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Nach Angriff auf Schwulen-Bar in OsloDer große Fehlschluss

Den Kampf gegen Islamismus darf man nicht den Rechten überlassen. Denn besonders muslimische Queers sind von islamistischer Gewalt betroffen.

Am 25. Juni gedenken Menschen am Brandenburger Tor der Opfer des Anschlags in Oslo Foto: Carsten Koall/dpa

J edes Jahr soll der Pride Month im Juni an den New Yorker Stonewall-Aufstand von 1969 erinnern, bei dem sich Queers gegen Polizeigewalt und systematische Unterdrückung verbündeten und auflehnten. Leider kommt es aber genau in diesem Monat oft zu Übergriffen und Gewaltakten gegen die LGBTIQ-Community. So endet der Pride Month auch in diesem Jahr mit einer traurigen Bilanz: Hunderte Verhaftungen bei der eigentlich verbotenen, aber dennoch abgehaltenen Pride in Istanbul. Das vom Obersten Gerichtshof der USA gekippte Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Und nicht zuletzt der Anschlag auf eine Schwulenbar in Oslo, bei dem zwei Menschen getötet und mehrere verletzt wurden.

Bei Letzterem setzte leider allzu schnell die hinlänglich bekannte Spirale aus Anschuldigungen ein. Als publik wurde, dass der Täter als Jugendlicher aus dem Iran eingewandert und den norwegischen Sicherheitsbehörden bereits aus islamistischen Kreisen bekannt war, ging es los: Rechte instrumentalisierten den Anschlag, um gegen Migrant_innen und insbesondere Muslim_innen zu hetzen und ihr rassistisches Weltbild zu legitimieren. Muslim_innen wiederum beklagten diese Hetze und den antimuslimischen Rassismus, den sie tagtäglich erlebten und der sie alle unter Generalverdacht stelle, wann immer sich ein solcher Anschlag ereignet. Das stimmt natürlich. Rechte Hetze ist gewaltvoll und es ist rassistisch, von einem Extremisten auf eine gesamte Community zu schließen.

Aber 2001 ist eine ganze Weile her und ich frage mich langsam, wann ein bisschen Fortschritt in diese Debatten kommt. Wann hören wir eigentlich damit auf, die Rechten den Ton angeben zu lassen und immer nur auf sie zu reagieren, anstatt eine eigene Position zu formulieren?

Es heißt oft, das Narrativ des homofeindlichen Islam mache queere Muslim_innen unsichtbar, die es ja schließlich auch gebe. Ja, stimmt, aber genauso gibt es – wie wohlgemerkt in jeder Religion – einen Fundamentalismus, der queere Menschen als unnatürlich und falsch ansieht. Und dazu gehören auch muslimische Queers, ob es nun Schwule sind, Lesben, trans Personen oder cis Frauen, die einfach gerne mit wechselnden Partner_innen Sex haben. Dass sie muslimisch sind, ändert nichts daran, dass Islamisten sie bekehren, bestrafen oder gar töten wollen. Überhaupt sind es doch gerade Muslim_innen, die global und in Zahlen betrachtet, am schlimmsten betroffen sind vom Islamismus. Sollte es also nicht insbesondere in unserem Sinne sein, diese Ideologie zu benennen und zu bekämpfen?

Schutz vor Verfolgung

Dieser Kampf muss ja nicht zwangsläufig in der Auseinandersetzung mit gewaltbereiten Extremisten geschehen. Auch in gemäßigteren religiösen Räumen und Strömungen sind miso­gynes und queerfeindliches Denken fest verankert, wir alle sind früher oder später mit solchen Weltbildern konfrontiert, wenn wir uns in diesen Kontexten bewegen. Die Frage ist, wie gehen wir damit um? Nur eine Idee: Wie wäre es mit derselben Entschlossenheit, mit der wir jeden AfD-Futzi-Tweet skandalisieren?

Besonders fatal ist der weitverbreitete Fehlschluss, die AfD habe einen größeren Machteinfluss auf unser Wohlbefinden und sei damit weitaus gefährlicher, weil sie schließlich im Bundestag sitze, im Gegensatz zu irgendwelchen Kiez-Fundis in the making. Das verkennt nicht nur die Erfahrungen von unzähligen Geflüchteten, die hier Schutz vor der Verfolgung islamistischer Regime suchen und plötzlich feststellen müssen, dass deren Strukturen auch bis in die deutsche Gesellschaft reichen. Es ist schlicht inkonsequent, das Thema Islamismus den Rechten zu überlassen. Weil man sich in seiner AfD-Kritik als stabile Antifaschist_in profiliert, ohne anzuerkennen, dass es herzlich wenig gibt, was Islamisten von deutschen Nazis unterscheidet.

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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9 Kommentare

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  • Extremismus in Auslegung und Ideologie und vor allem in Fundametalistischer Deutung irgendwelcher Lehren ist immer eine Gefahr für andere.

    Die als Religion manifestierten Umgangs- und Lebenslehren oder auch nur Geschichten die sich als Non plus Ultra Lebenscredo erklärten, finden immer welche, die - darin eine Missionarsaufgabe oder Pflicht sehen.



    Matyrerisch - Die Welt vom Übel zu befreien - oder sei es nur für das eigene Lebens-Chaos einen Sühne oder Sündenbock auszumerzen oder um sich für das Paradies zu qualifizieren.

