Diskussion um NS-Straßennamen: Geehrte Kriegsverbrecher
In der Tradition der NS-Propaganda würdigen Wilhelmshaven und Varel bis heute Friedrich Bonte für den Überfall auf Norwegen. Nun kommen Debatten auf.
Bonte kam dabei tags darauf zu Tode und verlor zehn Schiffe. „Die Nationalsozialisten haben diese Niederlage zu einer Heldentat und ihn zum Vorbild stilisiert“, sagt der Regionalhistoriker Hartmut Peters aus Wilhelmshaven. Bonte sei eine vom NS-Regime „konstruierte Propagandafigur“. Wenn die Stadt also heute eine Bontestraße hat, vor allem aber einen Bontekai, eine mittlerweile sehr schicke Wohnadresse – „dann bewegt man sich damit auf dem Niveau der NS-Propaganda“, sagt Peters.
Bonte diente schon im Ersten Weltkrieg in der Marine und gehörte danach zeitweilig der Marinebrigade „Ehrhardt“ an, einem rechtsradikalen Freikorps, das durch die brutale Niederschlagung der Münchner Räterepublik 1919 bekannt wurde, aber auch durch seine Beteiligung am Kapp-Putsch 1920. „Viel mehr ist über Bonte nicht bekannt, eine wissenschaftliche Biographie existiert bis heute nicht“, sagt Stephan Huck, Direktor des Deutschen Marinemuseums in Wilhelmshaven.
„Wir haben es mit einem Leben zu tun, das alle Elemente der damals gültigen Vorstellungen von Heldentum aufwies“, sagt Huck. Es stehe aber außer Frage, dass das heute „nicht mehr zur Begründung einer Benennung nach Bonte taugen würde“. Denn als verantwortlicher Offizier habe er seinen Anteil an dem „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ gehabt.
Ein Mittel der Propaganda
„Die Benennung des Bontekais war ein Mittel der nationalsozialistischen Propaganda, um die Verluste vor Narvik sinnstiftend zu deuten“, sagt Huck. „Und immer und immer wird ein Name wie eine Fackel leuchtend brennen, als Vorbild und als Richtpunkt, der Name des Kommodore, der Name Bonte“, schrieb das Oberkommando der Wehrmacht kurz nach dessen Tod.
Am 9. April 1940 überfiel Deutschland die beiden neutralen Länder Dänemark und Norwegen im Zuge der „Operation Weserübung“ – ohne Kriegserklärung.
Die Dänen kapitulierten bereits nach kurzzeitigen Kampfhandlungen, die Norweger nach heftigem Widerstand erst knapp zwei Monate später. Beide Länder blieben bis Kriegsende 1945 unter deutscher Besatzung. Insgesamt kamen über 10.000 Norweger:innen und rund 3.200 Dän:innen ums Leben.
„Der deutsche Angriff spielt in der norwegischen Erinnerungskultur eine wichtige Rolle“, sagt Leiv Sem, Professor an der Universität in Bodø, der zur Kulturgeschichte des Krieges und der populären Erinnerungskultur geforscht hat. Das Motiv werde aber meist beschworen, um die mangelnde Fähigkeit Norwegens zu beschreiben, seine Grenzen und seine Neutralität zu verteidigen. Andererseits werde für die Norweger „der Schock des deutschen Überraschungsangriffs wahrscheinlich von der traumatischen Erfahrung der anschließenden Besatzungszeit überschattet.“
Wie der Norweger zu der Benennung des Bontekais steht und zu den Bontestraßen hierzulande? „Es liegt mir fern, anderen vorzuschreiben, wie sie mit ihrer Geschichte umgehen sollen“, sagt Sem. „Allerdings könnte man sagen, dass es für einen Norweger etwas überraschend ist, zu erfahren, dass der Angreifer von Narvik auf diese Weise geehrt wird.“
Mehr als 80 Jahre nach der „Operation Weserübung“ beginnt nun aber, ganz sachte, eine Debatte um die Umbenennung insbesondere des prominenten Bontekais in Wilhelmshaven. Stephan Huck vom örtlichen Marinemuseum schlägt vor, die zivilgesellschaftliche Diskussion um diese „geschichtspolitische Frage“, die unter anderem vom runden Tisch „Dekolonialisierung“ ausgeht, nun in die politischen Gremien der Stadt zu verlagern.
Und die Sprecherin der Stadt sagt, man werde sie „im Sommer“ ebenda einbringen. Im übrigen will man von offizieller Seite erst Stellung nehmen, wenn die Willensbildung „ergebnisoffen“ erfolgt sei. Zwar will die Stadt sich neuerdings als Tourismusdestination profilieren. Sorge, Gäste aus Skandinavien mit einem Bontekai eher abzuschrecken, hat man aber nicht.
Militärhistoriker Huck bringt ins Gespräch, den Namen des Bontekais zu erhalten, aber zu erklären, warum der Name „einst als opportun, heute jedoch als belastet angesehen wird“. Er bringt dabei die Anwohner:innen ins Spiel: „Man sollte nicht vergessen, dass sie sich diesen Namen nolens volens angeeignet haben und mit dieser Adresse gelebt haben“, so Huck. Dadurch hätten sich „längst Bedeutungsüberlagerungen gebildet“, die mit Bonte nichts mehr zu tun hätten, „deshalb aber keineswegs gering an Bedeutung sind“.
Neue Aktualität durch den Ukraine-Krieg
Für Regionalhistoriker Peters indes „kommt es nicht in Frage, die Namen zu belassen“. Erklärende Schilder „können die fundamentale Negierung zentraler Werte unserer Republik nicht kompensieren“, schreibt er in einem bisher unveröffentlichten Leserbrief. Er sei aber „zuversichtlich“, dass sich jedenfalls in Wilhelmshaven nun etwas tut – auch weil die Frage, inwiefern Neutralität ein wirksamer Schutz vor Aggression ist, durch den Krieg in der Ukraine sehr aktuell geworden ist.
In Varel wurde 1941 immerhin nur eine kurze Sackgasse nach dem Kriegsverbrecher benannt, die Diskussion um eine Umbenennung versandete aber immer wieder. Auch derzeit gebe es keine entsprechenden Überlegungen, teilt Bürgermeister Gerd-Christian Wagner (SPD) der taz mit. Vor dem Hintergrund der Anfrage und der Diskussion in Wilhelmshaven werde die Stadtverwaltung dieses Thema den zuständigen Gremien aber „zeitnah zur Beratung vorlegen“.
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