Ausstellung von Indigenen aus Australien: Die Ahnen suchen

Im Berliner Humboldt Forum erzählen australische Indigene eine Schöpfungsgeschichte. In starken Bildern – und mit überraschend positivem Blick.

Eine Figur aus Gras und Stoff, die ihre Arme baumartig bewegt

In den Installa­tionen zu den sieben Schwestern tauchen diese Figuren von Judy (Yuki) Trigger auf Foto: Jens Kalaene/dpa

Kunst und Kulturgüter der australischen Aborigines stehen in Deutschland vor allem dann im Fokus des Interesses, wenn sie unrechtmäßig hierhergelangt sind, könnte man meinen. Im Berliner Humboldt Forum ist nun jedoch mit „Songlines. Sieben Schwestern erschaffen Australien“ eine Ausstellung aus dem National Museum of Australia in Canberra zu sehen, deren Vorgeschichte sehr anders ist: Angehörige der Anangu suchten den Kontakt zum National Museum und baten um Unterstützung beim Bewahren ihrer Überlieferungen.

„Songlines. Sieben Schwestern erschaffen Australien.“ Humboldt Forum Berlin, bis 30. Oktober.

Die Beziehung zu ihrem „Country“ sei insbesondere unter den jüngeren Aborigines nicht mehr eng genug, Traditionen und das Wissen über das „Dreaming“, die indigenen Vorstellungen über die Entstehung der Welt, drohten zu verschwinden.

In „Songlines“ steht nun eine wichtige Ahnenlegende der Aborigines im Mittelpunkt. Demnach erschufen sieben Schwestern den australischen Kontinent auf der Flucht vor einem Mann, je nach Region Yurla oder Wati Nyiru genannt, der als Formwandler versucht, eine der Schwestern zu entführen. Im Humboldt Forum wird sie nun in Bildern erzählt.

In der australischen Landschaft, die in Form von Fotografien Teil der Ausstellung ist, meint man die „Songlines“, die Ahnengeschichten, in den bräunlichen Boden eingraviert zu sehen. Rot grenzen sich lange Linien, womöglich einstige Wasserläufe oder mineralische Besonderheiten, vom Umland ab, zeichnen die vermeintlichen Spuren der sieben Schwestern in die Erde.

Gemälde als Landkarten

Das Land ist auch in den ausgestellten Gemälden stets präsent, die von den indigenen Künst­le­r:in­nen mitunter in gemeinschaftlicher Arbeit geschaffen wurden. Der Blick kommt so meist von oben, organische Formen fügen sich zu landkartenartigen Gebilden zusammen, auf denen sieben zusammenhängende Symbole meist in einigem Abstand zu einer achten Form, dem Verfolger, zu erkennen sind.

Beeindruckend sind jedoch besonders die fast lebensgroßen Skulpturen aus Gras, Sperrholz und Stroh, die die sieben Schwestern porträtieren. So zeigt die Künstlerin Judy Trigger die Frauen rastend, während der Formwandler Wati Nyiru, getarnt als Baum, ganz in der Nähe lauert. Die Funken des Lagerfeuers meint man selbst in der sterilen Museumsumgebung dank des geschickten Einbezugs der Schatten fliegen zu sehen.

Die Legende der Sieben Schwestern ist wie viele quasireligiöse Gleichnisse gewöhnungsbedürftig: Ein Mann macht sieben ansonsten selbstständigen Frauen das Leben schwer, ohne dass diese sich nachhaltig wehren (können). Doch der Kampf ums Jagen und Gejagtwerden ist in der indigenen Vorstellung so alt wie das Menschengeschlecht selbst und kann niemals enden, muss man Wati Nyiru doch exemplarisch als für alle Männer stehend begreifen.

Er versucht die Frauen nicht nur zu fangen, sondern bedient sich archaischer Verführungstaktiken; die Schlange hat ebenso ihren Auftritt wie ein saftiger Feigenbaum. Im Gegensatz zur alttestamentlichen Eva, die sich trotz Überflusses im Paradies zur verbotenen Handlung hinreißen lässt, widerstehen die sieben Schwestern der Versuchung und der Frucht, obwohl sie der Hunger plagt.

Verbindung zur griechischen Mythologie

Überhaupt hat die eigenen Angaben zufolge über 60.000 Jahre alte Schöpfungsgeschichte mit monotheistischen Erzählungen wenig gemein und erinnert in ihrer Symbolik eher an griechische Mythologie: Dem Formwandler steht der Verführer und Entführer Zeus gegenüber. Die weibliche Schöpfungskraft, die einen ganzen Kontinent zum Entstehen bringt, findet sich in Gaia, der Erde, wieder.

Die Geschichte der australischen Aborigines ist gewalt- und leidvoll. Die Kolonisierung des Kontinents durch europäische Siedler, die brutalen Massaker kommen in der Ausstellung nicht vor. Dabei dürften die über 200 Jahre unter britischer und australischer Herrschaft Mitschuld daran tragen, dass die alte Kultur den Zugang zu ihren Wurzeln verliert.

Die australische Assimilationspolitik und die Praxis des zwangsweisen Erziehens von indigenen Kindern in weißen Gastfamilien hat auch für das Entstehen einer heute verloren genannten Generation gesorgt. Viele Aborigines leben in Armut, ihre Arbeitslosenquote ist dreimal, die Kindersterblichkeit doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung Australiens.

Man interessiere sich jedoch mehr für die Zukunft als für die Vergangenheit, formuliert es die australische Kuratorin Margo Neale, selbst indigener Abstammung, im Booklet zu der Ausstellung. „Songlines“ diene der Bewahrung des kulturellen Erbes und kommt als solche tatsächlich auch ohne die Nennung von Daten oder politische Einordnung gut aus. „Nothing about Us without Us“, so die hier wohl eingehaltene Forderung indigener Aktivist:innen. Sie darf gerne öfter Gehör finden.

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