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Recht auf Abtreibung in den USADer Friedhof linker Bewegungen

Die US-Demokraten machen gern auf Vorkämpfer für Frauenrechte. Nur: Für den konsequenten Schutz beim Recht auf Abtreibung stehen auch sie nicht.

Anfang Juli: Aktivistinnen und Frauenrechtlerinnen protestieren vor dem Weißen Haus in Washington Foto: Michael Mccoy/reuters

I ch fühle mich ein wenig wie Sisyphos, wenn ich über Politik in den USA oder mein eigenes politisches Engagement nachdenke. Ich wurde 2006 durch die Bewegung gegen den Irakkrieg politisiert und habe in meinem Erwachsenenleben erfahren, wie das Recht auf Abtreibung durch das Urteil Roe v. Wade zu einem ewigen Wahlkampfthema wurde. Ich sah, wie die Demokratische Partei den Diskurs über und die politische Mobilisierung für Frauenrechte ausgenutzt hat, um Wahlen zu gewinnen, ohne jemals ihre Versprechen einzulösen.

Zehn Jahre lang wurde eindringlich vor einer Rücknahme von Roe v. Wade gewarnt, aber den Demokraten gelang es nicht, Schwangerschaftsabbruch gesetzlich zu schützen. Wie es aussieht, verursacht all die moralische Empörung ebenso wie Präsident Joe Bidens Aufruf, mit der Stimmabgabe im November dafür zu sorgen, dass die Republikaner kein landesweites Abtreibungsverbot installieren, eine kollektive senile Demenz.

Ich war von 2006 bis 2008 eine Aktivistin der wiederbelebten Organisation Students for a Democratic Society (SDS) und sah, wie meine Mitstreiter*innen, die ihre Regierung kritisiert und den Irakkrieg strikt abgelehnt hatten, auf die Straße gingen, um Wahlkampf für Obama zu machen. In Obamas erstem Jahr im Weißen Haus, als die Demokraten für zwei Jahre im Kongress eine nicht überstimmbare Mehrheit hatten, erlebte ich die Einverleibung wichtiger radikaler Gewerkschaften ins demokratische Lager, weil es Obama so wollte. Ich erlebte, wie der Employee Free Choice Act, den Obama im Wahlkampf den Gewerkschaften versprochen hatte und der die Bildung von Gewerkschaften erleichtern sollte, im Senat nicht mal diskutiert wurde.

Dann strichen die Demokraten das Recht auf Finanzierung einer Abtreibung aus Bundesmitteln selbst im Fall einer Vergewaltigung, von Inzest oder eines Risikos für das Leben der Mutter aus dem Entwurf für Obamacare. Die Gesundheitsreform drohte zu scheitern, weil die Demokraten sich um Schwangerschaftsabbruch stritten. Statt den freien Zugang zu Abtreibungen gesetzlich abzusichern, blieb dies bei der Verabschiedung von Obamacare auf der Strecke. Stattdessen unterschrieb Obama einen Exekutiverlass, durch den bestimmte Einschränkungen für Frauen, die abtreiben wollten, festgeschrieben wurden. Damals begann der Prozess meiner Abwendung von der Demokratischen Partei.

Oft las ich in den folgenden zehn Jahren von immer neuen Beschränkungen des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch in konservativen Bundesstaaten, aber die Demokraten hielten still. Und jetzt, im Jahr 2022, bitten sie um meine Stimme, um ein Recht zu schützen, das sie bisher nicht schützen wollten? Auf gar keinen Fall!

Rückblickend auf die 50 Jahre, in denen Roe v. Wade Bestand hatte, und die davor liegenden zehn Jahre der Frauenbewegung wird deutlich, dass das Urteil von 1973 nicht der Gipfel der Frauenbefreiung war, sondern ihr kleinster gemeinsamer Nenner. Die Demokraten missbrauchten das Thema, um die Frauenbewegung in eine Ecke zu drängen, in der es nur noch um rechtliche Fragen geht. Dabei ging nicht nur die Vorstellung verloren, was alles möglich gewesen wäre, sondern auch die politische Dynamik, die eine tiefer gehende gesellschaftliche Transformation beabsichtigt hatte.

