Start des 9-Euro-Tickets: Nahverkehr wie Woodstock
Mehr als sieben Millionen 9-Euro-Tickets wurden vor dem Start verkauft. Branchenvertreter erwarten Gedränge in den Zügen wie bei einem Rockkonzert.
BERLIN taz | Mehr als sieben Millionen Menschen haben bereits vor dem Start am Mittwoch ein 9-Euro-Ticket gekauft. „Im Herzen der Menschen in Deutschland hat dieses Ticket bereits einen festen Platz“, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei einem Online-Pressegespräch am Dienstag.
Das 9-Euro-Ticket kann für den Juni, Juli und August erworben werden. Es gilt bundesweit im Nah- und Regionalverkehr. Der Bund zahlt den Ländern dafür 2,5 Milliarden Euro. Für den auch ab 1. Juni anlaufenden Tankrabatt in Form von Steuersenkungen stellt der Bund mehr als 3 Milliarden Euro bereit. Beides ist Teil des Entlastungspakets von SPD, Grünen und FDP, mit dem die hohen Energiekosten abgefedert werden sollen.
Hinter den bislang verkauften sieben Millionen Fahrkarten stehen zusätzliche Kund:innen, sagte Wissing. Denn für Stammkund:innen mit Monatskarten, Job- oder Semestertickets gilt das 9-Euro-Ticket automatisch. Sie können ihre Karte bundesweit nutzen, der Differenzbetrag zwischen den 9 Euro und dem von ihnen gezahlten Preis wird erstattet. Bei Job- oder Semestertickets suchen die Beteiligten noch nach Lösungen. Mancherorts soll etwa die Summe mit der Zahlung für das kommende Semester verrechnet werden. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) geht davon aus, dass bis zu 30 Millionen Menschen – einschließlich Stammkund:innen – von dem Angebot Gebrauch machen könnten.
Unklar ist, wie und wie oft die Kund:innen das Ticket nutzen werden. Klar ist aber, dass die Reserven der Verkehrsbetriebe und der Deutschen Bahn nicht ausreichen, um den Ansturm vor allem auf attraktive touristische Strecken zufriedenstellend zu bewältigen. Ein „Woodstock“ und ein „schönes Happening“ im ÖPNV erwartet der VDV-Hauptgeschäftsführer, Oliver Wolff, für die Fahrgäste. „Ich rate zu ein wenig Gelassenheit. Bei einem großen Konzert steht man auch im Gedränge“, sagte er.
Gestritten wird in einigen Ländern noch darüber, ob das 9-Euro-Ticket auch auf Fernverkehrsstrecken der Deutschen Bahn gilt, die auf bestimmten Abschnitten als Nahverkehr firmieren, weil es dort kein anderes Angebot gibt. „Darüber wird verhandelt bis zuletzt“, sagte Wolff.
Länder wollen mehr Geld
Angesichts der prekären Lage der Verkehrsunternehmen ist auch ungewiss, wie es nach dem 9-Euro-Ticket weitergeht. Einige Länder hätten signalisiert, dass sie die Ticketpreise nach dem Auslaufen erhöhen müssten, sagte die Bremer Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne), zurzeit Vorsitzende der Landesverkehrsminister:innenkonferenz. „Das ist kontraproduktiv“, meinte sie weiter. Schließlich soll das 9-Euro-Ticket dazu dienen, einstige Kund:innen zurückzuholen und neue zu gewinnen.
Die Länder fordern mit Hinweis auf gestiegene Energie- und Personalkosten für 2022 weitere 1,5 Milliarden Euro. „Wir brauchen zusätzliche Mittel vom Bund, Kommunen und Länder können nicht alles stemmen“, sagte Schaefer. Der ÖPNV müsse vor allem auf dem Land ausgebaut werden. „Wenn ich auf dem Dorf wohne, wo nur zweimal am Tag ein Bus fährt, nützt mir ein verbilligtes Ticket nichts“, führte sie aus. Umweltverbände fürchten ein „Strohfeuer“ aufgrund der zeitlich begrenzten Geltung und fordern ebenfalls mehr Geld und langfristig niedrigere Preise.
Bislang ist Wissing nicht bereit, mehr für den ÖPNV zu zahlen. Er will Erkenntnisse aus der Einführung des 9-Euro-Tickets abwarten. „Am Ende steht die Finanzierungsfrage nicht am Anfang“, sagte er.
Leser*innenkommentare
EDL
Seit wann fuhr oder fährt man mit dem Zug zu einem Rockkonzert oder gar Festival ... Woodstock wurde für seinen "Nahverkehr" via Hubschrauber berühmt, weil die Autos (!) alle Zufahrtsstraßen verstopften. Aber das nur nebenbei ... ;)
Herr Lich
Klassenfahrt vom Kind (2.Klasse) abgesagt.
