200 Jahre Sternburg: Gesellschaftskritik endet beim Bier

Das Sterni-Bier feiert 200. Geburtstag. Noch immer ist es in alternativen Kreisen beliebt, obwohl es längst zum Großkonzern gehört.

Ein Kronkorken mit weißem Stern auf rotem Grund

Punks lieben es, Studis lieben es, Lokalpatrioten auch – aber wie lange wird das noch so bleiben? Foto: Peter Endig/dpa/picture alliance

LEIPZIG taz | Irgendwer säuft doch immer Sternburg“, sagt ein langjähriger Freund von mir, als er mich leicht verwundert vor einem Getränkekühlschrank voller brauner Flaschen mit rotweißen Kronkorken stehen sieht. Wir feiern einen 30. Geburtstag in Leipzig. Es gibt tschechisches Bier, guten Sekt und hochwertige Spirituosen. Und: etwa 20 Flaschen Sternburg Export.

Stimmt: Irgendwer trinkt immer Sterni, vor allem im Osten. Als wir alle noch keine Berufe hatten, die den Namen verdienten, tranken wir es unentwegt: im Park, auf Partys, auf Punkkonzerten. Vor allem die Nähe zum subkulturellen Milieu verlieh dem Bier einen leicht linken Touch. Unumstritten war es dennoch nie. Einigen genügte das Billigimage, um es zu schmähen. Andere kamen nach Verkostung zu dem Schluss, Sterni sei ungenießbar – Preis hin oder her.

Geschmacklichen Konsens über das günstige Bier gibt es bis heute nicht, dafür einen beachtlichen Kult. Ein Beispiel dafür ist das „Sternburg Fanfest“, das jahrelang im Osten Leipzigs auf dem Brauereigelände stattfand, üblicherweise begleitet von einer Reihe mittelbekannter Rockbands und jeder Menge Alkohol. Mittlerweile wurde die jährliche Fete vom Brauhof in einen Club im Westen der Stadt verlegt, wo dieses Jahr das „Ju-Bier-Läum“ am 21. Mai stattfinden wird. 2022 ist ein Jubiläumsjahr für Sternburg. Anlässlich des 200-jährigen Bestehens hat die Brauerei auf dem Gelände die Zahl „200“ aufgebaut, jede Ziffer aus je vier Meter hoch gestapelten roten Bierkisten.

„Wir haben 1.700 Karten in knapp einer Woche ausverkauft“, sagt der Geschäftsführer der Sternburg-Brauerei, Martin Zapf, der taz, spürbar erfreut. Der gebürtige Düsseldorfer leitet das Unternehmen seit 2011, einen so großen Andrang auf das Fanfest hat er aber noch nicht erlebt. „Stolz“ sei er darauf, auf eine 200-jährige Geschichte zurückblicken zu können: „Welche Marken gibt es in der heutigen, schnelllebigen Zeit überhaupt noch, die so eine lange Zeit überstehen?“

Ambitionierte Fans

Wer einmal ein Fanfest besucht hat, der ahnt, dass er es hier mit keiner gewöhnlichen Biermarke zu tun hat: Freunde des Gebräus verehren es, die Zahl der Songs über das Sterni ist kaum zu überschauen. Jüngst erhielt die Gruppe C2H6O aus dem thüringischen Gotha – die sich stimmigerweise nach der Summenformel von Alkohol benannt hat – für ihren Song „Sterni im Blut“ („Egal was ich für ’ne Stimmung habe, ich trinke Sterni, keine Frage“) den Kasten des Monats von der Brauerei.

Andere Sternburg-Fans sind ambitionierter: Eine übermannshohe Nachbildung einer Sterni-Flasche aus über 100.000 Kronkorken steht seit 2014 im Guinness Buch der Rekorde, und nicht wenige Menschen haben für ihre Sternburg-Tattoos ebenfalls einen roten Kasten mit der traditionellen Aufschrift „Merke Dir – Sternburg Bier!“ frei Haus erhalten. Am Bierstandort Deutschland hat ausgerechnet eine Billigmarke aus dem Osten ihr eigenes Festival und einen cool-kultigen Ruf, der weit über die Grenzen Leipzigs hinausgeht. Wie ist das gelungen?

Nachgefragt beim Bier-CEO: Eine „Kombination aus Preis, Geschmack und Verbraucherorientierung“, sei das Erfolgsrezept der Marke Sternburg, sagt Geschäftsführer Zapf. Er resümiert: „Wir haben ein unschlagbar gutes Bier zu einem sehr fairen Preis da draußen.“ Der Absatz von Sternburg-Bier stieg im Ostdeutschland der frühen Nullerjahre stark an – ganz ohne Werbung, parallel zur Ära Schröder und den Hartz-Gesetzen.

Seit dem Marken-Relaunch im Jahr 2006 unterstützen diverse Agenturen den Hype. Der brauereieigene Shop führt knallrote Overalls, Socken, ein Wurfzelt, Spruch-Shirts („Einfach Östlich!“), „Sterniletten“ und mehr. Mit dem Sterni existiert außerdem ein eigenes Fanmagazin, das bereits in der 15. Auflage erscheint. Es diene der „Imagepflege für die Marke im Segment der 16- bis 25-Jährigen“, so ein Statement der Leipziger Agentur, die es entwickelt hat.

