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Vor dem Linkenparteitag in ErfurtUngewisse Hoffnung aufs Morgenrot

Die Linke trifft sich zum Parteitag in Erfurt. Auf dem dreitägigen Treffen sucht sie nach einem Ausweg aus ihrer Existenzkrise.

Einerseits kämpft die Linke ums Überleben, andererseits ist sie an vier Landesregierungen beteiligt Foto: Stefan Boness/Ipon

Das Parteitagsmotto

Das offizielle Parteitagsmotto hätte kaum besser gewählt sein können: „… es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Das passt gut auf den Zustand der Linken – auch wenn der, von dem es abgeschrieben ist, in einem etwas größerem Maßstab gedacht hat. Denn der Halbsatz stammt aus den Feuerbachthesen von Karl Marx. Der ganze Satz lautet im Original von 1845: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern.“ Nun ja, bevor sie daran denken kann, die Welt zu verändern, wird die Linke erstmal bei sich anfangen müssen. Ob ihr das gelingen wird?

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Die Ausgangslage

Die Linkspartei befindet sich in einer tiefen Krise. Bei der vergangenen Bundestagswahl schaffte sie mit 4,9 Prozent nur noch dank drei gewonnener Direktmandate den Wiedereinzug ins Parlament. Bei den Landtagswahlen in diesem Jahr bekam sie Splitterpartei­ergebnisse zwischen 1,7 und 2,6 Prozent. In ihren besten Zeiten war die Linke in 13 von 16 Landesparlamenten vertreten, heute sind es nur noch 8 – wobei Hessen das einzig verbliebene westliche Flächenland mit einer Linksfraktion ist.

Mit Ausnahme Thüringens befindet sich die Linke auch in den östlichen Bundesländern im Sinkflug, hier bewegt sie sich inzwischen um die 10 Prozent, Tendenz fallend. Das liegt weit unter den Ergebnissen, die einst die PDS holte, die zu ihren Hochzeiten überall im Osten über der 20-Prozent-Marke lag.

Laut einer Studie der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) auf der Basis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar können sich 18 Prozent der Wäh­le­r:in­nen vorstellen, für die Linke zu stimmen. In den bundesweiten Umfragen rangiert die Linkspartei trotzdem nur bei 4 Prozent.

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Die Regierungsbeteiligungen

Während die Linkspartei einerseits um ihr Überleben kämpft, ist sie andererseits derzeit an vier Landesregierungen beteiligt, so vielen wie noch nie in ihrer Geschichte: in Berlin, in Bremen, in Mecklenburg-Vorpommern und in Thüringen, wo sie mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt.

In diesen vier Ländern habe die Linkspartei gezeigt, dass sie „auch bei allen Rückschlägen und Niederlagen wirksame Verbesserungen und Fortschritte erzielen“ könne, heißt es in einem gemein­samen Brandbrief der Vorsitzenden der Linken-Landesverbände mit Regierungsbeteiligung. Dort sei sichtbar, „dass wir für eine moderne sozialistische Politik stehen, die sich von SPD und Grünen unterscheidet“. Es müsse auch wieder auf Bundesebene gelingen, den Gebrauchswert der Linken als soziale Kraft „erkennbar und erlebbar“ zu ­machen.

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Die Parteitagsstadt

Nicht nur weil es die Hauptstadt des ersten und bisher einzigen Bundeslands ist, in dem sie den Regierungschef stellt, hat das Thüringische Erfurt für die Linkspartei eine ganz besondere Bedeutung. Denn hier verabschiedete sie 2011 – nach Abarbeitung von fast 1.400 Änderungsanträgen – ihr erstes und bisher einziges Grundsatzprogramm. Beschlossen mit 503 Ja-Stimmen bei 4 Gegenstimmen und 12 Enthaltungen wird das 75-seitige „Erfurter Programm“ seitdem in der Partei hochgehalten wie anderswo die Bibel.

Und warum ging die Linkspartei damals nach Erfurt? Wegen der Symbolik: Weil hier bereits 120 Jahre zuvor „ein Programm der Arbeiterbewegung“ entstand, wie es Oskar Lafontaine formulierte. 1891 beschloss die SPD ihr – wesentlich kürzeres – „Erfurter Programm“, das erste Grundsatzprogramm der Partei nach dem Ende des Sozialistengesetzes Bismarcks.