Die DB hat das bereits gebuchte Gruppenticket storniert und den Lehrer darauf hingewiesen, dass der Zug sehr voll werden wird. Der hat natürlich keine Lust sich mit 25+ Kindern in einen vollen Zug zu quetschen. Kann ich gut verstehen.
Danke liebe Bundesregierung, ganz toll!
Herr Lich
Hätte man die Milliarden lieber in den Ausbau des ÖPNV gesteckt, würden den auch mehr benutzen (können).
Mensch0834
Vielleicht schaut man erstmal was passiert anstatt sich jetzt schon mit Schnappathmung die Horrorscenarien auszumalen. Es gibt sicher viele die sich das 9 Euro Ticket auch nur für eine Fahrt holen. Einmal Bremen Bremerhaven kostet schon 12 Euro. Da ist das neun Euro Ticket bei einer Fahrt schon günstiger.
93851 (Profil gelöscht)
Gast
Forderungen über Forderungen, was alles getan werden müsste...
Komisch, es rappelt an allen Ecken:
Bahn, Gas, Öl, Strom, Klima, Krieg, Inflation.... und die Politi tut so so "vollkommen überrascht"!
Putin öffnet wohl vielen die Augen mitsamt Geschäftsideen, die schon jetzt zum Scheitern verdonnert sind wie E-Autos. Jeder weiß es, die Dinger sind sowas wie umweltschädlich, außerdem- wo soll bitte der ganze Strom dafür herkommen? Es wird für diese Pseudo-Klima-Autos nicht genug geben, das kann man gern im Internet recherchieren ...
Nach Jahren kommt die Bahn der ÖPNV à la 3-Monats-9€-Ticket mit der Suche nach mehr Fahrgästen um die Ecke, von Politikern in die Taufe gehoben ohne Sinn und Vorstand:
wir haben Pandemie (!) und keine Grippe! Auch wenn einen Gesundheitsminister, der diesen Posten nur allzu mangelhaft besetzt, der ganze Corona-Kram anscheinend mehr und mehr schnuppe ist (siehe Einreiselockerungen ab Juni/Juli....bis zum Herbst), ist die nächste dicke Welle schon in der Mache:
Das 9€-Ticket macht sardinenbüchsenartigen Kontakt mehr als nur möglich!
Wieviel graue Zellen fehlen bei wem ?Gretchenfrage!
Viele fehlen bei so einigen....
Deutsche Regierungs- Politik ist auch hier wieder mal eine absolute Zumutung! Herr Lauterbach kann bitte abtreten, bevor ihm im Herbst zu Pflegenotstand, Krankenhaus-Überlastungen etc. nichts mehr einfällt.
Willkommen .....! ....."woodstockartige Zustände " im deutschen Reiseverkehr!
Und wer fährt Staatskarosse....?
Suryo
Mal sehen, wann der erste brechend volle RE bei Sommerhitze liegenbleibt und es den 9-Euro-Passagieren erlaubt wird, einen wahrscheinlich ebenso vollen IC zu besteigen. Da kommt Freude auf.
Jalella
„Ich rate zu ein wenig Gelassenheit. Bei einem großen Konzert steht man auch im Gedränge“
Tja, mal sehen, was von der Gelassenheit bleibt, wenn man nicht im Gedränge IM Zug steht, sondern VOR dem Zug und ihm nur noch nachwinken kann weil man nämlich nicht mehr mitgekommen ist. Und wenn es dummerweise der Zug ist, der einen pünktlich (soweit das bei der Bahn geht) zur Arbeit bringen sollte...
Dietmar Rauter
Was eigentlich ein Appetithäppchen sein sollte, wird jetzt zur Strafe für die Dauerpendler, sie müssen sich jetzt für drei Monate ein Auto leihen, wenn sie sonst mit dem Fahrrad und S-Bahn zur Arbeit fahren. Man sollte die Minahme eines Fahrrads in Verbindung mit dem 9 €- Ticket verbieten, sonst wird das zur Falle für die vielen E-Bike-Senioren, wenn sie auf dem Rückweg keinen Platz im Zug finden und sie stehen bleiben müssen. Blinde Kuh- Spiel der Ampel, wenn jetzt die Stammkunden der Bahn unter der oberflächlichen Schnellschußpolitik leiden müssen. Je höher unqualifizierte Politiker*innen aufsteigen, desto einsamer ihre Entscheidungen.
lesnmachtdumm
@Dietmar Rauter Je höher... Jau, da is was dran. Und so manchen Porschefahrer habbich eh im Verdacht, dasser garnich weiß, wie Straßenbahnfahren funktioniert. Bärendienst allemal.