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Heils Ankündigungen zum „Bürgergeld“Mit Armut spielt man nicht

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Sozialminister Heil verspricht Hartz-IV-Empfänger:innen 50 Euro mehr im Monat. Finanzminister Lindner tritt jedoch auf die Bremse.

50 Euro haben oder nicht nicht haben Foto: imago

D er Sound der Debatte stimmt nachdenklich: Sozialminister Hubertus Heil (SPD) kündigt in einem Zeitungsinterview eine Reform der Hartz-IV-Leistungen zum sogenannten Bürgergeld an. Alles soll neu berechnet werden, am Ende sollen Hartz-IV-Empfänger:innen 40 bis 50 Euro mehr im Monat erhalten. FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner lehnt den Vorschlag umgehend ab und erklärt an die Adresse von Heil, er sei „auf die Finanzierungsideen“ gespannt.

Es ist, als sei die Finanzierung des Sozialen eben Sache des Sozialministers und ein Finanzminister nicht dafür verantwortlich zu machen. Man kommt, schematisch gerechnet, auf 14 Milliarden Euro zusätzliche Kosten, wenn man die Regelleistungen um 10 Prozent erhöht. Im Heil-Ministerium heißt es jetzt, die konkrete Ausgestaltung des Bürgergelds bleibe „abzuwarten“. Ursprünglich war von einem Gesetzentwurf noch im Sommer die Rede gewesen.

Reine Armutsdebatten haben es derzeit schwer. Inzwischen fordern auch die Mittelschichtmilieus staatliche Hilfen als Ausgleich für die Preissteigerungen. So viel Kompensation gab es noch nie: Heizkostenzuschuss, Energiepreispauschale, Tankrabatt, 9-Euro-Ticket, Einmalzahlung, Sofortzuschlag, Klimageld, Bürgergeld.

Mit der Notlage der über fünf Millionen Menschen im Hartz-IV-Bezug darf man aber politisch nicht herumspielen. 50 Euro mehr im Monat machen eine Menge aus für erwerbslose, kranke und alte Menschen in Grundsicherung. Auf Ankündigungen müssen spürbare Verbesserungen folgen. Stattdessen droht die Sozialpolitik der Ampel zu einem traurigen Ritual zu verkommen.

SPD-Sozialminister Hubertus Heil stellt mehr Geld für die Armen in Aussicht und FDP-Finanzminister Christian Lindner schmettert dies als Hüter der Haushaltskassen ab. Es geht hin und her. Beide Minister stehen vor ihren Par­tei­en gut da. Ansonsten passiert nur wenig. Ein Armutszeugnis wäre das – buchstäblich.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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14 Kommentare

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  • taz: "Sozialminister Heil verspricht Hartz-IV-Empfängern 50 Euro mehr im Monat. Finanzminister Lindner tritt jedoch auf die Bremse"

    Natürlich gefällt das Lindner nicht, denn dann wäre Deutschland ja tatsächlich - so wie es in Art. 20 Abs. 1 GG steht - ein sozialer Staat. Außerdem sind Hatz IV Empfänger keine FDP-Wähler, sondern arme Menschen, die nicht über Lobbyisten verfügen und den Politikern "schöne Angebote" machen können.

    taz: "Mit der Notlage der über fünf Millionen Menschen im Hartz-IV-Bezug darf man aber politisch nicht herumspielen."

    Das macht man doch aber schon seit Jahren. Die Anhebung des Hartz IV Regelsatz ist trotz des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09) von der Politik in den vergangenen 12 Jahren nie umgesetzt worden. Das hat natürlich auch etwas mit dem Freibetrag für die Einkommenssteuerzahler zu tun, denn wenn man die Hartz IV Sätze nicht anhebt, wird natürlich auch der Freibetrag nicht angehoben und so "spart" der Staat etwa 25 Milliarden Euro im Jahr an seine Bürger. Prof. Dr. Sell (Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften) sagt: "Das scheint der zentrale Grund zu sein, warum die Politik eine Anhebung der Hartz IV Sätze scheut wie der Teufel das Weihwasser".

    Das weiß Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) natürlich alles und Lindner weiß bestimmt auch, dass in Deutschland 'jährlich' Steuern im Umfang von 125 Milliarden Euro hinterzogen werden, wie aus einer Untersuchung der University of London im Auftrag der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im EU-Parlament hervorgeht. Und dass diese Steuerhinterzieher - besonders in dem Ausmaß (125.000.000.000 Euro) - nicht zu den armen Leute gehören, dass sollte wohl auch auch jedem klar sein.

    Nun ja, so lange wir unsere "Volksvertreter" mit dicken Diäten (Abgeordnetenentschädigung) und Ministergehältern durch ihr Leben schleppen, wird sich nichts ändern, denn die sind ja finanziell gut versorgt und müssen sich nicht an eine der 956 Tafeln anstellen.

  • Vielleicht könnte man einfach mal die Mathematik bemühen, dass soll schon öfter mal geholfen haben.



    Der als absolutes Existenzminimum anHartz IV-Satz wurde Anfang des Jahres um 3.00 (in Worten: drei!) Euro erhöht, das waren um den Daumen gepeilt 0,7% - die Inflationsrate betrug zu der Zeit aber schon 5,1%. Inzwischen liegt die Inflationsrate bei knapp 8 %, Ende offen...



    Schon diese einfache Rechnung zeigt, dass es hinten und vorne nicht mehr stimmt.

    Das Existenzminimum ist das Existenzminimum, ist das Existenzminimum. Was ist daran eigentlich so schwer zu begreifen?