98 Cent pro Liter

„Links“ sind die Sternburg-Slogans „Feierabend muss bezahlbar bleiben“ oder „Weil Geld teuer ist“ höchstens andeutungsweise. Das von selbst entstandene subversive Bild soll von der Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden, ohne zu viele potentielle Bier­trin­ke­r*in­nen außen vor zu lassen. Mit Erfolg: Jüngst wurde das Sortiment um ein alkoholfreies Bier und ein „Hanf-Radler“ mit regenbogenfarbener Etikettaufschrift ergänzt. Der Verkaufsschlager bleibt aber nach wie vor das „Export“, das etwas mehr Alkohol enthält als das in Deutschland sonst so beliebte Pils. Die Brauart trägt ihren Namen, weil der höhere Alkoholgehalt das Bier länger konserviert und daher transportfähiger macht – was bei Sternburg, das fast ausschließlich im Osten vertrieben wird, eher nebensächlich geworden ist.

Der Diplom-Biersommelier und freie Journalist Olaf Wirths fühlt sich bei der Erfolgsgeschichte von Sternburg an andere Billigmarken wie das Hansa Pils aus Dortmund oder Oettinger aus Bayern erinnert. Ebenfalls unter Verzicht auf Marketing und mit einem Kampfpreis von etwa 70 Cent pro Liter galt insbesondere Letzteres lange als meist getrunkenes Bier in Deutschland, mit weitem Abstand vor Sternburg, das etwa 98 Cent pro Liter kostet. Einen vergleichbaren Kultfaktor kann aber höchstens noch die Marke Astra aus Hamburg vorweisen – ebenfalls ein Bier aus dem Niedrigpreissegment.

Hat Erfolg auf dem deutschen Biermarkt, oh Schreck, eventuell mit Geschmack also gar nichts zu tun? „Das Bier ist ein Bier wie viele andere Industriebiere auch“, sagt Wirths, der Biertouren durch die ganze Welt anbietet und unter anderem für das Fachmagazin Bier und Brauhaus schreibt, „es ist billig, geschmacklich austauschbar okay und macht eine wirklich gute Werbung.“

„Sterni ist tot“

Aber schmeckt’s denn nun? Olaf Wirths sieht die Sache pragmatisch: „Wenn Sie Krombacher, Beck’s, Oettinger oder andere bekannte Marken in der Blindverkostung probieren lassen, schmecken die Leute zu über 85 Prozent keinen Unterschied, weil die Biere geschmacklich sehr dicht aneinander sind. Am Schluss verkauft eine Marke vor allem ein Image.“

Beliebt sei das Bier in Ostdeutschland primär, weil es in Leipzig gebraut werde und daher wie eine regionale Marke daherkomme, sagt Wirths. Dabei verkauft Sternburg laut Geschäftsführung das meiste Bier in Berlin. Spätestens seit 2006 ist es aber mit dem sympathischen regionalen Ostbier nicht mehr ganz so weit her: Dem Markenrelaunch voran ging der Kauf von Sternburg durch die Radeberger Gruppe, welche wiederum zum Lebensmittelgiganten Dr. Oetker gehört. Der Fakt wird in der Unternehmenshistorie auf der Sternburg-Homepage sanft umschifft: „Seit 2006 gehört Sternburg Bier zur Radeberger Gruppe KG.“

Gebraut wird zwar nach wie vor in Leipzig, das alternative Image von Sternburg hat aber eine gewisse Schieflage. „Subkultur möchte Alternativen aufzeigen, politisch aktiv und gesellschaftskritisch sein – aber spätestens beim Bier hört das dann auch auf“, meint Olaf Wirths.

Auf einen eventuellen Imageschaden spekulieren derweil andere: Die Berliner Biermarke „Jesöff“ verteilte im Sommer 2020 Plakate in der Hauptstadt, Überschrift: „Sterni ist tot“. Im weiteren Text wurde auf die Zugehörigkeit von Sternburg zum Großkonzern verwiesen. Das „Jesöff“, das sich auf dem Etikett frech „Das Bier mit dem roten Stern“ nennt, will genauso sympathisch und günstig daherkommen, aber gemeinwohlorientiert wirtschaften und Profite an soziale Projekte spenden. Durch eine Crowdfundingkampagne kam 2020 genug Geld für die erste Tranche Kästen zusammen. Seitdem findet man das Getränk in wenigen Berliner Spätis.

„Linkes Bier“ muss regional produziert sein

Sternburg-Chef Zapf sieht solche Versuche gelassen: „Jede Initiative, die darauf abzielt, den Leuten das Bier wieder schmackhaft zu machen, die begrüße ich.“ Zapf spielt darauf an, dass der durchschnittliche Bierkonsum in Deutschland seit Jahren leicht rückläufig ist. „Ob man sich dafür eine eigene Geschichte überlegt oder ob man sich irgendwo dranhängt, das muss jeder für sich entscheiden.“

Bierexperte Olaf Wirths glaubt, dass ein Ende des linken Images Sternburgs absehbar ist, „spätestens wenn sich herumspricht, dass es eben doch ein Industriebier ist und zur größten deutschen Braugruppe gehört“. Der ehemalige Cottbuser ergänzt heiter: „Und Leipzig ist leider auch nicht mehr so eine Subkulturstadt wie vor zehn Jahren.“ Ein „linkes Bier“ müsse seiner Meinung nach vor allem regional produziert sein, so wie viele der derzeit beliebter werdenden Craft-Biere. Für ein entsprechendes Image seien die aber vielfach schlicht zu teuer.

Verkaufen wird sich Sternburg weiterhin, meint Wirths, weil vielen das Image angesichts des Preises egal sei: „Ich kann das gut nachvollziehen, ich habe auch mal Hansa in Dosen getrunken.“

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