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Anschlagsopfer von Halle geben auf„Eine bittere Enttäuschung“

Der Halle-Anschlag 2019 traf auch den Kiez-Döner. Gut zwei Jahre rangen die Tekins danach um die Existenz ihres Geschäfts – nun geben sie auf.

Der Kiez-Döner in Halle wurde zuletzt zum Tekiez-Café – nun muss der Laden schließen Foto: Heiko Rebsch/picture alliance

Halle/Berlin taz | Der Kampf von İsmet und Rifat Tekin währt zweieinhalb Jahre. Die Betreiber des früheren Kiez-Döners in Halle überlebten den rechtsterroristischen Anschlag vom 9. Oktober 2019, rangen danach um die Existenz ihres Imbisses, eröffneten diesen zuletzt als Frühstückscafé Tekiez neu. Nun haben sie den wirtschaftlichen Kampf verloren: Ihr Geschäft muss schließen.

„Ein halbes Jahr nach der Neueröffnung des Tekiez müssen wir leider feststellen, dass der Laden İsmet und Rıfat Tekin und ihre Familien existenziell nicht absichern kann“, heißt es in einer aktuellen Erklärung auf den Social Media-Kanälen des Geschäfts. Vor allem die Coronapandemie habe monatelang Gäste ferngehalten. Bis heute fehle es zudem an staatlicher Unterstützung. Auch Spendengelder würden nicht mehr zur Überbrückung reichen, diese seien in den jüngsten Umbau des Geschäfts geflossen. Man müsse das Gewerbe daher zu Ende Mai abmelden.

İsmet und Rifat Tekin äußerten sich vorerst nicht weiter persönlich und baten, von Presseanfragen abzusehen. In der Erklärung, die auch von Un­ter­stüt­ze­r:in­nen verfasst wurde, wird die Schließung als „schmerzhaft und eine bittere Enttäuschung“ bezeichnet. Die ursprüngliche Vision, den Laden auch als Ort des Erinnerns an das Attentat fortzuführen, wolle man aber nicht aufgeben und arbeite deshalb daran, die Räume anderweitig zu nutzen.

Im Laden starb Malerlehrling Kevin Schwarze

Der Kiez-Döner war am 9. Oktober 2019 von einem damals 27-jährigen Rechtsterroristen attackiert worden, nachdem diesem ein Angriff auf die Synagoge in Halle misslang und er die Passantin Jana Lange erschossen hatte. In dem Imbiss ermordete er den Malerlehrling Kevin Schwarze. Rifat Tekin versteckte sich damals hinter der Theke. İsmet Tekin hatte das Geschäft kurz zuvor verlassen, auf dem Bürgersteig schoss eine Kugel an ihm vorbei.

Das Bruderpaar Tekin war in dem Imbiss bis dahin nur angestellt, bekam diesen nach dem Anschlag von dem früheren Betreiber überschrieben. In der Folge aber brachen Einnahmen ein, das Geschäft wurde mit Spenden unterstützt. Ende 2021 hatte das Bruderpaar mithilfe von Un­ter­stüt­ze­r:in­nen den Laden dann umgebaut und als Frühstückscafé neu eröffnet. Für die Hilfe in den vergangenen Jahren bedanke man sich „von ganzem Herzen“, heißt es in der Erklärung.

Die Stadt Halle wies am Montag zurück, die Tekin-Brüdern nicht unterstützt zu haben. Gemeinsam mit städtischen Unternehmen und Vereinen habe man seit dem Anschlag einen mittleren fünfstelligen Betrag an Hilfsgeldern für das Geschäft organisiert, erklärte ein Sprecher. Zudem stelle man die Sondernutzung des Außenbereichs für 5 Jahre kostenfrei zur Verfügung. Auch habe es wiederholt Gespräche zu Förderungsfragen gegeben. Die Erinnerung an das Attentat werde man jedenfalls hochhalten, so der Sprecher. „Ein Vergessen und Relativieren darf es und wird es nicht geben.“

Antje Arndt von der Mobilen Opferberatung Sachsen-Anhalt, die das Bruderpaar seit dem Anschlag betreut, bedauert die Schließung sehr. „Es tut weh zu erleben, dass dieser Ort stirbt.“ Umso wichtiger sei es, die ursprüngliche Idee nach dem Anschlag zu erhalten. „Das Tekiez war mehr als ein Café – es war ein Ort der Erinnerung, der gelebten Solidarität und des Widerstands.“ So ein Ort müsse erhalten werden, hoffentlich als Veranstaltungsraum, betont Arndt. „Dafür arbeiten jetzt viele an einer tragfähigen Lösung.“

Tekin hatte auch das Halle-Urteil kritisiert

İsmet Tekin hatte sich bereits zuletzt über die mangelnde praktische Unterstützung der Politik enttäuscht gezeigt, fühlte sich von dort alleine gelassen. Hilfe kam dagegen von der Opferberatung und einer ehrenamtlichen Unterstützergruppe. Auch den Ausgang des Prozesses zum Anschlag von Halle hatte Tekin kritisiert. Zwar war der Attentäter zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Schüsse auf den 38-Jährigen wurden indes nicht als versuchter Mord gewertet, wie von ihm gefordert. Das Gericht sah nicht, dass der Angreifer die Schüsse gezielt auf ihn feuerte. Tekin sprach von einer „riesengroßen Enttäuschung“.

Auch im Fall von Aftax I., der von dem Auto des fliehenden Attentäters angefahren wurde, sah das Gericht keine absichtliche Tat und damit keinen versuchten Mord, sondern fahrlässige Körperverletzung. Auch er war aber überzeugt davon, dass die Attacke auf ihn gezielt aufgrund seiner schwarzen Hautfarbe erfolgte. Sowohl Aftax I. als auch Ismet Tekin hatten deshalb Revision gegen das Urteil eingelegt. Der Bundesgerichtshof wies diese im April indes zurück: Das Urteil sei ohne Rechtsfehler. Die Nebenklageanwälte sprachen von einem „Schlag ins Gesicht nicht nur dieser beiden Verletzten“.

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2 Kommentare

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  • Naja, am Ende war wohl das Café nicht gut besucht. Also müssten sich schon die Betreiber hinterfragen sehe da die Politik nicht in der Verantwortung. Warum sollte durch Steuermittel ein Café erhalten bleiben?

  • Jetzt mal ganz im Ernst und mit allem Respekt vor den Opfern. Hier scheint doch eher wirtschaftliche Kompetenz zu fehlen und nicht die nötige staatliche Unterstützung. Hier wurden Angestellte zu Besitzern, denen in schwierigen Zeiten (anders als anderen) zusätzlich mit Spenden unter die Arme gegriffen wurde. Das das am Ende trotzdem nicht funktioniert hat, sollte man nicht mit „Anschlagsopfer“ in Verbindung bringen.