    • @Puck:

      Zumal selbst das Existenzminimum immernoch um 30% gekürzt werden darf. 70 % vom Minimum sollte nach eigener Logik keinen Sinn machen. Logik ist wohl nicht das Problem. Auch am Begreifen wird es wohl nicht scheitern. Es kommt auf Ideologien und deren Verbreitung (insbesondere kapitalistische und hierunter der Neoliberalismus in Parteien, Medien, der Gesellschaft usw.), Lebenswelt/-Erfahrung/-Horizont (die meisten Politiker*innen haben Akademiker*innen- bzw. mindestens Mittelschichtshintergrund)/Empathie, Machtverhältnisse (bspw. haben Erwerbslose kaum Lobby, Unternehmen hingegen eine sehr starke), Diskurse und Wirkmächtigkeit von Propaganda u.ä. an, würde ich meinen.

      • @Uranus:

        Was ist Deutschland überhaupt für ein merkwürdiges Land, wo man die eigenen arbeitslosen Bürger mit Sanktionen gefügig macht und man sie mit § 10 SGB II in schlecht bezahlte Hilfsarbeiterjobs verfrachtet? Das Bundesverfassungsgericht musste mit seinem Urteil vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16 – unsere Politiker auch erst wieder daran erinnern, dass Deutschland ein demokratischer Sozialstaat (Art. 20 Abs. 1 GG) ist. Leider hat das Bundesverfassungsgericht es aber nicht geschafft, dass ein Existenzminimum auch ein Existenzminimum bleibt, denn wenn die Jobcenter immer noch 30% davon abziehen dürfen, dann stimmt etwas mit diesem Sozialstaat nicht. Nun ja, es ist ja nicht nur das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.11.2019, was von Politikern nicht beachtet wird, sondern auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010: "Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdiges Existenzminimum ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG". Das Urteil des Ersten Senats des BVerfG vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09, wonach das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums - so ähnlich wird es auch in § 1 Abs. 1 SGB II beschrieben - wird also für unverfügbar erklärt und der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurde eine Gewährleistungspflicht auferlegt.

        Mehr als 5 Millionen Hartz IV Empfänger sollten das Leben als Hartz IV Empfänger ("Bürgergeldempfänger") aber dennoch positiv sehen, denn sie sorgen seit Jahren dafür gesorgt, dass BA- und Jobcenter-Angestellte nicht arbeitslos werden und der oberste Chef der BA ein Jahresgehalt von 300.000 Euro bekommt Wie wäre es eigentlich, wenn man die BA und ihre Jobcenter mit ca. 100.000 Mitarbeitern mal verschlanken oder ganz abschaffen würde? Die Arbeitsagenturen, die mit einem unglaublichen Bürokratismus und knapp 100.000 Mitarbeitern einen egozentrischen Aufwand betreiben, der in gar keinem Verhältnis zu den Vermittlungserfolgen steht, kosten den Steuerzahlern nämlich jährlich einige Milliarden Euro.

        • @Ricky-13:

          Tjo ... aktuell frage ich mich, wie das Verhältnis von HartzIV und Mindestlohn künftig aussieht. Müssten viele dann weiterhin aufstocken? Oder könnten sie es nicht einmal, weil sie doch gerade eben so mehr erhielten als Hartzer*innen, weil eben auch der Hartz-Satz derzeit sehr niedrig ist? Dabei geht es mir nicht um ein Gegeneinanderausspielen sondern um eine Frage hinsichtlich eines allgemeinen Lebensstandardminimums.

  • Ich verstehe die Zahlem Artikel nicht. 5Mio Hartz4-Empfänger*innen sollen 50€ pro Monat, also 600€ pro Jahr mehr bekommen. In meiner Welt kostet das 3Mrd€ pro Jahr und nicht 14Mrd€...

  • 50 Euro mehr? Das geht auf keinen Fall.



    Wir brauchen das Geld viel dringender für unsere Bundeswehr und für Waffen, die in die Ukraine geschickt werden.

  • Lindner spielt nicht. Er macht Ernst. Er tut wenigstens so.

  • Warum wundert mich es nicht, dass Lindner eine Erhöhung sogleich ablehnt? "Mh, 14 Milliarden Euro sind nach 6,6 Milliarden Euro (?) für Spritpreissubvention, Aufrüstungsprogramm von 100 Milliarden Euro usw. für Hartzer*innen einfach nicht mehr drinne, sorry Hartzer*innen. Ihr habt doch schon 3 Euro mehr bekommen." So geht wohl der Zynismus der Wohlhabenden und deren Lobby.



    Hingegen fordern Sozialverbände einen Satz von 520 Euro. Es bedürfte also nicht nur 50 Euro sondern eine Erhöhung um 111 Euro!

    • @Uranus:

      *einer Erhöhung

  • 50 eur wären min schon vor den preissteigerungen nötig gewesen. jetzt damit anzukommen ist wirklich unverschämt.

  • 122,3 tweets auf #IchBinArmutsbetroffen - Fototermine in mehreren Städten - bildet sich da gerade eine Selbstorganisation der "da unten"?



    Außer LINKE und Grüne Jugend - keine Reaktion aus der Parteienlandschaft auf die virale Armutsbewegung - weil die ca. 13 Million Armen eh nicht zur Wahl gehen?

  • RS
    Ria Sauter

    Könnt ihr bitte mal Alle! , die gerade so über der Armutsgrenze liegen, mit einbeziehen!



    Es gibt sehr viel Armut unter Rentner/innen!



    Interessiert nur anscheinend überhaupt nicht!

  • Architekten eines Potemkinschen Dorfes.