aktivistischer Hintergrund der Journalist*innen vor Ort ist nicht selten.
Diese haben häufig selbst Unterdrückung und Vertreibung erfahren. Für Ahin Musa ist es entscheidend, nicht nur über die lokale Bevölkerung zu sprechen: „Für uns ist es wirklich wichtig, die Stimmen der Menschen zu hören und ihre Sichtweisen in den Fokus zu rücken“, sagt sie. Auch Hoffmann stimmt zu. Er hofft darauf, dass sich das RIC selbst überflüssig macht: „Ich wünsche mir, dass man das RIC nicht mehr braucht, weil Journalisten ohne Probleme selbstständig kommen und berichten können.“
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