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Theaterstück über Mensch und SchweinManch arme Sau

„Pigs“ ist eine Koproduktion der Münchner Kammerspiele und eines Jugendtheaters. Darin kommen Tierschützer, Metzger, Züchter und Philosophen zu Wort.

Die Schauspieler der Kammerspiele stellen eine Schlachtung nach: Szene aus „Pigs“ Foto: Judith Buss

In einem der rund 30 Schweinekoben sitzt eine vergessene Gestalt: In ihrem starren Gesicht klafft ein Loch; ungefähr da, wo beim Menschen der Mund und beim Schwein der Rüssel wäre. Auf dem Monitor vor ihr spielen niedliche Frischlinge in einem Wald. Alle anderen Bildschirme sind noch schwarz, als sich die kleine Gruppe von Zuschauern auf die restlichen Koben im Bühnenrund verteilt, das die Münchner Kammerspiele in der Therese-Giehse-Halle errichtet haben. Später werden sich auf diesen Bildschirmen 30 Experten mit kurzen Video-Statements zum Schwein zu Wort melden. Tierschützer und Mediziner, Metzger, Züchter und Philosophen.

Das Schwein ist ein Tier, das viele Begehrlichkeiten und Emotionen weckt. Es steckt in der „Drecksau“, im Glücksschwein und im Schnitzel. Es wurde im alten Ägypten gehätschelt und gilt im Judentum wie im Islam noch immer als unrein.

In „Pigs“, wie der interaktive Abend heißt, steckt auch allerhand. Neben ungewöhnlich vielen Koproduzenten zum Beispiel die Idee des Bürgertheaters, die Kammerspiele-Intendantin Barbara Mundel bereits in Freiburg hochhielt. In der „Pigs“-Regisseurin Miriam Tscholl, die zehn Jahre lang die Laien-Sparte am Staatsschauspiel Dresden leitete, ist sie da an der richtigen Adresse. Partizipation, Ermächtigung und die gemeinsame Auseinandersetzung mit strittigen Themen sind für „Miss Bürgerbühne“ (Sächsische Zeitung) zentral.

So ist das Publikum in „Pigs“ zu einer Art Bürgerversammlung geladen. Wobei die Rolle, die es einnimmt, verschiedentlich switcht. Zwei Schauspieler – bei der Premiere die Kammerspiele-Akteure André Benndorff und Martin Weigel – sagen die Twists und Turns an und lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Bildschirme oder sie selbst. Sie stellen Fragen und spielen Szenen vor.

Tierleid und CO2-Ausstoß

In einer davon bekennt sich Benndorfs Figur zur Liebe zum Fleisch, woraufhin sein Kollege den grausamen Vorgang der industriellen Schlachtung an dessen fast nacktem Körper demonstriert. Von der Rampe hinauf zur Kohlendioxidgondel (Schweine lieben Steigungen und drängeln sich zum ätzenden Betäubungsgas) über den Brühkessel, den manch arme Sau noch lebend erreicht, bis zur Zerlegung in vermeintlich edle und für den Export bestimmte Stücke. Also endet das André-Schwein mit Plastiktüte über dem Kopf, ausgiebig beklopft und weit weniger dekorativ mit Kunstblut eingesaut wie die fein gesprenkelten Anzüge, die die beiden am Anfang trugen.

Die Moralkeule ist schnell gezückt und sie zu schwingen ist ja auch berechtigt. Schwer wiegen das Tierleid und der CO2-Ausstoß, mit dem allein die Produktion tierischer Nahrungsmittel unsere Klimabilanz verhagelt. Auch unser ermattetes Abwinken angesichts dieser Fakten hat Tscholl in ihrer Inszenierung vorweggenommen, in der gleich zu Anfang ein Darsteller ruft: „Stop! Wir können es gleich sein lassen. Wir haben nichts neues zu erzählen.“

Nicht die x-te Volksbelehrungsveranstaltung geben zu wollen und doch immer wieder darauf zurückkommen zu müssen, weil sich ja etwas ändern muss, ist die Crux jedes Klima-Theater-Abends. Da schlägt sich dieser schon ganz gut, weil er zumindest in den zugespielten Experten-Statements jedes Argument gelten lässt und keine Stimme lächerlich macht. Weder die des langhaarigen Landwirts aus dem Emsland, der im Led Zeppelin-Shirt erklärt, wie sehr seine Zunft unter den ständig neuen Anforderungen von Politik und NGOs ächzt, noch die der Schweinetierheim-Leiterin, die sich über die individuellen Charaktere ihrer Gäste freut und darüber, wie schnell sie lernen, Winke-Winke zu machen.

Eine Tierethikerin träumt von einer Zukunft, in der Schweine „mit uns gemeinsam am Brunnen sitzen“. Auch wenn jeder nur sechs dieser Positionen an einem Abend kennenlernt, scheint die Komplexität des Themas auf – und dass am Schwein neben Lende und Haxe auch Existenzen und (romantische) Projektionen hängen.

Höfliche Beteiligung

Die Aktionen der Schauspieler aber sind ungleich plakativer; sie spielen uns unsere Doppelmoral-Krämpfe und Zerreißproben vor und holen uns mit hartnäckigen Fragen wie „Welche Stellung unter den Lebewesen gibst du dem Menschen?“ aus unserer bequemen Zuschauerrolle. Das erwachsene Premierenpublikum lässt sich höflich darauf ein. Der Abend wird aber möglicherweise eine ganz andere Dynamik entfalten, wenn auf den drehbaren Stühlen zwischen Monitoren und bespielter Bühnenmitte eine Schulklasse sitzt.

Für das erste Gemeinschaftsprojekt der beiden städtischen Bühnen Münchner Kammerspiele und Schauburg – Theater der Jugend steht mit den Schauburg-Akteur*innen Simone Oswald und Hardy Punzel eine zweite Besetzung parat, die in den Diskussionen mit ihrer Zielgruppe womöglich leicht andere Akzente setzen wird.

Der stößt vielleicht auch der didaktische Zugriff weniger auf, der dem Menschen als dem einzigen Tier, das Pläne schmieden, „eine Fettecke zur Kunst erklären“ und Kriege führen kann, am Ende die Wahl lässt: Blaue oder rote Pille. Die verdummende, aber unterhaltsame Matrix oder der für immer verstörende Blick dahinter?

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