Messestadt in Sachsen: Lieber Leipzig
Die Pop-up-Buchmesse, die bis vor ein paar Tagen in Leipzig gefeiert wurde, zeigte deutlich, warum diese Stadt ein lebenswerter Ort ist.
Im Grunde schien nicht nur die Literatur, sondern auch Leipzig im Format der Pop-up-Messe zu sich selbst zu finden. Anders als die offizielle, dieses Jahr abgesagte Messe mit ihren piefig-spießigen Bildwelten und den Corporate-Design-Farben Blau und Weiß (farbpsychologisch irgendwo zwischen mittelständischer Unternehmensberatung und bayerischer Würstchenwerbung angesiedelt), wirkte das Pop-up-Format frisch, interessant, gemütlich.
In den Messehallen, wo man sonst als promisker Zuhörer von Bühne zu Bühne eilt, um Autoren lesen zu hören, können Konsummessen gefeiert werden, aber eigentlich wünscht man sich, dass die Literatur sich nachhaltig von diesem Ort verabschiedet. Das Lesen in Kneipen und Bars ist doch so viel gemütlicher, obendrein wirkt selbst das Alkoholtrinken am frühen Nachmittag in einer Bar sozialer und weniger absturzgefährdet als in den seelenlosen Hallen eines Multifunktionsgebäudes.
Die Pop-up-Messe ermöglichte den Blick auf das, was Hypezig-Leipzig seit nunmehr einem Jahrzehnt Menschen verspricht: einen kreativen Ort mit viel Freiraum, der trotzdem überschaubar ist. Der gerade groß und interessant genug ist, um nicht zu langweilen, aber auch nie überfordert. Ein Ort auch für Leute, die keine Lust mehr auf Kleinstadt- oder überteuertes Großstadtleben haben, und überhaupt: die keine Lust haben auf Berlin. Leipzig wirkt wie Berlins kleine, vielleicht etwas hübschere Schwester – okay, no offense Berlin, und überhaupt, das nennt man ja wohl Lookism! – also: für Leipzig als ungefährlichere Variante von Berlin entscheiden sich Menschen wie ich, die ein Leben in einem Viertel bevorzugen, das gerade genug Offenheit verspricht, dass man nicht im biederen Einheitsbrei erstickt, aber dann doch so überschaubar ist, dass man nicht völlig den Verstand verliert.
Als ob täglich ein Supermarkt brennen würde
Zugleich ist Leipzig berühmt-berüchtigt für seine „linksradikale“ Szene. In bundesdeutschen Medien gewinnt man den Eindruck, hier brenne täglich mindestens ein Supermarkt, und das Connewitzer Kreuz hat die Dimensionen eines mythischen Molochs angenommen, dabei hängen dort vor allem Punks herum, die gerne einen Euro hätten.
Als ich noch in Dresden lebte, und Dresden wahlweise durch Pegida oder durch eine Autorenschaft, die sich durch rechte Verlage hofieren ließ, von sich hören machte, da wurde ich von Berliner Kollegen immer wieder gefragt, warum ich denn nicht nach Berlin ziehe. Weil die Stadt mich überfordert. Als Nichtberliner nimmt man Berlin als Ort der tausend Möglichkeiten wahr – da geht doch immer was, an jedem Wochentag. Aber nicht nur was Aufmerksamkeitsregimes anbelangt, konkurrieren sich Bars, Restaurants, Lesebühnen und Konzertsäle womöglich zu Tode. Es gibt nichts Ermüdenderes als eine Stadt, die nie schläft.
Wie gesagt, das ist so die Perspektive der Außenseiterin, die Berlin gut zweimal im Jahr bereist, und nach circa vier Stunden Aufenthalt panikartig (ich sage panikartig, ja!) verlässt. Es beginnt damit, dass man in Berlin nie schief angeguckt wird. Ich verstehe, dass das für Menschen, die ihr Leben lang schief angeguckt wurden, eine regelrechte Erleichterung sein muss, aber diese absolute und totale Toleranz erscheint eben nur wie die Kehrseite der für eine Metropole wie Berlin notwendigen Indifferenz dem andern gegenüber.
Wer wie ich aus einer Kleinstadt kommt, in der jeder auf alles guckt, und in der man schon früh mit dem Hass auf alles Fremde imprägniert zu werden droht, der legt sich, wenn er denn nicht zum biederen Kleinstädter werden will, eine Haltung der totalen Differenz zu: Man versucht, seine Andersartigkeit zu betonen, aber damit kommt man in Berlin nicht weit, denn dort sind immer schon alle so anders, wie es eben nur geht.
