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England im Halbfinale der Heim-EMGroßes Spiel, großer Sieg

Spanien liefert den besten Auftritt eines Teams bei dieser EM. Dennoch steht das willensstarke England im Halbfinale und hat nun beste Aussichten.

Robust: Nach nicht ganz korrekter Vorbereitung schießt Ella Toone England in die Verlängerung Foto: dpa

Brighton taz | Es war mehr Staunen als Analyse. Englands Trainerin Sarina Wiegman konnte es nach dem Spiel einfach nicht fassen. „Das Niveau war so hoch“, sagte sie. Oder: „Spanien ist ein so großartiges Team.“ Oder: „Wir haben so viel Qualität im Kader“. Auf englischer Seite hätte man vermutlich die ganze Nacht im Falmer Stadium von Brighton damit verbringen können, die Besonderheiten dieses Viertelfinales noch einmal an sich vorüberziehen zu lassen.

Und selbst der unterlegene spanische Coach Jorge Vilda erklärte: „Wenn es irgendeinen guten Weg gibt, gut aus dem Turnier auszuscheiden, dann so, wie es meine Spielerinnen heute gezeigt haben.“

Einige der knapp 29.000 Zu­schaue­r:in­nen dürften sich an diesem Abend die Hände mit Klatschpappe wundgeschlagen haben, so sehr wurden sie von dem letztlichen Schlagabtausch mitgerissen. Lange Zeit jedoch beeindruckten vornehmlich die Spanierinnen. Wenn sich die technisch so versierte Aitana Bonmati in höchster Bedrängnis drehte und wendete, bis sie die ideale Anspielstation gefunden hatte, war auch bei den einheimischen Fans ein leises Raunen zu vernehmen.

Man fühlte sich nach den ersten noch ausgeglicheneren Minuten ein wenig an die Vorrunde erinnert, als starke Teams wie Deutschland und Dänemark gegen diese Ballzirkulationskünstlerinnen vorab kapituliert hatten und sich vornehmlich darauf konzentrierten, überall die Räume rechtzeitig zu schließen.

Dass an diesem Abend mit Millie Bright wieder mal eine Abwehrspielerin bei den Spanien­besiegerinnen als beste Spielerin ausgezeichnet wurde, wie Marina Hegering beim 2:0-Erfolg der Deutschen, passt in dieses Muster. Spanien ist für seine Gegnerinnen bei dieser EM der ultimative Stresstest gewesen. „Ich denke, wir haben Widerstandskraft gezeigt“, sagte Wiegman zur langen Phase der Bedrängnis.

Willensstarke Engländerinnen

Der Unterschied war nur, dass die Gastgeberinnen durchaus gewillt waren, ihre enorme Offensivkraft in Szene zu setzen. Allerdings hatten Beth Mead, Francesca Kirby oder Lauren Hemp kaum einen Meter Platz. Die Spanierinnen hatten nicht nur häufiger den Ball, sondern liefen auch noch gute drei Kilometer mehr, weil sie mit ihrem massiven Gegenpressing grandios die Räume verdichteten und völlig verdient in der 54. Minute in Führung gingen. Ein Grund vielleicht, warum das englische Team am Ende in der Verlängerung ein wenig frischer wirkte.

Bis zum späten Ausgleich durch Ella Toone (84. Minute) hatten sie dem Team, das bislang 14 Treffer in drei Spielen erzielte, lediglich einen Schussversuch gestattet. Paradoxerweise ist das spanische offensive Spiel vor allem eine Defensivwaffe, denn es sprang auch in Brighton trotz der häufigen Strafraumbelagerungen zu wenig Zählbares aus den eigenen Angriffen heraus.

Denkt man sich noch die Weltfußballerin Alexia Putellas und die abschlussstarke Jennifer Hermoso dazu, die verletzungsbedingt ausfielen, dann weiß man, dass Trainer Vilda kurz vor Mitternacht nicht übertrieb, als er bilanzierte: „Wir haben ein Team mit großer Zukunft. Das hat die EM gezeigt.“ Aber auch der Nachwuchs sei vielversprechend.