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Die inhaltlichen Konflikte

Drei Leitanträge, die der Parteivorstand eingebracht hat, sollen in Erfurt verhandelt werden. Zwar bergen auch der erste, in dem es vorrangig um Klimagerechtigkeit und die sozialökologische Transformation geht, und der zweite zur Veränderung der Parteistrukturen einiges Konfliktpotenzial.

Heftig zur Sache wird es aber wohl vor allem bei dem dritten Antrag gehen, dem zum Ukraine­krieg. Nur die Überschrift scheint nicht umstritten zu sein: „Keine Aufrüstung, kein Krieg. Für eine neue Friedensordnung und internationale Solidarität“. Ansonsten gibt es rund 400 Änderungsanträge.

Hauptstreitpunkt ist die Feststellung, Russland verfolge „eine imperialistische Politik“, die das Putin-Regime „gegenüber der eigenen Bevölkerung durch eine nationalistische, militaristische und autokratische Großmachtideologie“ legitimiere. Das wollen zahlreiche An­trag­stel­le­r:in­nen streichen lassen, darunter die Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht, die stattdessen eine schärfere Kritik am Westen und an der Nato fordern.

Sprengkraft könnte auch die für Freitagabend angesetzte Generaldebatte zum Thema „Kampf gegen patriarchale Machtstrukturen, Gewalt und Sexismus“ haben, bei dem es um den Umgang mit den MeToo-­Vor­würfen in der Linkspartei geht. Per Twitter hat die Linksjugend [’solid] allerdings versprochen, sie werde „auf dem Bundesparteitag weder Tomaten, Kuchen noch andere Lebensmittel auf Parteimitglieder werfen“.

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Das Personalkarussell

Nach dem Rücktritt der Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow Mitte April hat die Linke beschlossen, auf dem Parteitag in Erfurt ihre komplette Parteispitze neu zu wählen. Alle Posten sind heftig umstritten.

So muss sich die Parteivorsitzende Janine Wissler bei ihrer Wiederkandidatur der Bundestagsabgeordneten Heidi Reichinnek erwehren. Hinzu kommt noch die frühere sächsische Landtagsabgeordnete Julia Bonk, der aber keine Chancen eingeräumt werden.

Für den zweiten Vorsitzendenplatz kandidiert Martin Schirdewan, der Vorsitzende der Linken im EU-Parlament, gegen den sächsischen Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann. Außerdem gibt es noch fünf weitere Basiskandidaturen, die aber als aussichtslos gelten.

Zur Einordnung: Die 41-jährige Hessin Wissler kommt aus der „Bewegungslinken“, der 46-jährige Thüringer Schirdewan gilt als Pragmatiker. Ihre Wahl entspräche der Fortsetzung jener zentristisch orientierten Parteispitze, wie es sie seit der Wahl 2012 von Katja Kipping und Bernd Riexinger gibt.

Die Wahl der 34-jährigen Niedersächsin Reichinnek und des 45 Jahre alten Sachsen Pellmann wäre hingegen ein Bruch damit. Nicht nur dass Pellmann offensiv von Sahra Wagenknecht unterstützt wird, er und Reichinnek stehen auch an der Spitze eines Personaltableaus, mit dem die umstrittenen Bundestagsfraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali offenkundig versuchen, eine ihr genehme Parteiführung zu installieren.

Falls das gelingen sollte, würde das rein machttaktisch motivierte „Hufeisen“-Bündnis aus „reformerischen“ Gefolgsleuten von Bartsch und den überwiegend linkskonservativen An­hän­ge­r:in­nen seiner früheren Co-Vorsitzenden Sahra Wagenknecht, das bisher schon die 39-köpfige Bundestagsfraktion dominiert, auch die Partei übernehmen.

Das gleiche Schema wie bei der Vorsitzendenwahl ist bei der Besetzung des Bundesgeschäftsführerpostens erkennbar, wo mit Tobias Bank ein Mitarbeiter der Bundestagsfraktion gegen den Bewegungslinken Janis Ehling, den früheren Geschäftsführer des Studierendenverbands Die Linke.SDS, ins Rennen geht. Als Schatzmeisterin kandidiert die aus dem Umfeld von Bartsch protegierte rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Melanie Wery-Sims gegen den Amtsinhaber Harald Wolf, den früheren Berliner Wirtschaftssenator.

