Psychische Störungen in Sozialen Medien: Stigma und Vorurteil

Beim Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard werden psychische Diagnosen einseitig öffentlich geteilt. Für Betroffene ist das schädlich.

Eine Frau gestikuliert aufgeregt

Schauspielerin Amber Heard während des Prozesses gegen ihren Ex-Mann Johnny Depp Foto: Jim Lo Scalzo/reuters

Wer in den vergangenen Wochen regelmäßig in sozialen Medien unterwegs war, ist an einem Thema nicht vorbeigekommen: dem Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard. Depp verklagt seine Ex-Frau wegen angeblicher Falschaussagen zu häuslicher Gewalt. Während der Prozess bisweilen einen gewissen Unterhaltungswert hat, gruseln mich die ganzen Details, die dort ans Licht der Öffentlichkeit gelangen.

Beispielsweise wenn es darum geht, wer wem wann und warum ins Bett geschissen hat. Den Vorwürfen physischer und psychischer Gewalt muss juristisch nachgegangen werden. Auch die mediale Aufmerksamkeit hat hier seine Berechtigung, allein um das gesellschaftliche Problembewusstsein zu schärfen. Aber wie verhält es sich mit psychischen Störungen? Muss die Allgemeinheit erfahren, welche Diagnose ein*e Gut­ach­te­r*in stellt? Zur Erläuterung: Das Anwaltsteam von Depp beauftragte eine Rechtspsychologin, um ein Gutachten von Heard zu erstellen. Ihre Diagnose: Heard leide an einer Borderline-Störung sowie an einer histrionischen Persönlichkeitsstörung.

Persönlichkeitsstörungen werden in drei Hauptgruppen eingeteilt, wobei sowohl die histrionische als auch die Borderline-Persönlichkeitsstörung der Gruppe B angehören und mit den Stichworten „dramatisch, emotional, launisch“ charakterisiert werden. Hier taucht schon ein Problem auf: Wer nur diese Attribute hört, fällt schnell ein übereiltes Urteil über Betroffene. In Heards Fall war seitens der Rechtspsychologin von egozentrischem, theatralischem und manipulativem Verhalten die Rede. Das kann zutreffen, muss es aber nicht.

Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung „sind oft sehr feinfühlige, sensible Menschen, die in der Kindheit instabile Beziehungserfahrungen gemacht haben […]“, sagt Susanne Margreiter, Leiterin des Wiener Instituts für Psychotherapie. Häufig seien sie durch Missbrauch oder Gewalterfahrungen traumatisiert. Nicht wenige neigen zu selbstverletzendem und suizidalem Verhalten.

Eindimensionale Betrachtung

Wer die Berichterstattung und die sozialen Medien zum Prozess verfolgt, bekommt den Eindruck, die Sache sei klar: „Heard ist das Monster, er das Opfer“, so fasst Laila Oudray die eindimensionale Betrachtung des Falls in der taz zusammen.

Doch diese einseitige Darstellung von Persönlichkeitsstörungen – wie sie auch im Prozess stattfindet – ist für Betroffene schädlich. Sie verfestigt Vorurteile und trägt zur Stigmatisierung bei. Auch psychiatrisches Fachpersonal hat laut einer Studie diese Vorurteile verinnerlicht. Dass sich Betroffene häufig missverstanden fühlen und dementsprechend keine Hilfe suchen, ist leider nicht verwunderlich, sollte aber nicht so sein. Denn Behandlungsmöglichkeiten gibt es und diese können Leben retten. Bloßes Berichten ohne Einordnung und damit verbundene Vorverurteilungen sind dagegen fahrlässig.

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Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.

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