Berechtigte Hoffnung auf mehr

Wer ein solches Team bezwingt, bedarf aber ebenfalls einer Würdigung. Denn Millie­ Bright hatte durchaus recht, als sie das Spiel als eines der besten überhaupt einstufte. Und dazu braucht es ein zweites Team. Nach dem Rückstand kam von der englischen Ersatzbank mächtig Schwung ins Spiel. Bright befand: „Ich denke, unsere Mentalität, in jeder Minute des Spiels rücksichtslos zu bleiben, war unglaublich, und ich denke, wir haben gezeigt, worum es uns geht.“

Hinzu kam die emotionale Aufbauarbeit durch das Publikum. Sarina Wiegman sprach von einer „unglaublichen Erfahrung“ und einem klaren Heimvorteil. Möglicherweise spielte der auch bei der Beurteilung des Treffers, der aus einer Zusammenarbeit der eingewechselten Toone und Alessia Russo entstand, eine Rolle. Russo hatte nämlich nicht wirklich regelkonform mit Hilfe des Ellenbogens verhindert, dass ihre Gegenspielerin Irene Paredes auf gleiche Sprunghöhe kommen konnte. Selbst das Videoschiedsrichterteam traute sich nicht, den Treffer zurückzunehmen.

Nun wurde das englische Team von einer Euphoriewelle getragen. Der Glaube, alles schaffen zu können, war wieder da. Ein beeindruckendes Zeugnis davon gab Georgia Stanway ab, als sie es in der 96. Minute einfach mal aus der Distanz versuchte und traf. Es war das Startsignal für die Party von Brighton. Die Perspektiven für das Turnier sind nun äußerst rosig. England hat das Team geschlagen, das die bislang beste EM-Leistung zeigte. Ein Spiel, das in die Reihe der großen Klassiker aufgenommen werden dürfte.

Sarina Wiegman hätte das Spiel beinahe verpasst. Erst wenige Stunden vor Anpfiff konnte sie wieder einen negativen Coronatest vorweisen. Am Ende der Pressekonferenz fasste sie lächelnd zusammen: „Was für ein verrückter Tag.“

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3 Kommentare

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  • @GRAVIUS



    Ich kann ihr Argument hinsichtlich 'dem Spass' nicht ganz nachvollziehen. Sicherlich ist es ärgerlich, durch eine wahrscheinliche Fehlentscheidung ein Tor zu bekommen. Die



    Fehlentscheidung kam von der VAR, die Schiedsrichterin konnte die Szene m.E. gar nicht richtig sehen.



    Aber mit solchen Entscheidungen muss man leben, ohne Schiris gehts nun mal nicht. Dss gilt ja für alle Sportaren.



    Das Spiel selbst war wie im Artikel beschrieben herausragend, so macht Fussball doch Spaß.

  • 4G
    44733 (Profil gelöscht)

    Deswegen macht Fußball keinen Spaß: Ella Toone rammt ihre Verteidigerin beim Kopfballtor mit dem Ellbogen weg. Nur die Entscheidung der Schiedsrichterin, kein Foul zu pfeifen, ist für den Spielausgang entscheidend.

    • @44733 (Profil gelöscht):

      1. Das war kein Tor



      2. Das war nicht "weggerammt"



      3. Das Spiel hatte auch noch 123 andere Minuten.



      Insofern kann ich dem "nur" nicht zustimmen, und auch nicht dem "keinen Spaß". Trotzdem war die Entscheidung grenzwertig, das stimmt.



      Fußball ist nunmal ein Spiel, bei dem nur meistens die bessere Mannschaft gewinnt. Man könnte das aber auch für ein positives Merkmal eines Sports halten.