Hamburger Triennale für Photographie: Was die Welt sein könnte
Sie ist ein Nachdenken darüber, was Fotokunst zeigt: „Currency: Photography beyond capture“ ist die zentrale Ausstellung bei der Hamburger Triennale.
In der zentralen Triennale-Ausstellung „Currency: Photography beyond capture“ greift die Box-Analogie ausschließlich bei den Beiträgen von Claudia Andujar halbwegs: Überwältigende, ikonographische Fotografien zeigt die brasilianisch-schweizerische Fotografinnenlegende, die in lichtkathedralenhaften Kompositionen einen unwiderstehlichen Sog entwickeln.
Andujar, die seit knapp 80 Jahren an einer fotografischen Kartographierung indigener Gemeinschaften im Amazonasgebiet arbeitet, bildet freilich eine Ausnahme in „Currency“, anonsten ist die Ausstellung in der großen Deichtorhalle als Reflektion angelegt. Die Fotografie ist hier kein Medium der Überwältigung, sondern eines, das sich selbst in Frage stellt, das seine eigene Kunsthaftigkeit dekonstruiert.
„Fotografie jenseits der Aufnahme“ wird hier präsentiert, und wenn man das als verkopft versteht, dann hat man recht. Wenn man es allerdings als Ausweg der Triennale aus der Massentauglichkeitsfalle versteht, in die die Fotokunst immer wieder tappt, dann ebenfalls.
Das Sehen neu lernen
„Currency: Photography beyond capture“ wurde von der Triennale-Leiterin Koyo Kouoh kuratiert, in Zusammenarbeit mit Rasha Salti, Gabriella Beckhusrt Feijoo und Oluremi C. Onabanjo. Entsprechend liegt es nahe, die umfangreiche Präsentation mit 29 künstlerischen Positionen als Quintessenz der Ausstellungsreihe zu sehen, als Schau, die das Triennale-Motto „Currency“, „Währung“, auf den Punkt bringt.
Leicht machen es Kouoh und Kolleginnen einem dabei nicht – vieles ist konzeptionell, erschließt sich einem nicht sofort, auf große Namen des europäischen Kanons verzichtet die Ausstellung fast vollständig.
Sie entwickelt so eine Schule des Sehens, die quasi bei Null anfängt. Bei den Landschaftsaufnahmen von Ragnar Axelsson („Glacier“, 2014/15), Fazal Sheikh („Desert Bloom“, 2011) und Anne-Marie Filaire („Temporary Landscapes“, 2021), Bildern von abstrakt-erschreckender Schönheit, die einem erst auf den zweiten Blick enthüllen, dass es hier um menschliche Eingriffe in die Natur geht.
Die Form steht über dem Inhalt
Sheikhs Wüstenaufnahmen: landwirtschaftliche-kapitalistische Strukturen in majestätischem Wüstenumfeld. Filaires menschenleere Bilder: Pariser Ödflächen im Lockdown. „Gegenkartierung im Anthropozän“, beschreibt Kouoh diese Fotografien.
Die Form überwölbt hier das Dargestellte, das abstrakte Spiel mit Linien und Farbflächen verschleiert die Gewalt, die diesen Aufnahmen eingeschrieben ist. Deutlicher wird das bei Arbeiten, die bewusst Unschärfen einsetzen: bei Mame-Diarra Niangs Serie „Léthé“ (2019–21) oder bei Ziad Antars „After Images“ (2016), wo Bäume, Hügel, Gebäude kaum noch erkennbar sind, sondern in grünstichigen Flächen verschwimmen.
Als Kontrast gibt es dann Bilder, die ganz ungebrochen Beziehungen zwischen Menschen thematisieren: im queeren „While night comes on gently“ (2017–21) von Clifford Prince King oder im sarkastischen, comichaften Exploitation-Spiel „Babe Listen“ (2021) von Ortoma Elewa. Sage niemand, dass Dekonstruktion nicht auch zugänglich sein kann.
Wenig Strukturen, wenig Hierarchien – das ist Konzept
Nach einer Weile wird klar, dass die Ausstellung eine ungewöhnliche, dabei aber nicht uninteressante kuratorische Strategie verfolgt, eine Strategie, die zwar die Hierarchien von inhaltlichen, formalen und geographischen Verwandtschaften noch kennt, sie aber gleichsam transzendiert und immer, wenn man glaubt, eine Spur gefunden zu haben, abbricht.
Ein postkolonialer Gedanke liegt der Präsentation zu Grunde, beispielsweise mit Alfredo Jaars „Searching for Africa in LIFE“ (1996/2022), einer Leuchtkastenpräsentation von 2018 Covern der US-Zeitschrift Life, die, natürlich keinerlei afrikanisches Leben zeigen – aber dieser Gedanke ist kein strukturbildendes Merkmal.
Kuratieren, das heißt immer auch Hierarchisieren, und Hierarchien interessieren Kouoh nicht. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Triennale-Leiterin bei jeder Gelegenheit betont, dass ihre Arbeit eine Gemeinschaftsarbeit sei, und entsprechend tritt die Ausstellung einen Schritt zurück, hinter das Kuratierte.
Der einzige hierarchieanfällige Aspekt, der noch nicht überwunden ist, ist die Zeitgenossenschaft: Praktisch alle gezeigten Arbeiten stammen aus den vergangenen 20 Jahren. Und vielleicht stolpert das Ausstellungskonzept hier ein wenig, vielleicht wird mit der Konzentration auf Neues eine Kategorie etabliert, die dem „Kategorien neu denken“-Ansatz von Kouoh und Kolleginnen im Weg steht, vielleicht. Der Tatsache, dass „Currency“ über weite Strecken einen originellen, klugen, widerborstigen Zugriff auf den Stand der Fotokunst darstellt, tut es allerdings keinen Abbruch.
„Currency“ als Meta-Ausstellung
Carsten Brosda ist ein Meister des Bonmots. Und diese Bonmots verschleiern ein wenig, dass der Kultursenator auch ein wacher Denker ist, der auch komplizierte Strukturen genau auf den Punkt zu bringen weiß. Wenn Brosda also zur Eröffnung ausführt, dass Bilder nicht in erster Linie Abbilder der Wirklichkeit seien, sondern vielmehr die „diskursive Behauptung, was die Welt sein könnte“, dann beschreibt er schon ziemlich passgenau, wie „Currency“ aufgebaut ist: Als Meta-Ausstellung.
Sie funktioniert weniger als Präsentation von Fotografie und mehr als ein uneindeutiges, widersprüchliches Nachdenken darüber, was uns Fotografie eigentlich zeigt.
Und wer Eindeutigeres bevorzugt, für den bietet die riesige Triennale der Photographie ja unter anderem noch elf weitere Ausstellungen, die teils deutlich weniger um die Ecke gedacht daherkommen.
Currency: Photography beyond capture bis 18. September, Deichtorhallen, Hamburg
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