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Russlands Angriff auf UkraineVorwurf von Kriegsverbrechen

Die Kämpfe und Angriffe werden immer intensiver. Aber auch die Gespräche der Kriegsparteien.

Zerstörte Wohngebäude: Ukrainischer Soldat in der Hafenstadt Mariupol Foto: Mstyslav Chernov/ap/dpa

Berlin taz/rtr/ap/dpa | Die Schreckensnachrichten aus dem Krieg in der Ukraine häufen sich. So sollen in Popasna rund 100 Kilometer westlich von Luhansk in der Nacht zu Sonntag Phosphorbomben abgeworfen worden sein, schrieb der lokale Polizeichef auf Facebook. Die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Ljudmyla Denissowa erklärte, Russland habe damit Kriegsverbrechen begangen.

In Kramatorsk, größte Stadt unter ukrainischer Kontrolle im Donbass, sei ein Zug mit Flüchtenden angegriffen worden, ein Mensch starb dabei nach Angaben des Gouverneurs. Das Kloster Swjatohirsk im Donbass wurde angegriffen, in das sich fast tausend Menschen geflüchtet hatten; es gab 30 Verletzte.

Aus der eingekesselten ostukrainischen Hafenstadt Mariupol wurden Angriffe auf die Moschee gemeldet, in der sich Menschen in Sicherheit bringen wollten. 2.100 Zivilisten sind in Mariupol nach Angaben des Bürgermeisters vom Sonntagnachmittag bisher im Krieg gestorben.

Im Westen der Ukraine bombardierte Russland am Sonntag früh den Militärübungsplatz Jaworiw rund 35 Kilometer von der polnischen Grenze, vor dem Krieg ein EU- und Nato-Ausbildungszentrum für Friedenseinsätze. Nach ukrainischen Angaben starben beim Einschlag von über 30 Marschflugkörpern, aus dem russischen Saratow abgefeuert, mindestens 35 Menschen und 134 wurden verwundet.

US-Journalist gestorben

In Irpin, der am heftigsten umkämpften westlichen Vorstadt von Kiew, starb am Sonntag der US-Videojournalist Brent Renaud, der früher unter anderem für die New York Times gearbeitet hatte, beim Beschuss einer Brücke, über die Zivilisten in Sicherheit gebracht werden sollten. Sein Kollege wurde verwundet und berichtete im Krankenhaus über den Vorfall. Immer wieder haben ukrainische Behörden den russischen Streitkräften vorgeworfen, gezielt die humanitären Korridore anzugreifen, über die Zivilisten aus umkämpften und belagerten Städten evakuiert werden. Doch fast 125.000 Menschen seien bereits evakuiert worden, sagte Präsident Wolodimir Selenski am Sonntag in einer Videobotschaft.

Die täglich erwartete russische Großoffensive auf Kiew blieb auch am Sonntag aus. Seit Freitag habe es keine größeren russischen Offensivoperationen um Kiew gegeben, bilanzierte in der Nacht zu Sonntag das „Institute for the Study of War“ in den USA und sprach von mehreren erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensiven. Aus Irpin berichteten am Sonntagnachmittag die lokalen Behörden, die ukrai­nischen Truppen hätten die Stadt zu 70 Prozent zurückerobert.

Eine am Samstag in Kiew veröffentlichte offizielle Bilanz gibt an, von 110 zum Überfall auf die Ukraine eingesetzten russischen Kampfgruppen habe die Ukraine in den ersten zwei Kriegswochen 31 außer Gefecht gesetzt – also ihnen solche Verluste zugefügt, dass sie nicht mehr für Angriffe geeignet sind. Das entspricht früheren US-Schätzungen, wonach Russland jeden Tag etwa 2 Prozent seiner Offensivfähigkeiten in der Ukraine einbüße. Das gilt als zuviel für einen russischen Sieg und zu wenig für einen ukrainischen.

Dass seit einer Woche keine Seite größere militärische Erfolge verbucht, erhöht möglicherweise die politische Kompromissbereitschaft. Beide Länder melden Fortschritte in ihren mittlerweile täglich per Video stattfindenden Verhandlungen. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak erklärte, Russland verhandle konstruktiver als bisher und habe begriffen, dass die Ukraine keine grundsätzlichen Zugeständnisse mache. Der russische Unterhändler Leonid Sluzki erklärte, seit Verhandlungsbeginn habe es substanzielle Fortschritte gegeben.

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10 Kommentare

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  • 》Dass seit einer Woche keine Seite größere militärische Erfolge verbucht, erhöht möglicherweise die politische Kompromissbereitschaft. Beide Länder melden Fortschritte in ihren mittlerweile täglich per Video stattfindenden Verhandlungen. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak erklärte, Russland verhandle konstruktiver als bisher und habe begriffen, dass die Ukraine keine grundsätzlichen Zugeständnisse mache. Der russische Unterhändler Leonid Sluzki erklärte, seit Verhandlungsbeginn habe es substanzielle Fortschritte gegeben《

    Das halte ich für eine außerordentlich wichtige Nachricht. Es wird nun auch sehr darauf ankommen, wieviel Rückhalt Selenskyj seitens des Westens, der Nato, nicht nur für seinen heroischen Kampf gegen den Aggressor Russland, sondern auch für Verhandlungen und Kompromisse bekommt.

