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Hamburg macht historischen Tunnel dichtEin Denkmal für die Zukunft

Ein Versorgungstunnel sollte in Hamburg einst das ewige Aufreißen der Straße beenden. Nach 130 Jahren wird er verfüllt – bis auf ein kleines Stück.

Schien eine zukunftsweisende Idee, hat sich aber in Hamburg nicht durchgesetzt: Versorgungstunnel Illustration: Sebastian König

Hamburg taz | Hinten, wo das Licht scheint, ist noch lange nicht das Ende des Tunnels. Von dort stampft Techno-Pop durchs Dunkel. Dass das hier eine Baustelle ist und keine Underground-Disko, macht die Flex klar, die durch die Beats kreischt. Die Bauarbeiter versüßen sich mit Musik die Arbeit unter Tage, wenn man das so sagen kann, einen halben Meter unterm Straßenpflaster. Mit sehr lauter Musik – muss aber auch sein, wegen, eben, der Flex, die hier alles wegflext, was im Weg ist. Und danach wird der Tunnel weggemacht.

Es kommt Flüssigboden rein, bis er voll ist, rund 2.000 Kubikmeter. „Das ist so was Ähnliches wie Beton, aber nur stichfest“, sagt Wulf Schöning vom Hamburger Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer. Für Tunnel ist der mit zuständig, zumal wenn sie so dicht unter der Fahrbahn verlaufen wie hier unter der Kaiser-Wilhelm-Straße in der Hamburger Neustadt.

Der Tunnel war ein städtebauliches Experiment, als er 1892 gebaut wurde: ein Versorgungstunnel. Die Idee war, dass man nicht für jeden Anschluss eines Hauses an die öffentliche Infrastruktur, jede Reparatur daran, wieder die Straße aufbuddeln müsste, wenn man einen Tunnel gleich vor den Kellergeschossen der Häuser hätte.

Eine zukunftsweisende Idee: Man wusste ja noch gar nicht, was das einmal Leben angenehmer machen würde. Stromversorgung für Privathaushalte war erst im Kommen. Telefonanschlüsse – Luxus. Erdgas – Zukunftsmusik. An Glasfaserkabel oder die dicken Fernwärmerohre, die hier heute verlaufen, war noch nicht zu denken. All das passt locker in den drei Meter breiten und knapp mannshohen Tunnel. Und es wäre noch Platz für Innovationen, die wir uns noch nicht träumen lassen.

Von London abgekupfert

Die Idee mit dem Tunnel hatten die Hamburger von London abgekupfert, jener Stadt, auf die sie immer ein wenig neidisch blickten. Doch die Hamburger Kaufleute, damals noch ganz selbstverständlich die Oberhäupter der Stadt, hielten wenig vom Geldausgeben, jedenfalls wenn es um die öffentliche Hand ging. Sie staunten über die Kosten des Tunnelbaus – vielleicht auch, weil im selben Jahr der Ausbruch der Cholera die Stadt zwang, sich eine Trinkwasseraufbereitung zuzulegen, statt einfach Wasser aus der Elbe zu pumpen, in die auch die Kloake floss. Während London sein Netz an Versorgungstunneln weiter ausbaute, blieb es in Hamburg beim Experiment, immerhin vierhundert Meter lang.

„Das Tunnel-System war zu unflexibel in einer gewachsenen Stadt“, sagt Tiefbauer Schöning, „es kollidiert überall mit Kanälen und U-Bahnen.“ Auf seiner Nase bilden sich Schweißperlen. Es ist heißtrocken neben dem Fernwärmerohr.

Nun soll bald Schluss damit sein. Die Stahlträger rosten, von den gemauerten Tonnengewölben und der zu den Kellerwänden hin sachte konkav gewölbten Außenwand platzt der Backstein. Eine Sanierung erscheint dem heutigen Senat ebenso zu teuer wie seinem Vorvorvorgänger vor 130 Jahren der Bau. Obwohl das knapp unterirdische Bauwerk unter Denkmalschutz steht. Aber der gilt in Hamburg traditionell nicht viel.

Ein Stückchen darf bleiben

In diesem Fall hat er immerhin dazu geführt, dass ein winziges Stück von 25 Metern erhalten bleibt, zu Anschauungszwecken saniert wird. Wobei das mit der Anschauung so eine Sache ist: „Vielleicht kriegen wir das hin, ihn zum Tag des offenen Denkmals zu öffnen“, macht der Sprecher der Kulturbehörde zarte Hoffnung. Er ist ein langer Kerl und kann hier unten deswegen nur sehr breitbeinig stehen. Auf seiner Glatze bleibt dennoch ein wenig Mörtel von der Decke hängen, wie zum Beweis für den schlechten Zustand.

Das wäre dann ein sehr gut verstecktes Denkmal für das, was man mal für die Zukunft hielt. Mit der hatte allerdings nicht nur der Bau des Tunnels zu tun, sondern nun auch sein weitgehendes Verschwinden: Anlass für die Arbeiten ist der Ausbau einer Veloroute in die Innenstadt. Vielleicht liegt diese Zukunft also doch eher auf der Straße als darunter.

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