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Russlands neue MilitärstrategieUnfreiwilliger Strategiewechsel

Kommentar von Barbara Oertel

Die bisherigen Kriegsziele des Kreml sind unrealistisch. Notgedrungen orientiert die russische Armee sich nun anscheinend auf den Donbass um.

Der russische Präsident bei einer Pressekonferenz Anfang Februar Foto: ap

O ffensichtlich muss Russlands Präsident Wladimir Putin jetzt kleinere Brötchen backen. Da die Spezialoperation zur Demilitarisierung und Entnazifizierung in der Ukraine außer dem Verlust Tausender Menschenleben und sinnloser Zerstörung nicht die gewünschten Ergebnisse bringt, sollen sich die russischen Truppen auf den Donbass konzentrieren. Beziehungsweise das, was von dem demoralisierten Haufen noch übrig ist.

Nur gut, dass auch die von Georgien abtrünnige Region Südossetien ihre tapferen Kämpfer in den Kampf gegen den „Faschismus“ an der Seite Russlands schickt. Eine Wahl haben die Betroffenen eh nicht – jetzt, wo es darum geht, das letzte Aufgebot zu mobilisieren. Doch der scheinbare Sinneswandel des Kreml ist purer Not und dem Umstand geschuldet, zumindest mit einer Trophäe aus dem Feldzug zurückzukehren zu müssen, der dann an der Heimatfront als Sieg verkauft werden kann.

Nicht zufällig hat der Anführer der „Volksrepublik Luhansk“ die Möglichkeit eines Referendums über den Beitritt zur Russischen Föderation angekündigt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sein Kollege in der „Volksrepublik“ Donezk nachzieht. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Der Machtanspruch bezieht sich auf das gesamte Gebiet der Regionen, die zum Teil noch unter ukrainischer Kontrolle sind.

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie eine derartige Volksabstimmung ablaufen wird: Unter vorgehaltener Knarre, wie schon 2014 auf der Halbinsel Krim. „Freiheit, die ich meine“ – absurd angesichts der Tatsache, dass Menschen in Donezk und Luhansk in Foltergefängnissen einsitzen und zwangsevakuierte Geflüchtete aus der Ukraine dort jetzt einer Gehirnwäsche unterzogen werden.

Doch unabhängig davon, ob das Referendum stattfindet oder nicht: Die Ukrai­ne­r*in­nen werden sich nicht beugen, ergo wird der Kampf um Donezk und Luhansk weitergehen. Die Chancen, noch eine diplomatische Lösung zu erreichen, schwinden ebenfalls. Aber diese Option war für Russland ohnehin nie etwas anderes als ein Spiel auf Zeit.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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6 Kommentare

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  • Es ist ärgerlich, immer wieder zu hören, dass der russische Kriegsverbrecher seine Ziele nicht erreicht hätte. Schließlich wurden die Ziele des Überfalls in der Ukraine ja nie eindeutig benannt, bis auf die grotesken Absichten einer Entnazifizierung und Entmilitarisierung.



    Daher hier ein paar Vorschläge.



    1) In Belarus im Kleinen geübt und dort gescheitert. Auslösung der größten Fluchtbewegung und humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts, in der Hoffnung, Europa zu destabilisieren.



    2) Destabilsierung der Ukraine: destabilisierte Länder in andauernden Konflikten werden im Allgemeinen nicht in Bündnisse wie NATO oder EU aufgenommen, bevor der Konflikt beendet ist. Wenn der Konflikt schon da ist, wäre bei Aufnahme in die NATO direkt der Bündnisfall gegeben.



    3) Völkerrechtswidrige Besetzung von Teilgebieten: Auch der unklare Status von durch Russland separierte Gebiete verhindert Bündnisse durch Rechtsunklarheit.



    4) Zerstörung von (militärischer) Infrastruktur: Die Verluste auf russischer Seite scheinen beträchtlich zu sein. Aber davon auszugehen, dass die angerichteten Zerstörungen in der Ukraine bedeutungslos wären, ist naiv.



    5) Da eine Atommacht keine Verantwortung für ihr Handeln tragen muss, kennt jeder nun das Ausmaß an Zerstörung, die Russland anzurichten bereit ist, wenn sich politische Verhältnisse in seiner Nachbarschaft nicht nach Wunsch entwickeln.

