piwik no script img

Streitkultur in DeutschlandCharmante Konservative gesucht

Unser Autor wünscht sich kluge, wortgewandte Konservative für den gepflegten Streit. Doch bisher sucht er vergeblich.

In der Fantasie unseres Autors trinken Konservative liebend gerne harten Alkohol Foto: STAR-MEDIA/imago

W ie sehr wünsche ich mir, wir hätten kluge und wortgewandte konservative Autor*innen, Po­li­ti­ke­r*in­nen und Stimmen in Deutschland, mit denen man gepflegt streiten und argumentieren könnte. Konservative, die einen zwingen, eigene Argumentation zu einem politisch relevanten Thema zu schärfen oder sogar an einigen Stellen zu korrigieren, die einen zum Grübeln bringen und manchmal auch zum Lachen – über sich selbst als rote Socke und diese verrückte Welt.

Wie schön wäre es, auf Podien zu sitzen, sich mit gutem Gewissen, faktenbasiert und humorvoll, Studien, Hypothesen und Theorien an den Kopf zu werfen, danach gemeinsam einen Weinbrand oder Rakı zu trinken. Ja, in meiner Fantasie trinken Konservative liebend gerne harten Alk. Ich wurde vor rund zwei Monaten gefragt, ob mir in Deutschland jemand einfalle, der*­die auf dieses konservative Dating-Profil passen würde. Seitdem denke ich darüber nach: Mir sind zwei, drei, viereinhalb Namen eingefallen.

Ich werde die Namen nicht nennen, weil das Wort „konservativ“ zum Schimpfwort geworden ist, mit dem man sich mittlerweile gut hänseln kann. Ich weiß auch nicht, ob sich diese viereinhalb Menschen selbst so bezeichnen würden. Ich würde es nachvollziehen können, wenn sie es nicht tun. Kann man doch gut die konservative Diskurskarambolage jeden Tag mit Schrecken beobachten.

Fehlende Abgrenzung

Überall (!) wimmelt es in Deutschland von Konservativen, die sich nicht von extrem rechten, nationalistischen und menschenfeindlichen Gruppen und Ansichten abgrenzen wollen. Sie fischen gerne in der braunen Brühe, was ihnen anscheinend einen Extrakick verleiht. Sie machen genau das, was sie anprangern: canceln, pöbeln, Fakten erfinden, so wie es ihnen gerade passt. Sie sudeln sich in Transfeindlichkeit, Antisemitismus oder Gewalt gegenüber Minderheiten. Dabei machen sie grundsätzlich Unterschiede, ob Gewalt aus ihrer Sicht von einem Inländer oder einem Ausländer ausgeht. Mit doppelten Standards können sie gut jonglieren. Sie wissen das. Ihnen macht das nichts aus.

Es ist unattraktiv, auf die konservativen Takes zu antworten. Weder in sozialen Medien noch in Gastbeiträgen oder auf Podien, wo ich mir zumindest wie eine Suchmaschine vorkomme, wenn ich ganz basale Erkenntnisse aus Journalismus oder Sozialwissenschaften erklären muss. Die Debatte hat gar nicht angefangen, da ist schon die Zeit vorbei und ich flüchte, bevor jemand noch auf die Idee kommt, man könne gemeinsam einen trinken gehen.

Demokratie lebt auch von Debatte, aber mit wem will man eigentlich reden? Ich bin selbst in einer Sache verlässlich althergebracht: in meinem Pessimismus. Ich bin überzeugt, dass sich mein Wunsch nach cuten Konservativen in diesem Land nie erfüllen wird. Ach, wie schön wäre es, wenn mich jetzt jemand mit Beispielen zum Grübeln bringen würde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Erinnert sich noch jemand daran, dass Rita Süssmuth für die Rede von Nelson Mandela im Bundestag 1996 gegen Mitglieder der CSU argumentieren musste?

  • Eine geistvoll-differenzierte konservative Person ist nicht "cute".



