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Für und Wider zu GesellschaftsjahrSoziale Verpflichtungen

Auf eine Wehrpflichtdebatte folgt der Vorschlag eines Gesellschaftsjahres für alle. Würden junge Menschen und Einrichtungen davon profitieren?

Ein Freiwilligendienstleistender mit Bewohnerin einer Seniorenwohnanlage in Berlin Foto: Thomas Trutschel/photothek/picture alliance

Ja.

Der Anlass ist der Falsche, klar. Dass die CDU-Politikerin Serap Güler im Spiegel ein „verpflichtendes soziales Gesellschaftsjahr“ vorschlägt, hat nämlich erst mal nichts damit zu tun, dass Care-Berufe aufgewertet werden sollen. Sondern es ist Nebenprodukt einer erneuten Debatte über die Wehrpflicht.

Letztere findet Güler unsinnig. Sie schreibt: „Was wir stattdessen brauchen, ist ein verpflichtendes soziales Gesellschaftsjahr für alle jungen Menschen, die ihren Schulabschluss in Deutschland machen – unabhängig von Geschlecht und Staatsbürgerschaft.“ Ihre Hoffnung: Dem Fachkräftemangel im Sozialen könne begegnet werden, indem man Jugendliche früher an den Bereich heranführt. Also: Aus der Schule direkt rein in Pflege, Kita, Stadtteilverein. Ein Jahr anpacken, dann erst raus in die „Freiheit“. Oh nee, stöhnt nicht nur meine (männliche) Generation, die bis 2011 noch gezwungenermaßen zivil diente – oder alles unternahm, um ausgemustert zu werden.

Pflichten nerven, das macht die Sache aber nicht weniger wichtig. Wir verpflichten junge Menschen zu so viel – Sportunterricht, Wandertage ins Museum, Thomas Mann lesen. Wir begreifen das als Grundbildung. Solidarisches Fürsorgen etwa nicht? Nö. Machen schließlich die Frauen.

Die Idee ist nicht neu, sie steht schon länger auf den Flipcharts vor allem der CDU. Schon 2019 hatte die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer das „verpflichtende soziale Jahr“ statt Wehrpflicht vorgeschlagen. Zu Beginn der Pandemie forderte der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) eine Sozialdienst-Pflicht. Es ist also nicht gerade eine sozialistisch geprägte Debatte. Kommt alles von den Konservativen, diesen ewigen Spiel­ver­der­be­r*in­nen einer unbeschwerten Jugend. Linksliberale dagegen neigen zur Anti-Autorität, setzen auf intrinsische Motivation. Auf diese Weise entsteht aber eine Schere bei sozialen Tätigkeiten. Simpel gesagt: Soziales Engagement muss man sich leisten können – Care-Arbeit wird immer prekärer.

„Warum sollten wir nicht versuchen“, schreibt Güler, „diese für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtigen Bereiche in ihrer Personalnot punktuell zu entlasten und junge Menschen mit sozialen Berufen näher bekannt zu machen?“ Ja, warum nicht?

Ein Jahr ist dafür zu viel. Vielleicht ist der Zeitpunkt nach dem Schulabschluss auch falsch gewählt. Eingehegt in die Schulzeit wäre besser. Also, erstes Halbjahr Neunte (vorausgesetzt, alle Schulgänge dauern mindestens zehn Jahre) ist ein soziales Praktikum dran, im Klassenverband, begleitet mit Lern-Blocks wie in der dualen Ausbildung. Natürlich ersetzen 15-Jährige keine Fachkraft. Sie sollen lernen und helfend zuarbeiten. Das gäbe Auszeit vom Notendruck, manche könnten endlich mal zeitweise „die Besten“ sein, mit Sorge-Skills glänzen.

Ideal wäre, wenn wir Erwachsenen mitziehen. Pause von der Erwerbsarbeit zwischen 30 und 50 für ein soziales Jahr, mit Grundeinkommen vom Staat. Eltern- und Pflegezeiten wären anrechenbar.

Peter Weissenburger

Nein.

Auch wenn Serap Güler den Vorschlag als eine Win-win-Situation verkaufen möchte, ist das Gegenteil der Fall. Wer soziale Arbeit zu einem Zwang macht, landet am Ende in einer Lose-lose-Situation.

An meiner Schule gab es in der 11. Klasse ein verpflichtendes Sozialpraktikum. Für zwei Wochen sollten wir Schü­le­r:in­nen unentlohnt in einen sozialen Beruf hineinschnuppern. Diejenigen, die von einem Medizinstudium träumten, sahen in dem verpflichtenden Praktikum eine erste Chance zur Optimierung des Lebenslaufs und verbrachten ihre Zeit im Krankenhaus, andere vielleicht eine willkommene Abwechslung vom Schulalltag; doch die meisten hatten keinen Bock und entschieden sich dann meist für den Kindergarten als Arbeitsort. Vermutlich, weil sie dachten, das sei am wenigsten Arbeit. Dementsprechend fiel dann auch das Feedback der Er­zie­he­r:in­nen aus, das an unsere Leh­re­r:in­nen weitergegeben wurde. Denn statt einer Hilfe hatten sie mit nörgeligen Teenagern, die im Weg standen, eine zusätzliche Belastung am Arbeitsplatz.

