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Nur 12 Prozent vom Gas für StromAtomkraft? Braucht es nicht

Der TÜV meint, stillgelegte AKW könnten schnell wieder genutzt werden. Doch es gibt effizientere Wege, Gas zu sparen, als Laufzeiten zu verlängern.

Atomkraftwerk Isar2: Laut Studien würde ein Weiterbetrieb der drei noch laufenden Reaktoren der Gasverbrauch in Deutschland nur um rund 1 Prozent sinken Foto: Armin Weigel/dpa

Freiburg taz | Immer wieder kommen neue Vorschläge, durch den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken in Deutschland den Erdgasmarkt zu entlasten. Jetzt äußerte sich der TÜV-Verband sogar dahingehend, dass auch die drei bereits zum letzten Jahreswechsel vom Netz gegangenen Reaktoren wieder in Betrieb genommen werden könnten. Die seit nunmehr sieben Monaten abgeschalteten Blöcke seien nach wie vor in einem sicherheitstechnisch ausreichenden Zustand, so der TÜV.

Stellt man die sicherheitstechnischen, wirtschaftlichen, logistischen und juristischen Fragezeichen hintenan, bleibt vor allem eine Frage: Was brächte zusätzlicher Atomstrom dem Gasmarkt wirklich? Zur ersten Einordnung lohnt ein Blick auf diese Relationen: Nur gut 15 Prozent des Stroms in Deutschland wurden im Jahr 2021 aus Erdgas erzeugt und nur 12 Prozent der verbrauchten Gases wurden für die Stromerzeugung genutzt.

Damit wird bereits deutlich, dass das größte Potenzial zur Erdgaseinsparung nicht im Stromsektor liegt. Der Versuch, durch eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken Erdgas zu sparen, dürfte zu den ineffizientesten Ansätzen zählen. Kürzlich hatten zwei unabhängig voneinander erschienene Studien von Strommarktanalysten gezeigt, dass durch einen Weiterbetrieb der drei noch laufenden Reaktoren der Gasverbrauch in Deutschland nur um rund 1 Prozent sinken würde. Das liegt daran, dass nach den Mechanismen des Strommarkts die eher unflexiblen Atomkraftwerke lediglich andere unflexible Kraftwerke verdrängen würden, in erster Linie Kohlekraftwerke. Die Gaskraftwerke als die flexibelsten Anlagen würden weiterhin am Markt bleiben, weil das Stromsystem deren Flexibilität benötigt und entsprechend wirtschaftlich belohnt.

Zudem würde – auch das sind schlichte Marktgesetze – ein Teil der Mehrerzeugung bei einer Laufzeitverlängerung in die Nachbarländer abfließen. Aktuell exportiert Deutschland in der Bilanz auch wegen der hierzulande noch laufenden drei Atomreaktoren viel Strom; seit Jahresbeginn lag der Exportüberschuss bei mehr als 18 Milliarden Kilowattstunden. Der Strom ging vor allem in die Schweiz, nach Österreich, Polen und Frankreich.

Industrie mit 37 Prozent

Dass man in anderen Sektoren mehr Potenzial zur Gaseinsparung hat als im Strommarkt, zeigen diese Zahlen: Die größten Gasverbraucher sind die Industrie mit zuletzt 37 Prozent Anteil, die Haushalte mit 31 Prozent sowie Handel, Gewerbe und Dienstleistungen mit 13 Prozent. Würden diese genannten Sektoren nur jeweils 15 Prozent ihres Gasverbrauchs einsparen – ein Ziel in dieser Höhe hat die EU just für den nationalen Verbrauch gesetzt – würde so viel Erdgas gespart wie heute die gesamte Stromwirtschaft benötigt.

So lenkt die Atomdebatte nur davon ab, dass die größten Einsparpotenziale für Erdgas im Wärmesektor und in der Industrie liegen. Zum Wärmesektor eine einfache Überschlagsrechnung: Würde alleine in den Häusern, die für 31 Prozent des Erdgasverbrauchs stehen, die Temperatur um 1 Grad reduziert, hätte man den gesamten Gasverbrauch im Land um 2 Prozent gesenkt. Damit wäre mehr Gas gespart, als laut den jüngsten Marktanalysen durch eine Laufzeitverlängerung der AKWs erzielt würde.

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16 Kommentare

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  • Was spricht eigentlich gegen die Dual-Fluid-Reaktortechnik?

  • Spart man 15% des Gases bei den diversen Verbrauchern und weitere 12% in der Stromerzeugung, sind es zusammen halt 27% und nicht nur 15%.

  • Was an "wir sparen mit Atomkraft nur 1% Gas" haben die Kommentierenden hier eigentlich nicht verstanden?

