Regierungsbildung in Nordirland: Scheitern am Nordirlandprotokoll

Die DUP verweigert die Regierungsbildung, solange das Brexit-bedingte Nordirland-Protokoll besteht. EU und Großbritannien üben sich in Drohungen.

Parlamentsgebäude in Belfast und eine Statue davor

Parlamentsgebäude in Belfast Foto: Laim Mcburney/dpa

DUBLIN taz | Nordirland hat vorige Woche gewählt, die Stimmen sind gezählt, die Sitze sind verteilt. Dennoch wird es erst mal keine Regierungsbildung geben, wenn das neue Regionalparlament am Freitag erstmals zusammentritt. Die vage Hoffnung, dass die Democratic Unionist Party (DUP) einen Stellvertreter für die Erste Ministerin – Michelle O’Neill von Sinn Féin – nominiert, erfüllt sich nicht.

DUP-Chef Jeffrey Donaldson sagte, solange das Nord­irlandprotokoll bestehe, das Bestandteil des Brexit-Vertrags ist, werde seine Partei der Regierung fernbleiben. Er werde sein Mandat für das Regionalparlament aufgeben und stattdessen seinen Unterhaussitz behalten, sagte er am Mittwoch. Ein Doppelmandat ist nicht zulässig.

Ohne die DUP wird es keine nordirische Regierung geben. Im Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998, das der britischen Provinz relativen Frieden beschert hat, ist festgelegt, dass die beiden stärksten Parteien auf protestantisch-unionistischer und katholisch-republikanischer Seite die Erste Ministerin und ihren gleichberechtigten Stellvertreter ernennen müssen.

Zum ersten Mal in der Geschichte Nordirlands stellen die Unionisten nicht mehr die stärkste Partei. Sie sind von Sinn Féin, dem früheren politischen Flügel der inzwischen aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA), überholt worden. Eigentlich hat Sinn Féin die Wahl aber nicht gewonnen, sondern die Unionisten sie verloren.

Das Nordirland-Protokoll regelt Zollgrenzen und verärgert die DUP

Sinn Féin kam im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren auf dieselbe Zahl an Mandaten. Weil aber die DUP vor der Wahl angekündigt hatte, die Regierungsbildung wegen des Nordirlandprotokolls zu torpedieren, sind viele Wähler zu anderen Parteien, nicht zuletzt zur neutralen Alliance Party, abgewandert.

Das Protokoll regelt, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarkts bleibt. Dadurch wird zwar eine Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland vermieden, aber stattdessen gibt es nun eine Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien, damit britische Waren nicht unkontrolliert nach Nordirland und von dort in die EU gelangen können.

Das ist für die Unionisten, die für den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich eintreten, unannehmbar, weil Nordirland dadurch anders als die anderen Regionen des Vereinigten Königreichs behandelt wird. Das verstoße gegen die Unionsgesetze von 1800, sagen sie.

Es bleiben nun sechs Monate Zeit für Verhandlungen. Führen sie zu keinem Ergebnis, übernimmt die britische Regierung die Herrschaft über die Provinz. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, sagte am Dienstag, eine Neuverhandlung des Protokolls komme nicht in Frage. Eine einseitige Aufkündigung durch London würde „unsere Bemühungen um eine mögliche Lösung schwieriger“ machen. In den kommenden Tagen wird sich Šefčovič mit der britischen Außenministerin Liz Truss treffen.

EU hat Änderungen des Protokolls angeboten

Am Dienstagabend hat sich nun der US-Kongress in die Debatte eingemischt. Er warnte die britische Regierung, dass die einseitige Aufkündigung des Nordirlandprotokolls „eine direkte Verletzung internationalen Rechts“ wäre und „das Belfaster Abkommen gefährden“ würde. US-Außenminister An­tony Blinken kündigte an, man werde „in Kürze einen Sonderbeauftragten für Nordirland nominieren“.

Es gibt jedoch Anlass für vorsichtigen Optimismus. So verlangte Donaldson am Mittwoch nicht mehr die Abschaffung des Protokolls, sondern lediglich „entscheidende Maßnahmen“. Die EU hat außerdem Änderungen des Protokolls angeboten, die die meisten nord­irischen Kontrollen von Waren aus Großbritannien überflüssig machen würden.

Aber selbst dann ist keineswegs sicher, ob die DUP die Demütigung hinnehmen und in eine Regierung eintreten würde, in der Sinn Féin die Erste Ministerin stellt.

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