Postwendend ausgespuckt
Vor ein paar Jahren war ich auf der Party eines Magazins, das seine Jubiläumsausgabe in Berlin feierte. Ich stand orientierungslos auf einem Flur, suchte den Weg von den Toiletten zurück zur Tanzfläche, als ein kleiner Mann mit Hut auf mich zutrat. Er packte mich wortlos an den Schultern und schob mich zur Seite, mit dem Gesicht zur Wand, und ging weiter; und diese Szene, die man sich so ein bisschen Monty-Python-mäßig vorstellen muss, ist aus irgendeinem Grund seit Jahren mein Bild von Berlin.
Neulich sagte ein Fotograf zu mir, er probiere es zwar immer mal wieder mit Berlin, aber die Stadt spucke ihn stets postwendend aus. Das war das perfekte Bild, es leuchtete mir unmittelbar ein. Denn es ist nicht einfach so, dass ich Berlin nicht mag (aber das ist sicher Teil des Problems), es wirkt eher so, als bestehe da eine Form der gegenseitigen Abstoßung.
Aber ich wollte doch von Leipzig sprechen, wo ich noch nie verschoben wurde. Aber um Leipzig zu verstehen, muss man es eben abgrenzen, und zwar einerseits von Berlin und andererseits von Dresden, der sächsischen Referenzstadt. Leipzig liegt nicht nur, was die in ICE-Fahrtzeit bemessene Entfernung anbelangt, auf der Mitte der Strecke zwischen Berlin und Dresden. Es ist auch, was seine Identität betrifft, der exakte Mittelwert.
Anders als Dresden, Beamtenstadt durch und durch, und was den Kunst- und Literaturgeschmack anbelangt stets auf ein bildungsaffines, aber eben auch zutiefst konservatives Bürgertum ausgelegt, ist Leipzig offener, hat Szenen, musikalische, literarische, künstlerische. Es ist kein Zufall, dass man im Kontext von Dresden stets nur von dem einen Szeneviertel, der Neustadt eben, spricht, denn dort konzentriert sich alles, während in Leipzig jeweils andere Szenen die Stadtteile Südvorstadt, Plagwitz oder Lindenau dominieren. Hier sind die Dinge in Bewegung, nicht ganz so dramatisch wie in Berlin vielleicht, aber doch erheblich mehr als in anderen Teilen Sachsens.
Die etwas dreckige Arbeiterstadt
Gerade was die Literatur anbelangt, ist Leipzig, so will es mir scheinen, der Ort, mehr als sein Hype. Nicht nur im historischen Maßstab, weil hier alles, was Rang und Namen in Philosophie und Philologie hat, studierte, oder weil hier stilbildende und traditionsreiche Verlagshäuser und Publikationsreihen entstanden – etwa Meyers Konversations-Lexikon. By the way, wussten Sie, dass sich Hans Meyer, wenn ihn das Verlegerdasein ermattete, als „Afrikaforscher“ hervortat und dabei sogar die Spitze des Kilimandscharo stahl? So erhielt auch Leipzig seinen Platz in der unrühmlichen Geschichte des Kolonialismus.
Auch das Deutsche Literaturinstitut trägt zum Ruf Leipzigs als Literaturstadt bei. Feuilletonistisch noch gar nicht aufgearbeitet scheint mir, dass es die schreibenden Frauen sind, die das Bild der etwas dreckigen Arbeiterstadt (oho, Clemens Meyer) abgelöst haben. Bettina Wilpert, Ronja Othmann, Heike Geißler lassen nicht nur ihre Protagonistinnen nach Leipzig ziehen; sie taten es selbst. Auch deswegen fühlt sich Leipzig angenehm weiblich an, Tomboy-weiblich.
Dabei war Leipzig mal furchtbar dreckig, nicht im sexy Sinne, nicht wie Berlin also. Die zahlreichen Seen, die das Wohnen in Leipzig so angenehm machen, sind Produkte der Ausbaggerung, Ausschichtung, Unterkellerung der Naturlandschaft. Filterlose Braunkohlekraftwerke pulverten in die Luft, was sich auf der weißen Wäsche und den zarten Kinderlungen als schwarze Rußschicht ablagerte.
Leipzig ist nicht nur seinen Dreck losgeworden, es verliert auch seinen Dialekt. So wie man dem Mythos nach in Berlin vor allem schwäbelnde Menschen trifft (oder ist der Schwaben-Run längst vergangen?), hört man in Leipzig allerorten bei der jungen Generation nur noch feinstes Hochdeutsch, allenfalls leicht sauerländisch eingefärbt. So wird der Dialekt zu einem Generationenartefakt, der nur noch den älteren anhängt, wobei „ältere“ hier die Generation 30+ meint.
Dabei klingt Leipzig – im Gegensatz zu Berlin, wo alles stets härter grollt, als es gemeint ist – geradezu zärtlich.
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