Berliner Stadtkultur im Humboldt Forum: Müll und Mythen

Bei der Neuköllner Oper gehen Zugänglichkeit und politische Inhalte oft Hand in Hand. Jetzt gastiert sie im Berliner Humboldt Forum

Eine Bühne mit bunt verkleideten Personen

Die Neuköllner Oper zu Gast im Humboldt Forum Berlin mit „Mexico Aura“ Foto: Philipp Plum

Für ein Museum ist das Berliner Humboldt Forum mehrere Nummern zu groß. Es gibt in der Schlossattrappe nicht nur das Ethnologische Museum an sich, sondern auch enorm viel Luftraum, etwas Gastronomie und nicht zuletzt zahlreiche Nebengelasse, die nicht ständig bespielt werden, in denen aber prinzipiell internationale Symposien abgehalten, Konzerte gegeben oder Theaterproduktionen gespielt werden können.

Als Veranstaltungsort etabliert haben sich diese mannigfaltigen räumlichen Möglichkeiten für das Berliner Kulturleben noch lange nicht. Mit der Neuköllner Oper, Berlins tradi­tions­reichstem alternativem Musiktheater, ist nun für ein paar Sommerwochen schon einmal ein nicht unbedeutendes Stück Berliner Stadtkultur in den Saal 2 des Humboldt Forums eingezogen. Die Neuköllner haben über viele Jahre ein sehr eigenes, dabei stets volksnahes Profil entwickelt, bei dem politischer und musikalischer Anspruch Hand in Hand gehen. Das sind gute Voraussetzungen für das Bespielen dieses neuen hauptstädtischen ­Kulturraums, der politisch in doppelter Hinsicht umstritten ist: als rückwärtsgewandtes architektonisches Megaprojekt zum einen und zum anderen aufgrund des zunehmenden Legitima­tionsdrucks, dem ethnologische Museen sich heutzutage ausgesetzt sehen.

Die Diskussionen um die Restitutionsansprüche von Ländern, aus deren kolonial besetzten Gebieten Kunstgegenstände einst mitgenommen wurden, sind nur der greifbarste Aspekt eines Problemkomplexes, bei dem es um weit mehr geht als um ein paar Skulpturen: Es geht um das Recht auf eine eigene Geschichte sowie Geschichtsschreibung und um die Emanzipation von der historisch ererbten Last, anhaltend aus der Perspektive früherer Besatzer wahrgenommen zu werden.

Bilder anderer Kulturen

„Mexico Aura“ wieder am 29./30./31. 7. und 4./5. 8., jeweils um 19 Uhr im Humboldt Forum Berlin, Saal 2

Mit der Produktion „Mexico Aura – The Myth of Possession“ hat die Neuköllner Oper eigens ein Projekt für diesen Ort entwickelt. Es unternimmt den ambitionierten Versuch, dieser komplexen Problemstellung Rechnung zu tragen. Aus Beiträgen der AutorInnen John von Düffel (Deutschland) und Eva Hibernia (Spanien) sowie der Musik der mexikanischen Komponistin Diana Syrse (die als Sängerin zugleich die Hälfte aller weiblichen Gesangsparts des Abends trägt) ist eine Art performative Collage entstanden. Sie wird vom Zafraan Ensemble musikalisch souverän begleitet – unter der Leitung von Melissa Pan­lasigui, die als Dirigentin im zentralen Bühnenhintergrund platziert ist wie eine Hohe­priesterin des Taktmaßes und damit auch rein optisch die Produktion zusammenhält. Denn die Szenen, die von Düffel und Hibernia zum Thema entwickelt haben, nähern sich diesem von sehr verschiedenen Seiten.

Von Düffel nimmt den Fall des Claas Relotius auf, der mit sensationell gefälschten Spiegel-Reportagen aufflog. Er macht aus dem erfindungsreichen Reporter einen Bühnenerzähler, dessen Berichte von Müllkippen-Elend, vom Kampf um Leben und Tod an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze und von uralten, auf die Mayas zurückgehenden Klistierritualen, die der Reporter angeblich am eigenen Leib erfahren hat, wir nicht ernst nehmen können. Wir wissen ja von vornherein, dass wir diesem Erzähler misstrauen müssen. Aber ist es nicht so, dass wir generell zu gutgläubig sind, wenn Erzählungen uns in unseren vorgefassten Bildern fremder Kulturen bestärken?

Wie diese Bilder anderer Kulturen bewahrt oder verändert werden können, thematisieren die Szenen von Eva Hibernia, in denen eine Museumskuratorin mit einer kritischen Bewerberin zusammentrifft. Hat die Kuratorin recht, wenn sie ihre Arbeit des Sammelns und Bewahrens um jeden Preis verteidigt?

Diana Syrse und Ana Schwedhelm, die sämtliche weibliche Gesangsrollen der Produktion bestreiten (alle männlichen Rollen schultert der Bariton Justus Wilcken), liefern sich ein ausdauerndes musikalisches Streitgespräch, das, wie übrigens sämtliche Texte der Produktion, zweisprachig an der Wand mitgelesen werden kann. Doch trotzdem hat man Mühe zu folgen, viel wurde in das Libretto hineingepackt, was inhaltlich vage bleibt.

Der Müllhaufen der Geschichte

Es gibt auch so schon genug zu verarbeiten für das Publikum; denn während Diana Syrses Musik eng und expressiv verstärkend an der gesungenen Szenenfolge entlang komponiert ist, spielt auch noch eine Choreografie mit einem gewissen Eigenleben mit. Ab und zu werden die fünf TänzerInnen direkt in die Handlung involviert. Mit ihnen gelingt es dem Regisseur Christopher Roman, den gesamten Raum zu nutzen; und wenn man zwischendurch etwas ermüdet beim Bemühen, konstant den Text zu verfolgen, kann es sehr entspannende Wirkung haben, den TänzerInnen zuzusehen.

Auch die Kostüme (Rebekka Dornhege Reyes) sind inspi­rierend: Zu Beginn bestehen sie schlicht aus übereinander­gezogenen Trikots verschie­dener Farben, in die große runde Löcher hineingeschnitten wurden, was hübsche Effekte ergibt.

Am Ende des Abends präsentieren sich alle Mitwirkenden in sensationell recycelten Prunkgewändern aus billigem Abfallmaterial. Schließlich begann der Abend ja auf einer Müllkippe. Ob damit wohl auch der Müllhaufen der Geschichte gemeint ist, auf den wir alle unseren exotisierenden Blick auf das Fremde entsorgen sollen, kann jede und jeder für sich selbst entscheiden.

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