Roe v. Wade ist eines der konkretesten Beispiele, wie die Demokratische Partei zum Friedhof für linke Bewegungen wird, für die Rechte und die Freiheit von Frauen und der Arbeiterklasse. Der Kulturkrieg um Abtreibung geht an den Bedürfnissen armer und arbeitender Frauen im 21. Jahrhundert vorbei. Es bedarf eines anderen Kampfes für ihre Rechte und Interessen.

Aus dem Englischen von Stefan Schaaf

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8 Kommentare

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  • Joe Biden war 1973 auch schon in der Politik. Als gläubiger Katholik war er damals ganz sicher schockiert vom damaligen Urteil des SC. Heute redet er anders darüber. Menschen wie ihn gibt es in großer Zahl bei den Demokraten. Die Partei ist ein riesiger Machtapparat. Sie besteht nicht nur aus einem auffällig lauten linken Flügel (Ocasio-Cortez und andere), sondern aus zahllosen Persönlichkeiten und ebensovielen Meinungen zum Thema Abtreibung/Lebensschutz. Nicht alle malen nur Schwarz oder nur Weiß. Die bei vielen (längst nicht allen) Republikanern vertretene Position des Totalverbots ist bei den Demokraten sehr selten. Selten ist aber auch die Position der bedingungslosen Abtreibungsfreiheit ohne Rücksicht auf die Rechte des entstehenden Menschen. Roe vs Wade hatte da sehr klar und sehr rigoros entschieden und eine Linie gezogen: bis zu dem Zeitpunkt, wo der Fötus außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre, durfte Abtreibung nicht generell verboten werden. Diese Grenzziehung ist eine von vielen möglichen. Viele Republikaner werben jetzt für den Zeitpunkt des ersten Herzschlags als die Grenze. Von den Demokraten hört man bisher wenig Beiträge, wo sie die Grenze eigentlich gerne ziehen wollen. Es wäre Zeit, sich Gedanken zu machen...

  • Und wieder ein Beitrag der taz zu Thema Abtreibung. Und wieder kommt das werdende Leben nicht vor: Kein Wort davon, dass bei jedweder Regelung zwei wichtige Rechtsgüter gegeneinander abgewogen werden müssen: Reproduktive Selbstbestimmung auf der einen Seite - Lebensrecht des neu entstehenden Menschen auf der anderen Seite.

    Ich würde mir von der taz mal einen Artikel zu genau diesem Themenkomplex wünschen. Darin würde dann logischerweise die Frage im Mittelpunkt stehen, ab wann ein Mensch eigentlich ein Mensch ist (und nicht nur ein Haufen Zellen in einer Gebärmutter). Taz-Autoren müssen dazu doch eine Position haben? Ist es der Zeitpunkt, wo die Nabelschnur durchgetrennt wird? Oder etwas früher, wenn das Baby den Mutterleib verlässt? Oder noch etwas früher, wenn die Fruchtblase platz? Oder gar noch früher? Liebe taz-Autoren, mich würde interessieren, was ihr dazu meint....

    • @Winnetaz:

      Das ist doch keine Frage die von einer Zeitung gelöst werden kann. Ich für meinen Teil möchte die Kompetenz dieser Frage hauptsächlich bei der schwangeren Frauen aufgehoben sehen. Der Gesetzgeber hat zu gewährleisten, das die betroffenen Personen die Unterstützung bekommen die sie sich wünschen. Überhöhte Ideale von ungeborenen Leben helfen da wenig und sind aus meiner Sicht ein Eingriff in die Freiheitsrechte. Die aktuelle Gesetzeslage zum Zeitpunkt ist in Deutschland gut. Sie lässt den jungen Müttern einen Spielraum frei zu entscheiden.

  • Wie nennt sich ein politisches Systhem bei dem man 2 Parteien zur Auswahl hat, von denen eigentlich keine den Willen der meisten Wähler vertritt?

    eligere minus malum?

    Und Obama ist ein sehr charismatischer Blender.

    • @Obscuritas:

      Immerhin hatten die USA einen charismatischen Blender, unsere Blender sind in der Regel sterbenslangweilig.

      • @Jim Hawkins:

        Charismatische Blender sind gefährlicher. Sie können noch besser schlechte Politik als gut verkaufen.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Mag sein.

          Geglaubt wird beiden, weil man glauben will.

  • Der Fluch eines Zwei-Parteien-Systems.