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Schwangerschaftsabbrüche in den USALebensgefährlicher Rückschritt

Patricia Hecht
Kommentar von Patricia Hecht

Das nationale Recht auf Abtreibung steht in den USA auf der Kippe. Es wäre der Erfolg einer gut vernetzten, fundamentalistischen Rechten.

Protest gegen den Supreme Court in Washington, der das Abtreibungsgesetz verschärfen könnte Foto: Alex Brandon/ap

D ie Pläne des Obersten Gerichtshofs der USA sind eine Katastrophe. Einem Entwurf zufolge, der die Mehrheitsmeinung der RichterInnen beschreibt und von der Nachrichtenseite Politico veröffentlicht wurde, soll das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt werden. Das Urteil, mit dem dieses Recht garantiert worden ist, sei „von Anfang an ungeheuerlich falsch“ gewesen, schreibt Richter Samuel Alito in diesem Entwurf. „Seine Argumentation war außergewöhnlich schwach, und die Entscheidung hatte schädliche Konsequenzen.“

Zu befürchten war diese bedrohliche Entwicklung seit Langem. Vor fast 50 Jahren hatte ebendieses oberste Gericht mit einem Urteil namens „Roe v. Wade“ Geschichte geschrieben. Seit 1973 sind Abbrüche in den USA bis zur 24. Woche legal, also bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein Fötus außerhalb des menschlichen Körpers lebensfähig ist. Das damalige Urteil war ein globaler Meilenstein im Kampf von Frauen um den eigenen Körper. Von Beginn an jedoch war es erbittert umkämpft.

Konservative und Rechte mobilisierten Kräfte, AnwältInnen und Geld, um einen Kulturkampf zu führen, Kampagnen zu fahren und strategisch an einem Framing zu arbeiten, das Abbrüche über die Jahrzehnte als Mord brandmarkte. Immer wieder erließen republikanisch regierte Bundesstaaten Gesetze, die Abbrüche kriminalisierten, um „Roe“ herauszufordern.

Der jetzige Entwurf des Gerichts ist insofern der Erfolg einer gut vernetzten, christlich-fundamentalistischen Rechten, die 2016 auch dazu beitrug, Trump ins Amt zu bringen. Der gab den möglichen Todesstoß für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch: Er nominierte drei streng konservative RichterInnen für den Supreme Court, die die nun veröffentlichte Mehrheitsmeinung sichern. Demnach soll „die Frage der Abtreibung an die gewählten Volksvertreter zurückgegeben“ werden. Knapp die Hälfte der Bundesstaaten hat fertige Gesetze vorliegen, um Abbrüche zu verbieten.

Noch hat das Gericht nicht entschieden. Schon jetzt aber zeichnet sich ein politisches Erdbeben ab. Noch in der Nacht wurden Barrikaden vor dem Supreme Court errichtet, versammelten sich Frauen zum Protest. Die demokratische Senatorin Elizabeth Warren twitterte, „ein extremistisches oberstes Gericht“ wolle seine rechte Meinung dem Land überstülpen, und rief zu Protesten auf.

Entscheidung im Juni

Bis Juni soll die Entscheidung fallen. Fällt sie wie erwartet, hätte dies dramatische Konsequenzen für Frauen in den USA – und eine Signalwirkung, die für Frauen auf der ganzen Welt lebensgefährlich ist. Wie „Roe“ damals Vorbild für demokratische, gesundheitsbewusste Länder war, wäre auch das jetzige Urteil Vorbild für fundamentalistische, rechte Regierungen. Es wäre ein Paradigmenwechsel und zivilisatorischer Rückschritt, würden die USA zum Leitbild, reproduktive Rechte zu kriminalisieren.

Nirgendwo auf der Welt führen restriktive Gesetze dazu, dass es keine Abbrüche mehr gibt. Sie verhindern lediglich sichere Abbrüche. Rund 47.000 Frauen jährlich sterben, weil sie unter unsicheren Bedingungen abtreiben. All diese Tode wären vermeidbar. Mit einem solchen Urteil könnten es wieder mehr werden.

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Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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15 Kommentare

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  • Das Erbe Trumps. Cooler Freund von Weinstein und Epstein. Wenn es dann eine Vergewaltigung war, werden die Gesetze die Abtreibungen trotzdem verbieten und Gerichte argumentieren "dass Gott es so gewollt hätte".

    Täter werden geschützt, Opfer werden bestraft.

  • Wenn den US-Amerikaner:innen das Recht auf eine legale Abtreibung etwas bedeutet, dann müssen sie wohl wählen gehen. Im November ist es soweit. Nicht vergessen!

  • Zur Einordnung: Es geht um das Recht auf Abtreibung als Recht auf Bundesebene. Wenn Roe vs Wade gekippt wird, werden nicht automatisch in den gesamten USA Abtreibungen illegal. Die Zuständigkeit wandert dann auf die Ebene der Bundesstaaten. In New York, Oregon oder Kalifornien bleibt die Abtreibung weiterhin legal, in Texas wird sie vermutlich abgeschafft. Aber eine texanische Frau kann in einem Nachbarbundesstaat legal abtreiben, wenn es die dortigen Gesetze zulassen.

    Es wird dann ein Flickenteppich geben wie bei der Todesstrafe, und die Bürger jedes Bundesstaates haben es in der Hand Repräsentanten zu wählen die liberale Abtreibungsgesetze beschließen.