Ob die Bar­tschis­t:in­nen und die Wa­gen­knech­tia­ne­r:in­nen sich durchsetzen werden, ist allerdings alles andere als ausgemacht. Die Widerstände gegen sie sind groß. Wie die Mehrheitsverhältnisse auf dem Parteitag letztendlich aussehen werden, ist derzeit schwer abschätzbar. Zumal die einzelnen Strömungen keine monolithischen Blöcke bilden. Das gilt allerdings genauso für die andere Seite, für die „Bewegungslinken“ und die nicht Bartsch zuzurechnenden Re­for­me­r:in­nen vor allem aus Thüringen und Berlin.

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Das Jubiläum

Kaum zu glauben: Die Linkspartei feiert in diesem Jahr ihren 15. Geburtstag. Am 16. Juni 2007 schloss sich die ostdeutsch geprägte PDS mit der westdeutsch dominierten WASG zusammen. Die neue Linkspartei stehe „in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung“ und habe einen „historischen Auftrag“, rief Oskar Lafontaine auf dem Fusionsparteitag in Berlin aus: „Wir wollen mitwirken am Aufbau des Sozialismus des 21. Jahrhunderts.“

Die Rede von Lothar Bisky, dem anderen Gründungsvorsitzenden, fiel weniger pathetisch aus. „Ach, hätten wir Linken doch in der kategorialen Wüste der Besserwisserei ein Stück jener sinnlichen Vorstellungskraft schon zurückerobert, die für andere Menschen nachvollziehbar den Lebensgenuss vor den Bes­ser­wis­ser­frust stellt“, sagte Bisky nachdenklich. Und er mahnte: „Eines brauchen wir in der neuen Partei bestimmt nicht: Unterstellungen und Denunziationen.“

Der weitsichtige Bisky und der wortgewaltige Lafontaine, der auch der Bundestagsfraktion vorstand, prägten zusammen mit Co-Fraktionschef Gregor Gysi die Anfangszeit. Dabei übertünchten Aufbruchstimmung und Wahlerfolge der ersten Jahre viele ungelöste Konflikte, die im Gründungsprozess ausgeblendet worden waren. 2010 traten Bisky und Lafontaine von der Parteispitze ab. Das einigende Zen­trum zerfiel, die Partei begann auseinanderzudriften.

Fünf Jahre nach der Gründung konstatierte Gysi 2012 auf dem Parteitag in Göttingen: „Unser größtes Ziel ist es, eine solidarische Gesellschaft zu erreichen, und wir selber führen vor, nicht einmal untereinander solidarisch sein zu können.“ Möglicherweise sei es „besser, sich fair zu trennen, als weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachtreten und Denunziation eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen“. Damals hielt Lafontaine noch dagegen: „Wir haben kein Recht, diese linke Partei zu verspielen!“

Lothar Bisky und Oskar Lafontaine sind heute nicht mehr dabei: Der eine starb viel zu früh 2013, der andere ist im März dieses Jahres ausgetreten. Verblieben ist nur Gregor Gysi. Aussichtslos erscheinende Situationen würden ihn reizen, so der 74-Jährige. Er merke, „wie in mir langsam wieder eine Leidenschaft entsteht, weil ich das nicht wahrhaben will“, sagte Gysi der taz.

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Der Gründungskonsens

Viel wird in diesen Tagen der Gründungskonsens der Linkspartei beschworen. Selbst Sah­ra Wagenknecht – die nach eigenen Angaben aufgrund eines Coronaverdachts dem Parteitag fernbleiben wird – fordert eine „Rückbesinnung“ auf selbigen – worunter sie die Selbstbeschränkung auf das Eintreten „für mehr soziale Gerechtigkeit und für Frieden“ versteht. Aber ist das tatsächlich der Gründungskonsens?

Auf zwei parallel stattfindenden Parteitagen verständigten sich im März 2007 die PDS und die WASG auf „Programmatische Eckpunkte“, die die Grundlage für ihre Vereinigung im Juni 2007 bildeten. Darin heißt es: „Gemeinsam wollen wir eine Partei, wie es sie in Deutschland noch nicht gab – Linke einigend, demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend.“

Das sollte die Linke sein, das war ihr Gründungskonsens. Er blieb ein hehrer Anspruch.

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