    • @Samhayne:

      "wir sparen mit Atomkraft nur 1% Gas" ... Strom kommt ansonsten aus der Steckdose.

      Gaskraftwerken sollten als Backup für die Erneuerbaren im großen Stil neu gebaut werden, allein 80 Kraftwerke in Deutschland bis 2030. Ich denke schon, dass wir zukünftig mit Atomenergie was fürs Klima tun sollten, statt billiges russisches oder teures LN Gas zu verbrennen.

  • "Jetzt äußerte sich der TÜV-Verband sogar dahingehend, dass auch die drei bereits zum letzten Jahreswechsel vom Netz gegangenen Reaktoren wieder in Betrieb genommen werden könnten."

    'Sogar'?



    Ist das nicht genau seine Aufgabe? Die technischen Gegebenheiten auf Sicherheit zu untersuchen?



    Denn erst Informationen dieser Art ermöglichen eine echte Diskussion, ob man das möchte oder nicht.

  • Spätestens seit Beginn der Diskussion zum Klimawandel wurde klar, dass die Atomenergie das kleinere Problem und sogar ein Teil der Lösung sein wird. Vor dieser Erkenntnis aus Prinzip die Augen zu verschließen, ist ziemlich dämlich. Alle Argumente pro Atomkraft sind überhaupt nicht neu, im Lichte des Klimawandels sind die Probleme mit Atomkraft lösbar.

    Der nächste Rückschritt deutete sich schon an: es gibt nicht genug Strom für die Energiewende zum E-Auto. Werden Verbrenner nun doch länger gebraucht?

  • Der Ansatz des Autoren ist eutlich zu kurz gefasst. Was passiert beispielsweise, wenn der Winter sehr kalt und gleichzeitig die Gaslieferungen weiter zurück gehen und dann verstärkt über Stromgeräte geheitzt werden sollte?

    Die im Artikel genannten Gaseinsparungen müssen trotzdem vorgenommen werden und sind keine Alternative sondern eine begleitende Massnahme.

    Wenn dann im Zweifel halt etwas mehr Strom hergestellt als benötigt werden sollte, dann ist dies im Sinne einer lösungsorientierten Politik sicherlich hinnehmbar.

  • Dass ein taz-Autor und "Freund sachlicher Analysen" bereit ist linke Kernüberzeugungen wie die Bekämpfung des Klimawandels, die europäische Solidarität und das Wohl der ökonomisch Schwächten über Bord zu werfen nur damit 3 bis 6 durch- und quergeprüfte, tüv-besiegelte Anlagen nicht 3 bis 6 Monate länger laufen, ist einfach nicht rational zu verstehen.

    Die Atomkraftwerke verdrängen also nur den von Habeck wiederbelebten Kohlestrom? Erklären Sie bitte nachfolgenden Generationen, dass Sie lieber diese Luft- und Klimaverpester wieder ans Netz gelassen haben als die Atommeiler ein bisschen länger laufen zu lassen.

    Der meiste Atomstrom wird exportiert? Erklären Sie bitte unseren europäischen Nachbarn (die zum Teil unsere Atomkraftwerke sogar leasen wollen!), dass sie den aus Deutschland gekauften Strom ja gar nicht brauchen, und schon gar nicht in der jetzigen Krise.

    Die Leute können doch einfach ihre Wohnungen 1 Grad kälter machen? Erklären Sie bitte den Mietern billiger, zugiger Altbauwohnungen, dass sie jetzt noch ein Grad runter regulieren müssen, damit Sie 6 Monate früher eine Champagnerflasche zum Tod des letzten AKW köpfen können.

    Ist halt "effizienter"?

    Was die beiden Studien angeht die sie nicht-zitieren (eine ist vmtl. die von Brainpool im Auftrag von - wait-for-it - Greenpeace Energy, der Link im Text führt aber lediglich zu einer Studie von 2021):

    Wie Sie selbst berichteten sind die Münchner Grünen anderer Meinung. Anders als aus Ihrer Berichterstattung erfährt man bei der Süddeutschen Zeitung auch warum (www.sueddeutsche.d...s-krise-1.5625375):

    "[Krause] führt den aktuellen Gesinnungswandel auf neue Erkenntnisse bei den Stadtwerken zurück. Diese würden nun in Aussicht stellen, dass sie im Notfall die Fernwärmeversorgung "nahezu ohne Gas" organisieren könnten, sagte Krause. [...] [A]llerdings würde dann der in diesen Anlagen auch produzierte Strom fehlen. Den könnte Isar 2 liefern."

