Neue Castingshow auf Netflix: Frankreichs erwachsener HipHop
Die Netflix-Serie „Rhythm + Flow: Nouvelle École“ sucht den nächsten Rap-Superstar. Eine musikalische Tour de France ist sie nicht – dennoch sehenswert.
Avantgarde ist man nie lang. Vor allem nicht im französischen Rap. Vor rund sechs Jahren erst haben sie selbst ihren Durchbruch erlebt, nun suchen die Juror:innen der Castingshow „Rhythm + Flow: Nouvelle École“ schon nach ihrer Nachfolge. Rap ist in Frankreich ein so schnelles wie großes Geschäft: Der Französische HipHop-Markt ist nach den USA der zweitwichtigste. Dort erschien 2019 das Original der Castingshow „Rhythm + Flow“ mit den Künstler:innen Cardi B, Chance the Rapper und T.I. in der Jury, bekannten Größen der US-HipHop-Kultur.
Auch für die erste europäische Variante sind drei Schwergewichte verpflichtet worden: Niska, Shay und SCH zählen zu den aktuell erfolgreichsten französischsprachigen HipHop-Künstler:innen. Für „Nouvelle École“ scouten sie in ihren jeweiligen Heimatstädten Paris, Marseille und Brüssel Nachwuchstalente, die in Disziplinen wie Freestyle, Battle oder dem Dreh eines Musikvideos gegeneinander antreten müssen. Dem oder der Gewinner:in winken 100.000 Euro. Kein schlechter Startschuss für eine erfolgreiche Rapkarriere.
Bevor es nach Paris zum großen Casting geht, treffen die Juror:innen in ihren Heimatstädten eine Vorauswahl. Begleitet werden sie dabei von Künstler:innen aus ihrem Umfeld. Immer wieder wird das musikalische Erbe der jeweiligen Städte betont, die für unterschiedliche HipHop-Stile bekannt sind. Welche das sind, wird vorausgesetzt, als musikalische Tour de France funktioniert „Nouvelle École“ also leider nicht.
„Rhythm + Flow: Nouvelle École“: 8 Folgen auf Netflix
Gefilmt wird dabei an unterschiedlichen Locations, die den Künstler:innen etwas bedeuten: Im legendären Velodrome, dem Stadion von Olympique Marseille, auf einer Terrasse mit Blick auf den Eiffelturm, aber auch in einem Parkhaus in Brüssel. Dort hätten viele Künstler:innen angefangen, erklärt Musikerin Shay ihre Wahl. „Wir haben alle in Parkhäusern gedreht.“ „Es ist das Fundament“, antwortet Frenetik, der sie auf der Suche nach Brüsseler Talenten begleitet. „Zugleich das Reinste und das Schmutzigste.“
Der Pariser Rapper Niska empfängt zwei seiner Kandidat:innen zwischen den Hochhäusern seiner Banlieue. Beide rappen etwas vor, der Superstar entscheidet, wen er mitnimmt. Ganz einfach, ohne Trommelwirbel. Und doch wirkt die Show dabei genauestens choreografiert, die Auftritte sind perfekt inszeniert. Gerade das macht sie so sehenswert.
Gesucht wird der nächste Superstar
„Nouvelle École“ ist eine Castingshow, die eher wie ein Spielfilm daherkommt. Der französische Rap präsentiert sich darin selbst. Mit Handlungssträngen, Protagonist:innen und einer sehr filmischen Ästhetik und Erzählweise.
Die Kandidat:innen sind so divers wie die französische Raplandschaft selbst: Sie treten an mit Straßenrap aus Marseille, Pariser Trap, politischem Battlerap und sogar teils sehr poppigen Songs. Sie wollen ihre Stadt, ihre Communitys oder ihr Geschlecht repräsentieren. Das Geld wollen sie aber auch. „Es müssen Mieten gezahlt werden“, so ein Kandidat. Dass die 100.000 Euro nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Familien ändern würden, betonen viele der Teilnehmer:innen.
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„Rhythm + Flow: Nouvelle École“
Gesucht wird nicht nur der oder die beste Rapper:in, sondern der nächste Superstar. Das „Juwel“, wie es in der Show heißt. Der nächste Niska, der nächste SCH, die nächste Shay. Es geht der Jury nicht nur um Technik und Energie, Rhythmus und Flow, sondern um ein künstlerisches Gesamtkonzept, das sich vor allem auch vermarkten lässt. Aus den 100.000 Euro Preisgeld sollen schließlich einmal mehr werden. Als Kandidatin Soumeya aus Marseille in der zweiten Runde wieder mit einem sehr guten politischen Text auftritt, wird ihr davon abgeraten, „die revolutionäre Nische zu bedienen“. Das sei nicht, was die Show suche.
An anderer Stelle heißt es, für Frauen sei es im Rap immer noch schwerer, weshalb eine mögliche Gewinnerin besonders durchsetzungsfähig sein müsse. Auch die Szene selbst musste lange um Anerkennung ringen, „Nouvelle École“ ist ein wichtiger Schritt in diesem Kampf. Doch mit Institutionalisierung geht auch Kommerzialisierung einher, das wird hier deutlich. Französischer HipHop ist erwachsen geworden, mit allem, was dazugehört.
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