    Wenig hilfreich sind in dieser Hinsicht im Übrigen auch Hitler-Putin Vergleiche, wie sie z. Zt. auch in seriösen Medien Konjunktur haben - wer z.B. bisher sowas als einfaches Communitymitglied bei Zeit-Online ein paarmal zu oft brachte, wurde dort von den Moderator*innen in der Regel dauerhaft gesperrt.

    Die sind da die Peace-keeping-force, und natürlich ist es für Diplomatie wenig hilfreich, Putin zum 'Lord Voldemort' (eine Kommentatorin hier bei der TAZ neulich) zu stilisieren.

    Wie es auch diplomatisch ebensowenig Sinn macht, als SPD ausgerechnet jetzt mit Gerhard Schröder endabzurechnen - und damit einen der wenigen westlichen Staatsmänner kaltzustellen, die mit Putin ins Gespräch kommen können.

    Oder als Ziel der Sanktionen nicht klar zu benennen, was geschehen muss, damit sie wieder aufgehoben werden können, sondern, wie die deutsche Außenministerin kürzlich, siegesgewiss zu erklären: "Das wird Russland ruinieren!"

    Macht alles keinen Sinn - es sei denn, wan legte auf diplomatische Lösungen gar keinen Wert und wollte weiter die ukrainischen Held*innen anfeuern, Ziel: Regime-Change in Russland.

    Das kann aber nicht sein, es geht schließlich ganz kl

    • @ke1ner:

      geht schließlich ganz klar um die Souveränität der Ukraine, z.B. ihr Recht auf eine Natomitgliedschaft.

      Bzw. genauer gesagt, ihr Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen (über die Aufnahme selbst entscheidet dann das Verteidigungsbündnis).

      Selenskyj hat wiederholt erklärt, auch eine Neutralität der Ukraine sei verhandelbar - ziehen der Westen, die NATO da mit, halten ihm - um weiteres Leid zu verhindern - den Rücken frei?

      • @ke1ner:

        Welche Ansatzpunkte sehen sie denn für einen diplomatischen Ansatz? Die Ukraine war auch schon vor Putins Überfall neutral, die NATO-Mitgliedschaft ein reiner Wunsch von dem völlig klar war, dass er unter den konkreten Gegebenheiten auf viele Jahre unerfüllt bleiben würde. Warum also sollte das nun plötzlich ein Angebot sein, dass Putin überzeugen sollte? Es geht ihm eben nicht um Neuralität oder NATO-Mitgliedschaft oder drogensüchtige Nazis oder ukrainische Atom- oder Biowaffen oder ..., sondern um territoriale Ansprüche der Ukraine und an Weißrussland, wei er sie bereits im Sommer ´21 in eine Essay beschrieben hat.



        All die Verhandlungen die gefühft werden und in denen Putin und Lawrow westliche und ukrainische Diplomaten wieder und wieder belügen, ignorieren und auflaufen lassen dienen meinem Eindruck nach absolut nicht dem Ziel Ergebnisse oder gar eine konsensuelle Lösung zu erreichen, sondern sollen allein Zeit schinden und Reaktionen abmildern, weil man sich im Westen naiver Weise an den Glauben klammern will, dass da doch noch etwas auf diplomatischem Wege möglich sein, während der Kremel eben sein Skript durchzieht das schon längst vorher fest stand.

        • @Ingo Bernable:

          Der von Ihnen erwähnte Essay lässt sich über google finden. en.kremlin.ru/even...esident/news/66181

          So schnell kann ich den Text nicht wirklich prüfen oder einordnen, aber auch auf den ersten Blick erkenne ich die im Wortsinn verheerende Logik dahinter wieder.

          Zunächst hier im Westen: Z.B. die Begründungen, als seinerzeit Großbritannien in den Krieg gegen Argentinien zog m.youtube.com/watch?v=2R2Qtf3UeL0

          Londons andauernde Weigerung, den Schotten ein zweites Unabhängigkeitsreferendum zu erlauben - 'only once in a generation' - als habe der Brexit nicht völlig andere Bedingungen geschaffen.

          Französische und britische Kriegsschiffe auf Konfrontationskurs im Ärmelkanal www.tagesschau.de/...y-fischer-101.html - nach nur 47 gemeinsamen Jahren in der EU.

          Die Verwerfungen in Irland, das Risiko, um einer Zollgrenze wegen das Karfreitagsabkommen zu brechen und den fürchterlichen Bürgerkrieg wieder aufleben zu lassen.

          Vielleicht die offensichtlichste Parallele zur Ukraine, dieses "Loch im Zaun" an der inneririschen Grenze (zu Großbritannien!) eine inakzeptable Bedrohung des gemeinsamen Marktes der EU - hingegen das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine bei gleichzeitigem Freihandelsabkommen der Ukraine mit Russland (das Moskau dann gekündigt hat) kein Problem.