    • @Phili:

      Och Umwege über Bundesstaaten sind ja kein Problem, sagt jemand aus der sicheren Couch Zuhause. Vielleicht sollte der deutsche Staat auch sowas mal anfangen. Mit Kindergeld nur in Schleswig-Holstein und Hamburg (kann aber auch aus München beantragt werden, man muss es ja nur abholen), dann Steuererklärung abzugeben nur noch in den Landeshauptstädten, sonst keine Steuern zurück etc. etc. Mal schauen wie schnell auch in D bei nur "wenigen Kilometern" sich Unmut äußern würde.

      Aber klar, sollen sich alle nicht so anstellen. Hauptsache man selbst profitiert von allem, sonst ist alles scheiße...

    • @Phili:

      Meine Prognose:



      Staaten mit Todesstrafe verbieten bald Schwangerschaftsabbrüche.

      Finde den Fehler.

    • @Phili:

      Zur Einordnung: Texas ist doppelt (!) so groß wie Deutschland. Sollten Abbrüche in Texas illegalisiert werden, müssen schwangere Personen für Abtreibungen also sehr weit reisen. Das ist teuer und zeitaufwändig - wo womöglich Abbrüche in Nachbarstaaten nur in begrenztem Zeitrahmen vorgenommen werden dürfen. Durch Illegalisierung würden also enorme Hürden aufgebaut werden, die umso größer sind je ärmer die Personen sind.

    • @Phili:

      Das müssen sich die Frauen aber erst Mal zeitlich und preislich leisten können, in einem anderen Staat abzutreiben. Es trifft einfach immer die einkommensschwächeren Frauen. Da ist der Kleiderbügel wieder näher...

      • @Inazea:

        Hinzu kommt: Es wird ja kein Flickenteppich geben, sondern riesige Gebiete, in denen der Schwangerschaftsabbruch unmöglich/illegal sein wird. Wer irgendwo im tiefen Süden lebt, wird über tausend Kilometer reisen müssen - das ist nicht wie vor fünfzig Jahren, wo "frau mal schnell nach Holland" gegangen ist.

        Sollte das Urteil so fallen wie erwartet, wird aber keinesfalls Rechtsfrieden einkehren. Ab dann werden Prozesse geführt bei Abtreibung in Fällen von Inzest/Vergewaltigung/Gefahr für das Leben der Mutter oder den Versand von Abtreibungsmedikation.

  • Es ist ein Kennzeichen religionsfeudaler Reaktionäre, dass sie Gesetze etablieren wollen, die sie selbst nicht einhalten und unter denen sie nicht leiden müssen. Mit Moral und Lebensschutz hat das nichts zu tun.

  • "Die Pläne des Obersten Gerichtshofs der USA sind eine Katastrophe." Nein, die Dysfunktionalität der Legislative ist katastrophal, nicht dieses wahrscheinliche Urteil über die amerikanische Verfassung

  • Frauen, die in den USA unbedingt abtreiben möchten finden einen Weg. Schwieriger ist es in Ländern wie Saudi-Arabien, Pakistan oder Somalia.

    Wir sollten uns dafür einsetzen, dass es überall auf der Welt Möglichkeiten der straffreien Abtreibung gibt, nicht nur in westlichen Ländern!

    • @VanessaH:

      "Frauen, die in den USA unbedingt abtreiben möchten finden einen Weg."



      "Ländern wie Saudi-Arabien, Pakistan oder Somalia"



      Schon interessant, wenn nicht zuletzt christliche Fundamentalisten Roe vs. Wade kippen ist das also kein Problem, weil sie ja andere, illegale und gefährliche Wege finden werden, aber wenn muslimisch geprägte Länder Abreibungen verbieten (Ich habe ehrlich gesagt nicht wirklich Ahnung wie die konkrete Rechtslage in Somalia ist, die in einem failed state ohnehin irrelevant sein dürfte.) ist es eines? Wie kommen sie zu der Annahme, dass die white trash Unterschichtlerin in den USA Wege finden wird, die der stinkreichen Saudi nicht offen stehen?

    • @VanessaH:

      Whataboutism? Also weil es in anderen Staaten angeblich keine Möglichkeiten gibt (und sie irren sich diesbezüglich sehr) sollen wir nicht so kritisch damit umgehen? Und die Frauen sollen sich nicht so anstellen? Auweia....

    • @VanessaH:

      Einerseits haben Sie natürlich Recht mit der Forderung Abtreibung überall zu legalisieren. Doch finde ich, Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie sagen, die US-amerikanischen Frauen werden schon einen Weg finden. Sicher werden sie das, so wie die deutschen Frauen über die damals noch nicht Schengen bedingt offene Grenze nach Holland mussten, um dort die Abtreibung vornehmen zu lassen. Oder sich in Deutschland von Ärzten behandeln lassen mussten, die fanden, sie hätten es verdient, wenn es ordentlich weh tut. Ja, sorry, ich gehöre noch zur alten Generation, die das erlebt hat. Warum sollte man das jemandem zumuten? Weil die Trumpisten dieser Welt das so wollen? Und wohin werden die amerikanischen Frauen dann gehen? Da gibt es ja nur die Alternativen Mexiko und Kanada und möglicherweise sehr lange Anreisen, wenn man nicht grad in Grenznähe wohnt.

    • @VanessaH:

      In den USA herrscht Ungleichheit und Armut. Arme Personen werden es dort also extrem schwer haben, abzutreiben. Denen hilft der Verweis nicht, dass es anderswo noch schwieriger ist.