Ähnlich stelle ich mir das bei einem verpflichtenden sozialen Jahr nach Schulabschluss vor. Denn auch wenn es selbstverständlich einzelne Personen gibt, die sich durch ein Pflichtjahr für einen sozialen Beruf begeistern könnten, sollte man sich fragen, wer von so einer Verpflichtung wirklich profitiert? Die ohnehin schon überarbeitete Pfleger:in, die in ihren Überstunden nun auch noch missmutige 18-Jährige herumkommandieren soll? Die Schulabgänger:in, deren Zukunftspläne aufgehalten werden? Oder die zu pflegende Person, die sich mit einer unausgebildeten Hilfskraft konfrontiert sieht?

Richtige Ge­win­ne­r:in­nen scheint es bei einer Verpflichtung also nur wenige zu geben. Der Verdacht, dass auch diese Forderung nach einem verpflichtenden sozialen Jahr wieder nur ein Plan ist, mit der sich noch mehr Menschen als billige Arbeitskräfte ausbeuten lassen, ist also nicht von der Hand zu weisen.

Lösungen, um die anhaltende Care-Krise in Deutschland zu beenden, liegen ganz woanders. Auf den Fachkräftemangel im Gesundheits- und Pflegewesen sollte mit fairen Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen, die auch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Lohnarbeit garantieren, reagiert werden.

Menschen lassen sich besser für soziale Berufe begeistern, wenn aus der Pflicht ein Angebot wird. Allen Menschen – egal wie alt sie sind – sollte also die Chance gegeben werden, sich für 12 Monate sozial engagieren zu können. Wer auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen ist, kann nicht einfach mal für ein Jahr aus der Lohnarbeit aussteigen, um in einem Hospiz oder in der Obdachlosenhilfe zu arbeiten. Eine Win-win-Situation wäre es, wenn bestehende Programme wie das FSJ oder der Bundesfreiwilligendienst mit genügend Geld ausgestattet werden. Damit jede:r, die oder der Lust hat, die Angebote in Anspruch nehmen kann.

Carolina Schwarz

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10 Kommentare

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  • Man könnte es ja bei der Freiwilligkeit belassen und denjenigen, die so einen Dienst leisten, in irgendeiner Form "Bonuspunkte" geben.



    Anrechnung auf Ausbildung/Studium (war glaube ich sogar schon so beim Zivildienst hinsichtlich Pflichtpraktika) beispielsweise. Oder für die Rentenberechnung dieser Zeit ein fiktives Gehalt von 5000 Euro annehmen. Es gäbe da schon Möglichkeiten.

  • Ist auf jeden Fall eine gute Idee. Ich hatte ganz sicher keinen Spaß beim Bund, aber dennoch viel über das Leben und die Welt gelernt...und wie man mit komischen Leuten auskommt. Zivi war ob der zusätzlichen 6 Monate keine Option.



    Das als Zwangsarbeit schlechtzureden ist albern. Dann wäre auch Schule so einzustufen. Und Steuern zahlen und sich an die StVO halten ist auch staatlicher Zwang.



    Auch wenn alle von Pflege reden, ist das doch nur ein Teil der gesellschaftlichen Tätigkeiten. Und das damit Arbeitsplätze wegfielen oder entwertet werden ist schlicht falsch. Viele der ehemaligen Zivi-Tätigkeiten wurden dann den Angestellten aufgebürdet...es gab keine Lohnerhöhung oder Neueinstellung. Im Gegenteil nicht mal Nachbesetzungen. Immer weniger Pfleger haben immer mehr Patienten. Offenbar versagt das Prinzip von Angebot und Nachfrage...vielleicht sollte da staatlicher Zwang auf die Krankenhäuser und Altenheime ausgeübt werden 😋?



    Das in der Schulzeit zu machen ist absurd. Die sind zu jung und es frißt Lernzeit. Das wusste man schon zur Zeit des Wehrdienstes. Mit 18+ haben sich die Hormone wieder beruhigt und Kommunikation ist wieder möglich. Ich spreche aus Erfahrung...

    • @Haja1953:

      Die Vergleiche mit Schulpflicht (die nur Minderjährige betrifft), Steuern und StVO hinken schwer. Ein Leben in einer funktionierenden Gesellschaft ist ohne sie schlicht nicht vorstellbar. Ein Leben ohne allgemeine Dienstpflicht dagegen schon. Vor allem die Pflegeberufe müssen attraktiver gemacht und besser bezahlt werden. Hier muß die Politik gestalten, anstatt mit der großen Keule Grundgesetzänderung zu hantieren.

  • Ganz klares Nein.

    Die Diskussion ist nur ein weiteres Zeichen, wie sehr unsere Gesellschaft immer noch nach dem Senioritätsprinzip organisiert ist. Die Jungen haben den Alten zu dienen, am besten unentgeltlich.

    Es geht nicht um Engagement oder persönliche Entwicklung, es geht nur darum, die jungen Leute auszunutzen.