    Auch wenn diese Ziele nie so genannt wurden, sind sie alle erreicht. Jetzt muss nur noch Donezk und Luhansk erfolgreich zerrüttet werden, alles andere ist das Sahnehäubchen. Was sagt die russische Bevölkerung dazu? Belanglos; ein Krieg findet nicht statt.

  • Die bisherigen Kriegsziele des Kreml sind unrealistisch. Notgedrungen orientiert die russische Armee sich nun anscheinend auf den Donbass um."

    Wenn sich die russische Armee nun auf den Donbass konzentriert, dann wird die ukrainische ebenfalls tun. Das russische Kriegsziel Besetzung (Annektion?) des Donbass ist also ebenfalls unrealistisch.

    • @Barbara Falk:

      Diese für die Ukraine optimistische Sichtweise kann ich leider nicht teilen.

      Es ist militärisch ein gewaltiger Unterschied, aus einer gesicherten Verteidigungsposition heraus einen Angriff aufzuhalten oder gar abzuwehren, als in einer Offensive seine Kräfte einzusetzen. Die russische Armee hat im offenen Feld ja durchaus Erfolge zu verbuchen, sie besitzt derzeit nur nicht die Mittel (bzw. den Willen), die wie Festungen verteidigten Metropolen in einem Kampf Haus um Haus einzunehmen. In dieser Konstellation kann das ukrainische Militär ihre Stärken ausspielen.

      Im Donbas stellt sich eine andere Realität. Die Ukraine verfügt kaum noch über Angriffswaffen wie Panzer, Flugzeuge oder Geschütze. Auch muss sie dort befestigte und gut bewaffnete Stellungen angreifen, gegen einen Gegner, dem (im Gegensatz zu den Russen) das Terrain gut bekannt ist und der die topographischen Gegebenheiten ausnutzen wird.

      Die ukrainische Armee kann derzeit gut einen Krieg der überraschenden Schläge gegen die russischen Truppen führen, eine tatsächliche Offensive gegen die Rebellen im Donbas hat sie bereits vor dem Krieg überfordert, dies gilt jetzt, wo russische Truppen die Rebellen ergänzen, umso mehr.

      • @Cerberus:

        Ich wollte nicht andeuten, dass die ukrainische Armee den gesamten Donbass zurückerobern könnte (oder wollte). Aber an den verschiedenen Fronten sind russische und ukrainische Kräfte gleichermaßen gebunden. Wenn sich aber die Russen auf den Donbass konzentrieren sollten, sind an den anderen Fronten auch weniger ukrainische Truppen gebunden, am Kräfteverhältnis ändert sich nichts.



        Zelensky hat ja vorgestern in einem umfangreichen Interview mit unabhängigen russischen Journalisten seinen Vorschlag für eine möglichst schnelle Beendigung der Kampfhandlungen erläutert: Einen Rückzug der russischen Truppen auf die Demarkationslinie im Donbass vom 23.2.2022 (das ist deutlich weniger als die Gebiete Donezk und Lugansk), Waffenstillstand und den Beginn von Verhandlungen. Mehr kann er nicht anbieten, weil er für die Selbstaufgabe des ukrainischen Staats und die Preisgabe weiterer ukrainischer Bürger und Territorien an Russland kein Mandat hat. Wenn Putin sich darauf nicht einlässt (was zu befürchten ist), wird weitergekämpft. Genauer gesagt, gebombt. Am Boden sind ja, wie Frau Oertel richtig beschreibt, die Russen immer weniger erfolgreich, weil die Verluste der russischen Bodentruppen (Gefallene, Verletzte, Gefangene) sowie auch an Fahrzeugen und Panzern mittlerweile an die 25% gehen. Es gibt nahezu keine gut ausgebildeten Truppen in der Hinterhand mehr, mit denen die russische Seite diese Verluste ausgleichen könnte. Und die ukrainische Armee geht zu genau den Gegenoffensiven über, von denen Sie sagen, sie sei dazu nicht in der Lage (bei Kiev, Charkiv und Sumy).



        Zelensky schlägt ja auch vor, direkt mit Putin zu verhandeln, damit der ihm sein „Kriegsziel“ erklären kann. Aber Putin mag nicht.

  • Was sind denn die gewünschten Ziele bitte? Wer darüber schreibt, sollte diese auch benennen.

    • @Herbert Eisenbeiß:

      Steht doch drin:

      "Demilitarisierung und Entnazifizierung"