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Depression bei GeflüchtetenSeelische Wunden

Viele Menschen, die fliehen müssen, erkranken psychisch. Manchmal erst nach Wochen, Monaten, Jahren. Wir müssen aufmerksam sein und sie unterstützen.

Geflüchtete Menschen aus der Ukraine registrieren sich nach ihre Ankunft in Bayern Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

ber zwei Monate ist es her, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Inzwischen sind über 380.000 Geflüchtete nach Deutschland gekommen. Wie es ihnen wohl geht?

Etwa ein Drittel von ihnen wird im Laufe der Zeit eine psychische Erkrankung entwickeln. Davon geht Lukas Welz aus, Geschäftsleiter der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer. Depressionen, Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen sind die Leiden, mit denen geflüchtete Menschen am häufigsten kämpfen.

Bisher scheint es mit der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine gut zu laufen. Die Gastfreundschaft ist groß; viele Ukrai­ne­r*in­nen kamen privat unter, bei Verwandten, aber auch bei Fremden. Auf Nachbarschaftsplattformen wie nebenan.de las ich immer wieder von Nachbar*innen, die noch das ein oder andere für ihre Gäste suchten.

Ruhe, Sicherheit, Struktur

Dieses Engagement ist unglaublich wichtig für das langfristige psychische Wohlbefinden. Denn neben den Umständen der Flucht und den ihr vorangegangenen Ereignissen wirken sich natürlich auch die Erfahrungen im Ankunftsland auf die Psyche aus. Nun brauchen Ankommende in erster Linie Ruhe, ein sicheres Umfeld und Struktur. Nicht invasiv nachfragen, aber den Krieg auch nicht verschweigen, um das Gefühl der Isolation nicht zu bestärken, rät die Psychotherapeutin Danja Schönhöfer in der taz. Ein Balanceakt, der ein hohes Maß an Feingefühl und Aufmerksamkeit fordert.

Kurz nach dem Angriff Russlands sprach ich mit einer Freundin über die Situation. In ihrer WG war gerade ein Zimmer freigeworden. Sie fühlte sich schuldig, weil sie und ihr Mitbewohner sich dennoch gegen eine Aufnahme entschieden. Ich verstand die Gründe, sie hatte gerade einen neuen Job begonnen und wollte in wenigen Wochen ausziehen. Sie befürchtete, überfordert zu sein, außerdem traute sie ihrem Mitbewohner die Verantwortung nicht zu.

Ich wünschte, ich hätte mich damals schon mehr mit dem Thema Flucht und Trauma auseinandergesetzt, dann hätte ich meiner Freundin gut zureden und Tipps geben können. So teile ich sie mit Ihnen, liebe Leser*innen.

Das Max-Planck-Institut beispielsweise hat Videos erstellt, in denen eindrücklich erklärt wird, wie sich Traumata im Körper manifestieren und ab wann es sinnvoll ist, Hilfe aufzusuchen. Auf Englisch, nun auch mit ukrainischen sowie russischen Untertiteln versehen, können Betroffene und auch Helfende so ihre Aufmerksamkeit schulen.

Auch die Berliner Institutionen Xenion und das Zentrum Überleben bieten Beratung und Hilfe sowohl für Geflüchtete als auch für ehrenamtlich Engagierte an – Letztere können auch Schulungen in Anspruch nehmen.

Wichtig ist es, die psychischen Folgen Geflüchteter nicht aus den Augen zu verlieren. Denn oft zeigen sie sich erst Wochen, Monate, ja manchmal Jahre später.

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Sophia Zessnik
Redakteurin für Theater
Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.
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