    Man könnte genauso gut fordern, dass dieser Job von den vielen rüstigen und fitten Rentnern gemacht werden soll. Aber nein, die haben nach der ATZ natürlich nur noch Zeit für hochdotierte Beratertätigkeiten und Kreuzfahrten.

    Im Ernst: Wenn zu den aktuellen Konditionen zu wenige bereit sind, den Job zu machen, muss man die Konditionen verbessern. Offensichtlich ist die Nachfrage nach Arbeitskräften in diesem Bereich hoch und das Angebot knapp. Das heißt, dass die Gehälter deutlich steigen müssen, und zwar insbesondere auch für Auszubildende.

  • Für eine Dienstpflicht braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit zur Verfassungsänderung. Die ist bei weitem nicht absehbar. Argumente in der Richtung, eine Dienstpflicht diene der Persönlichkeits- bzw. Charakterbildung, sie sei "bekömmlich" (Heribert Prantl 2018 in der SZ) sind dazu völlig untauglich, ja sogar unzulässig. Deutschland hat sich in internationalen Verträgen zum Verbot von Zwangsarbeit verpflichtet, dazu gehört auch solche zu erzieherischen Maßnahmen (siehe ILO-Abkommen). Zur Erziehung haben Staat und Familie bereits 18 Jahre Zeit.

    Darüber hinaus haben sich sowohl Bundeswehr (aktuell Generalinspekteur Zorn) als auch Wohlfahrtsverbände gegen Wehr-bzw. Dienstpflichtige ausgesprochen, sie haben schlicht keinen Bedarf an ungelernten Kräften. Dann die Organsisation: jährlich müßten mindestens 700 000 Dienstpflichtige mit einer entsprechenden, langfristig angelegten Infrastruktur erfaßt werden, die Kosten werden auf grob 13 Mrd. € geschätzt. Im Geiste des Grundgesetzes kann generelle Rekrutierung nur durch einen wirklichen dauerhaften Bedarf an unqualifizierten Kräften gerechtfertigt sein, also durch einen anhaltenden Notstand, dem anders nicht entgegenzutreten ist.

    Mit welcher Leichtfertigkeit trotzdem immer wieder eine solche massive Einschränkung gleich mehrerer fundamentaler Grundrechte gefordert wird, ist mir ein Rätsel. Eine vergleichbare staatlich angeordnete Dienstpflicht hat, von ca. 200 Staaten der Welt, nur Venezuela. Woher kommt diese Sehnsucht nach einem Pflichtdienst ausgerechnet in Deutschland? Da fällt mir nur die Charakterisierung der Deutschen in Canettis "Masse und Macht" ein...

  • Ich gehöre zu einer der letzten Generation die Zivildienst leisten mussten und ich bedauere es, dass es diesen Dienst nicht mehr gibt. Er war sehr lehrreich auch wenn der Artikel versucht etwas anderes zu suggerieren. Und ein "Zwangsdienst" wie hier abfällig genannt würde auch ein Stück zur soziale Vermischung sorgen die es aktuell einfach nicht mehr gibt und diese würde dem einen oder anderen taz Leser wirklich mal gut tun um seine Blase zu verlassen. Und nicht jeder muss zwangsläufig alte pflegen, ich selbst war im Bauhof und habe Grünanlagen gepflegt oder im Winter Schnee geschoben.



    Und an alle hier die wieder behaupten, man nimmt Leuten die Arbeit weg, das ist einfach Quatsch es muss doch auch langsam mal in der TAZ Blase angekommen sein, das es einfach niemanden mehr gibt der all diese Tätigkeiten Hauptberuflich machen könnte..... Liebe Grüße der böse Welt Leser :-)

  • Warum denn nicht ? So bekommen eben gerade die Kinder der Helikoptereltern die Chance selbst ihr Leben in die Hand zu nehmen und sich sozial zu entwickeln. Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Verplichtungen,wäre dies eine Plicht,die am Ende allen Beteiligten zu Gute kommt.Und im besten Fall finden über diesen Umweg mehr junge Menschen in den sozialen Bereich.



    Grosse gesellschaftliche Veränderungen passieren eben nicht im Komfortbereich !!!!!!!!!!!!!!!!

  • Warum denn nur ein Jahr? Wenn es gut und legitim ist Leute für ein Jahr zu verpflichten, warum sollte es dann weniger gut und legitim sein sie auch für 10 oder 20 Jahre zu verpflichten? Immerhin lässt der Terminus „verpflichtendes soziales Gesellschaftsjahr“ ja darauf schließen, dass es darum geht etwas für die Gesellschaft zu leisten und nicht um die Persönlichkeitsentwicklung der Zwangsverpflichteten. Und in ein paar Monaten lässt sich professionelles und effizientes kaum lernen, also warum nicht ein oder zwei Pflichtdekaden?

  • Eine Pflicht aus dem Nichts heraus fände ich falsch Eine Pflicht als Bedingung für Sonderrechte, wie Studieren, oder Abitur machen (unabhängig von den Kosten) wäre aber denkbar.

    Das könnte auch den Fachkräftemangel in vielen Berufen dämpfen und sorgt (teilweise) für 3 Jahrgänge mehr im Berufsleben