    • @Max Rapp:

      klar und sachlich auf den Punkt 👍🏾

  • Die ganze Debatte ist doch nicht durch Vernunft geleitet, sondern durch Profilierung. Dank Putins Gas-Lieferstop hat man nun einen Hebel gefunden ein Kernthema der Grünen anzugreifen und kostet diesen weitestmöglich aus. Dabei würden diejenigen die nun lautstark eine "ideologiefrei Debatte" einfordern selbst nach einem Super-GAU noch wider jede Vernunft für AKWs argumentieren weil es die konservative Klientel eben genauso bedient wie die immer wieder hervorgekramten Debatten um Wehrpflicht, Vorratsdatenspeicherung, etc.

  • "...dass das größte Potenzial zur Erdgaseinsparung nicht im Stromsektor liegt."



    Hat der Autor schon einmal etwas von "Sektorenkopplung" [1] gehört oder gelesen?



    Gas lässt sich trefflich einsparen, wenn man den Heizenergiebedarf in den Stromsektor verschiebt, mit Heizlüftern, Nachtstromspeicheröfen, Wärmepumpen...



    Natürlich wird dann ein Kohle- und Atomausstieg illusorisch.



    [1] de.wikipedia.org/wiki/Sektorenkopplung

    • @sollndas:

      BTW: Ich hab's geahnt, dass der Aufkleber auf meinem betagten Citroen C1 noch mal aktuell wird, der da seit dem Ausstieg aus dem Ausstieg klebt: "Atomkraft? Nicht schon wieder!"

  • Das Argument, das im Artikel gemacht wird, funktioniert doch nur, wenn sich die verschiedenen Einsparmöglichkeiten irgendwie ausschließen würden. Der Autor kann nicht plausibel machen, wieso das der Fall sein sollte und übrig bleibt ein hilfloses "die Atomdebatte lenkt ab".

    Bei der gesamten Diskussion über Gas fällt außerdem die Klimafrage komplett hinten runter. So auch im Artikel: Atomkraftwerke bringen's nicht weil sie ersetzen Kohlekraftwerke statt Gaskraftwerke. Ja hallo, mir könnte kein besseres Argument einfallen, die Dinger weiterlaufen zulassen.

  • Die Debatte in deutschland ist eine viel zu ideologisch geführte Debatte. Das IPCC zeigt auf dass der CO2 ausstoß während des gesamten Lebenszyklus bei um die 10g CO2 pro kWh erzeugt, was vergleichbar mit erneuerbaren Energien ist (archive.ipcc.ch/pu...en/ch4s4-3-2.html), außerdem zeigen mehrere Studien, dass die Gefahr und Verschmutzung von Atommeilern deutlich geringer ist als vermutet und sich ähnlich dem der erneuerbaren befindet. Während Kohlekraftwerke ca. 7 millionen menschen jährlich töten. (sitn.hms.harvard.e...ks-nuclear-power/)

    Das Klima- und Umweltgerechtere wäre die Meiler weiterlaufen zu kassen UND mehr zu bauen um eine Grundlast herzustellen. Außerdem würde überschüssige Energie den gesamten EU-Raum entlasten. Jedes Gramm CO2 ist zuviel und jetzt Kohlekraftwerke wieder anlaufen zulassen ist ein Verrat an den Jahrzehnten Arbeit der Klimaschützer.

  • Meiner Meinung nach wäre es trotzdem sinnvoller die AKWs über den Winter laufen zu lassen anstatt schmutzigste Braunkohlekraftwerke wieder anzufeuern. Davon abgesehen lässt sich aus Strom leicht wieder Wärme herstellen. Heizlüfter sind ja aktuell die Verkaufsschlager.

    Und zu guter Letzt: Können wir wirklich von unseren europäischen Nachbarn Einsparungen und Solidarität verlangen, während wir funktionstüchtige Kraftwerke abschalten? Ich glaube eher man wird uns den Vogel zeigen..

    • @CrushedIce:

      Absolute Zustmmung. Ich kann das grad gar nicht mehr ernst nehmen, mit welcher Verbohrtheit diese Debatte geführt wird, während wir von Europa Solidarität beim Gas einfordern.

      Wir haben uns selbst abhängig gemacht von Russland. Wir sind diejenigen, die deshalb jetzt auf Hilfe angewiesen sind, fahren dreckige Kohlekraftwerke wieder hoch, für die wir ander Länder großmaulig kritisieren.

      Gleichzeitig sind wir aber keinen Milimeter bereit, unsere starren Prinzipien in einer Notsituation für ein paar Monate hinten anzustellen.

      Und um das zu untermauern, gibts nahezu täglich Vorträge, in denen man die Argumente so zurecht legt, dass ja kein temporärer Kompromiss möglich erscheint.