          Dieser Bericht von 2010 im Tagesspiegel m.tagesspiegel.de/...raine/1806686.html , in dem es heißt: 》Der abgewählte Juschtschenko und Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, die Janukowitsch bei den Präsidentenwahlen im Februar unterlag, hatten sich nicht nur gegen eine Verlängerung der derzeit geltenden Verträge gesperrt, sondern mit Kündigung vor deren Auslaufen 2017 gedroht. Vor allem, um den Beginn konkreter Nato-Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen《

          Diese Konfrontationslogik lässt sich nicht durchbrechen, indem die eine Seite davon ausgeht, die andere woll

          • @ke1ner:

            Konfrontationslogik lässt sich nicht durchbrechen, indem die eine Seite davon ausgeht, die andere wolle "wieder und wieder belügen, ignorieren und auflaufen lassen", die stattfindenden Verhandlungen 'dienten [...] absolut nicht dem Ziel, Ergebnisse oder gar eine konsensuelle Lösung zu erreichen, sondern sollen allein Zeit schinden und Reaktionen abmildern [...]'

            Sie werden das alles vermutlich für Whataboutism halten. Aber Ihre Eingangsfrage, welche Ansatzpunkte für Diplomatie ich denn sähe, geht an einem wichtigen Punkt vorbei: wichtig ist, welche Ansätze die Ukraine, ihr Präsident sehen.

            Dafür plädiere ich: dessen Bemühungen nicht zu unterlaufen, nicht zu konterkarieren.

            Wie Sie es aber tun, indem Sie ihn implizit als Naivling zeichnen, der auf die Lügen Putins hereinfalle. Glauben Sie, der habe dieses "Skript" - das sicher komplexer ist, als Ihre Kurzfassung vermuten lässt - nicht gelesen?

            Ich hab's schon an anderer Stelle geschrieben: die Ukraine, die Menschen dort sind es, die den Preis bezahlen. Für eine Gewissheit, die letztlich Spekulation ist: Sie wissen nicht wirklich, ob Verhandlungen aussichtslos sind.

            In Ihrer Lesart riskiert Selenskyj seinen inzwischen im Westen erlangten Heldenstatus. Denn dieser Krieg wird hier wie ein Film rezipiert, die Empathie ist eher eine Identifikation mit den Held*innen dort, im Kampf gegen "Lord Voldemort" (in einem Kommentar hier vor Kurzem).

            Es ist aber kein Film¹, und mich macht es fassungslos, wie kostenlos mutig alle sind, die die Ukraine anfeuern, wie leichtfertig "Analysen", die Putin mit Hitler verbinden: die Menschen spielen in dieser dramatischen Rezeption keine Rolle, es ist egal, ob Selenskyjs Spielraum in Verhandlungen durch dieses Festnageln auf die Heldenrolle eingeengt wird.

            ¹ kein Film: so gesehen hat sich die Wahrnehmung des Kriegs inzwischen zu Binge-Watching verändert. Absehbar: als nächstes kommt Cringe-Watching, und dann, wenn die Sanktionen auch uns treffen, wollen alle das Abo kün

            • @ke1ner:

              Auch Selenski hat ja verschiedentlich deutlich gemacht, dass er sich von den 'Verhandlungen' nicht wirklich etwas erwartet, er aber die Notwendigkeit sieht sie zu führen, allein um es dennoch versucht zu haben. Diese Sichtweise scheint mir meiner Perspektive näher zu sein als der ihren. Entsprechend habe ich ihn keineswegs als "Naivling" bezeichnet (etwas genauer sollten sie schon lesen/zitieren), sondern jene im Westen die tatsächlich immer noch glauben man könne Putin aufhalten indem man nur am Verhandlungstisch die passende Zauberformel spricht.

            • @ke1ner:

              wenn die Sanktionen auch uns treffen, werden alle das Abo kündigen wollen. Das wird dann das an Realität sein, was wir aushalten, am nächsten - wir werden uns selbst bemitleiden für die Opfer, die WIR glauben, gebracht zu haben, die geflüchteten Ukrainer werden nicht mehr (so) willkommen sein - und ihre Heimat ein rauchender Trümmerhaufen.

              Was dann gewiss nicht unsere Schuld sein wird.

              Aber inwiefern hätte es die Situation vor dem Krieg im Vergleich zur jetzigen real verschlechtert, hätte die NATO die Forderungen Putins verhandelt? Wenn sie sie erfüllt hätte - keine Natomitgliedschaft, keine Manöver an den Grenzen zu Russland?

              Selbst wenn er dann trotzdem einmarschiert wäre?

        • @Ingo Bernable:

          Ihre treffende Analyse möchte ich noch um einen Punkt ergänzen.



          Verhandlungen dienen der Propaganda: "Seht, die Ukraine zwingt uns zu der Militäroperation, indem sie sich einer Verhandlungslösung verweigert."



          Klassische Täter-Opfer-Umkehr

  • "... ein EU- und Nato-Ausbildungszentrum für Friedenseinsätze ..." Warum hat die Nato ein Ausbildungszentrum in der Ukraine?

  • es ist einem zum heulen zumute ...

    bei den nachrichten, bei den bildern.



    und man heult.