    Wie besonders GUT und GÖTTLICH diese Religionen, oder entstandene Politische Regime daraus, wirklich und effektiv agierend sind, zeigt uns die Weltgeschichte oder die Ursprungs-, Stammländer.

    Unsere - Staatsformen und viele Mitmenschen entwickeln sich immer mehr zur Volltoleranz in Täterverständniss und Akzeptanz. Hauptsache es gibt einen vermeintlichen Liberalen Fortschritt für die Missionare die unser Land oder uns Heiden bekehren.

  • Danke für diesen Beitrag! Volle Zustimmung.

    Als schwulem Mann ist mir immer schon sauer aufgestoßen, wenn Antirassismus - trotz der guten Intention - im Ergebnis zu Solidaritätsentzug für Queers führt und den lösungsorientierten Diskurs verhindert. Besonders bitter wird es, wenn sich im selben Atemzug noch gegenseitig für die antirassistischen Verdienste auf die Schulter geklopft wird.

    Sascha Lobo hat es bereits 2020 nach dem Attentat in Dresden auf den Punkt gebracht: "Die deutsche Linke [...] haben zweifellos versäumt, eine nichtrassistische Islamismuskritik zu entwickeln." www.spiegel.de/net...-8279-e5c606f2a82f

  • Die Förderung des liberalen Islams, islamischer Schulunterricht durch liberale Gelehrte, die Kooperation mit liberalen Moscheen, die auch Queer-Menschen zulassen, die Vermeidung jeder Heuchelei und doppelter Maßstäbe, sowie der Kampf gegen jede Form von Ausgrenzung und Rassismus könnte die Basis begründen, dass Queer-Feindlichkeit innerhalb der muslimischen Gemeinschaften abnimmt. Im Koran fehlt anders als in der Bibel eine Verurteilung der Homosexualität (die diesbezüglichen Referenzen beschreiben tatsächlich Vergewaltigungen), der Islam verfügt auch anders als vielen bekannt über eine jahrhundertelange (im Vergleich zum Christentum) Toleranz gegenüber Homosexualität, einschließlich einer homoerotischen Literatur, nachzulesen u.a. in "Islam and Homosexuality" von Samar Habib. Diese Liberalität ist leider in der modernen Zeit zurückgegangen. Entscheidend ist, Homophobie nicht mit dem Islam gleichzusetzen, die christlichen Fundamentalisten in den USA, die sich weltweit ausdehnen, sind genau so zu thematisieren wie islamische Homophobe. Wenn nur eine Religion thematisiert wird, kann dies als anti-islamisch missverstanden werden und dadurch im Rahmen von Reaktanz zum glatten Gegenteil führen.

    • @PolitDiscussion:

      Wikigedöns hat dazu eine interessante Passage (s.u.) dazu. Demnach finden vor allem religiöser Eiferer, Fundamentalisten solche Stellen in der Bibel und lesen diese in ihrem homophoben Sinne.

      Nd ihre Beurteilung des Islams scheint auch vorne und hinten nicht zu stimmen (siehe www.deutschlandfun...angst-vor-100.html )

      "diskutiert. Orthodoxe Juden, evangelikale Christen, die römisch-katholische Kirche und orthodoxe Kirchen entnehmen daraus meist weiterhin ein unbedingtes aktuelles Verbot praktizierter, vor allem männlicher Homosexualität. Historisch-kritische Ausleger betonen dagegen, dass die Bibel Homosexualität als individuelles Identitätsmerkmal, festgelegte Konstitution oder Orientierung nicht kenne[2] und homosexuelle Handlungen nur als Teil von Fremdkulten, als Vergewaltigung, Prostitution und außereheliche Promiskuität verbiete.[3] Deshalb ist umstritten, ob und wieweit diese Texte für die heutige Sexualethik herangezogen werden können." ( de.wikipedia.org/w...zur_Homosexualität )

  • "Da hört man noch weniger. Kein Wunder, dass das Thema vor allem rechts belegt ist." Das ist es ja, was bemängelt wird. Das wird sich nicht ändern, da die Gesellschaft pseudoliberal ist. Denn bei jedem zweiten Wort einem Sexismus oder Rassismus unterstellt, nur weil man nicht ins gleiche Horn bläst. Die Welt ist nun mal nicht schwarzweiß. Auch wenn es soviel einfacher wäre!

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Gut, dass das endlich einmal jemand sagt. Ich sehe da auch keinen Unterschied und man/frau kann auch das gleiche über christliche Fundamentalisten sagen.

  • " Es ist schlicht inkonsequent, das Thema Islamismus den Rechten zu überlassen."



    Sehr richtig. Nur sollte auch was von Links kommen, da hört und liest man zu wenig und zu undifferenziert, weil Islamismus-Kritik ja gleich böser Rassismus sein kann. Und auch von den Muslimen selbst könnte ein lautstarkere Distanzierung zum Islamismus kommen. Da hört man noch weniger. Kein Wunder, dass das Thema vor allem rechts belegt ist.

    • @Stefan L.:

      Bei aller Kritik am politischen Islam darf man aber nicht vergessen das er auch durchaus Linke Themen wie Solidarität und Antiimperialismus sowie Antikolonialismus vertritt.



      Das dürfte auch der Hauptgrund für die Angriffe der Rechten gegen den Islam sein.

  • Danke.