    Eine geistlose, nationalistische, wachstumsgläubige, umweltignorante und sonstwie auf den Erhalt bestehender Ungleichheit fixierte Person schon gar nicht.

  • Wolfgang Schäuble würde ich vorschlagen, fand das Interview mit Emilia Fester im Spiegel vor kurzem ganz gut…hab aber keine Ahnung ob der (harten) Alkohol trinkt…

  • Hinsichtlich Eloquenz, Rhetorik und Scharfzüngigkeit fielen mir spontan die folgenden drei Namen ein: Henryk M. Broder, Jan Fleischhauer und Nikolaus Blome, in genau dieser Reihenfolge. Die beiden letztgenannten bezeichnen sich auch gerne selbst als konservativ, ohne pejorative Konnotation.

  • Ich könnte mir vorstellen, dass Walter Lübcke so ein Konservativer gewesen ist.

    Heiner Geißler war auch sehr diskussionsfreudig. Zumindest als er ein bisschen altersmilde wurde.

    Bei den Lebenden würde mir Norbert Röttgen einfallen. Vielleicht Diana Kinnert.

    Man muss sie schon suchen, aber man kann sie auch finden.

    Ich als schlichter Leser schaue auch öfter mal an den Wasserlöchern der Konservativen vorbei:

    FAZ, Cicero, NZZ.

    Manchmal liest man da ganz erstaunliche Dinge.

  • Könnte es sein, dass der Umstand, dass Ihnen nur 4 1/2 Namen von Personen einfallen, denen sie das Etikett "konservativ" zuschreiben könnten, eher ein Merkmal dafür ist, in welcher kommunikativen Blase Sie sich selbst bewegen?

  • Vielleicht sollten wir uns als (eher) Nicht-Konservative stärker zusammenschließen und gegenseitig stärken und kämpfen, anstatt naiv auf den ,,Ritterschlag" durch den ,,Konservatismus" zu warten, und sei es auch nur durch einen gemeinsamen ,,Drink''.

    Der Konservatismus ,,zieht sein Ding durch'' (Extravismus, Wirtschaftswachstum, Absatzmärkteexpansion, Druck auf die Lohnarbeiter - Löhne sind ,,variables Kapital'') und tut freiwillig doch nichts gegen Klassismus/ Rassismus/ Sexismus ...(es sei denn ,,die Frauen" oder ,,Diversität" werden als Produktivitätsfaktor ,,entdeckt''...).



    Wirklich ,,dazugehören" kann man sowieso nicht. Ein Beispiel: Die ,,Quandt-Stiftung'' besitzt in Berlin das Elternhaus von Max Liebermann, der u.a. Vorsitzender der Akademie der Künste war. Man wird ausgeplündert, ob man dazugehört/ -gehören will oder nicht.

    Cognac für alle oder gar nicht!

  • 6G
    659554 (Profil gelöscht)

    Was will man diskutieren mit Leuten für die das Recht des Stärkeren (isso) Grundlage von Gesellschaft ist? Solange sie das nicht infrage stellen, kann man nicht diskutieren, sobald sie esinfrage stellen, sind sie keine Konservativen (gilt auch für alle sonstigen Neoliberalen von FDOP über SPD bis zu Realo-Grünen) mehr.

  • Da fallen mir spontan George Clooney vom Rhein, aka Norbert Röttgen, Rita Süssmuth, Armin Laschet, Karl-Josef Laumann und Manfred Weber ein. Würde mich aber auch sehr interessieren, welche Vorschläge andere Leser noch haben.

    Mir sind aber keine profilierten Nachwuchskonservative bekannt, die zu einem seriösen Diskurs befähigt eären.

  • Einfach mal die FAZ lesen.

    Und in deren Forum können Sie auch sehr offen und vehement widersprechen.

    Die Zeitung ist konservativ in dem Sinne, dass sie freie Meinungsäußerung als hohes Gut sieht und außer Hetze viel zulässt.

    Die anti-sozialen Medien können Sie vergessen. Ersticken in Hass und Gift und machen nur dümmer und dümmer. Die Leute verkommen.