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100 Milliarden Euro für die BundeswehrSchlechte Ausstattung für viel Geld

Das Beschaffungswesen ist die Achillesferse der Bundeswehr. Nun soll die Bürokratie modernisiert werden. Doch daran sind schon einige gescheitert.

Praktische Flicken können die Nutzungsdauer von Uniformen erhöhen Foto: Sascha Steinach/imago

Berlin taz | Es ist erstaunlich: Schon vor der jetzt angekündigten massiven Steigerung des Wehretats gab die Bundesrepublik mehr Geld für das Militär aus als die Atommacht Frankreich. Israel kommt sogar mit weniger als der Hälfte aus, ohne dass jemand auf die Idee käme, den israelischen Verteidigungsstreitkräften zu unterstellen, sie seien schlecht ausgestattet und nur bedingt abwehrbereit. Doch glaubt man der Wehrbeauftragten des Bundestags Eva Högl (SPD), haben die vielen Milliarden nicht einmal für die Anschaffung dicker Jacken und Unterhosen ausgereicht.

Es sei „absolut unverständlich“, dass es selbst bei kleinen Ausrüstungsgegenständen hake, konstatierte sie in ihrem letzten Jahresbericht. Damit steht sie in der Tradition ihrer Vorgänger Hellmut Königshaus (FDP) und Hans-Peter Bartels (SPD), die ebenfalls gebetsmühlenartig den schlechten Zustand der Truppe angeprangert haben.

Das Problem: Seit 2014 sind die Verteidigungsausgaben kontinuierlich angestiegen, von damals 32,4 Milliarden Euro auf mehr als 46,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr – doch an der schlechten Verfassung der Bundeswehr hat sich über die Jahre nichts geändert. Fehlendes Geld kann also kaum der Hauptgrund dafür sein.

„Die Bundeswehr ist nicht unterfinanziert, sie ist ein Fall für den Rechnungshof“, sagt Jürgen Wagner, geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung. Da könnte etwas dran sein. Jedenfalls listet der Bundesrechnungshof regelmäßig fragwürdige Ausgaben der Bundeswehr auf. So monierte er erst im vergangenen November die unnötige Modernisierung alter Geräte der Pioniere in Höhe von 1,7 Millionen Euro oder die viel zu langsame Verwertung von außer Dienst gestellten Schiffen.

Hubschrauber müssen vom ADAC geliehen werden

Doch auch Organisationschaos bescheinigt der Rechnungshof: Im Dezember 2020 prangerte er an, dass es die Bundeswehr über Jahre versäumt habe, Informationsmängel in ihrem IT-Logistiksystem zu beheben – was ihre Einsatzbereitschaft gefährde.

Auch Erich Vad, Ex-General und langjähriger Militärberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, sieht die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr kritisch. Laut dem aktuellen Bericht des Verteidigungsministeriums liegt die Einsatzbereitschaft mit 77 Prozent zwar über dem Zielwert von 70 Prozent, „aber das ist schon geschönt“, sagt Vad. Faktisch sei die Materiallage „dramatisch schlechter“.

Bestimmte Bereiche kommen auch im Bericht nicht auf 70 Prozent., so Vad. Die Hubschrauber sind etwa nur zu 40 Prozent einsatzbereit. Vad frustriert das: „Für die Pilotenausbildung muss die Bundeswehr Hubschrauber beim ADAC anmieten.“

Die Achillesferse der Bundeswehr ist ihr Beschaffungswesen. Als zentrale Schwachstelle gilt das völlig überlastete „Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr“ in Koblenz. Daran biss sich schon Ursula von der Leyen (CDU) die Zähne aus. 2014 holte sie die frühere Mc-Kinsey-Managerin Katrin Suder als Staatssekretärin ins Verteidigungsministerium, um die gravierenden Mängel bei der Ausstattung der Sol­dat:innen abzustellen, vor allem aber um dafür zu sorgen, dass Rüstungsprojekte zeitlich und finanziell nicht mehr aus dem Ruder laufen. 2018 gab Suder entnervt auf.

Als 2019 Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) neue Verteidigungsministerin wurde, kündigte sie an, das Koblenzer Beschaffungsamt „pragmatisch“ umzubauen. „Wir wollen und müssen bei der Beschaffung besser werden und die Ausrüstung muss schneller, einfacher, zielgenauer an die Frau und den Mann kommen“, versprach sie. Es blieb ein Versprechen.

Nun will es Christine Lambrecht (SPD) richten. Sie werde „das Beschaffungswesen gründlich modernisieren“, kündigte die neue Verteidigungsministerin Mitte Januar im Bundestag an. Wobei sie wisse: „Das ist ein ganz dickes Brett, das zu bohren ist.“

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11 Kommentare

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  • 100 Milliarden! Da möchte ich am liebsten jedes einzelne Gerät prüfen. Furchtbar.



    Aber es wird ja eh Geld gedruckt.

  • Anstatt einfach auf die Soldat:innen im und aus dem Einsatz zu hören, werden "Expert:innen" oder "Berater:innen" angehört, welche nie oder nur im "Hobby" durchs ZF oder Kimme und Korn schauen.



    Schon zu meiner Zeit (ab 2009) müssten wir uns privat Ausrüstung kaufen, da dass meiste einfach veraltet oder schlichtweg den Erfordernissen nicht gewachsen war. Ein absolutes Armutszeugnis der Regierung gegenüber Ihrer Soldat:innen, dass wir heute noch immer darüber reden müssen. Ich denke solche Personen sind sehr gut im Panzergrenadier-, Fallschirmjäger- oder Jägerbataillon zu finden. Die sind btw wahrscheinlich auch günstiger ;)

  • Erstes und notweniges Material, jenseits überambitioniert-neuer Hightech-Projekte, also von Unterwäsche bis europaweit eingesetzte und bewährte Technik (CV 90, Patria) sollte der Finanzminister beschaffen - in Absprache mit den Kommandeuren. Das Zeug muss in Monaten bereitstehen, nicht in Jahrzehnten. BMVg hat da verschisssen und ist nicht mehr vertrauenswürdig. Manches weit unterhalb von neuerfundener Hightech ging auch mal rascher, wie etwa Nachbestellung geeigneter Fahrzeuge für Afghanistan (Dingo), aber die Regel sind: nicht funktionierende neue Hubschrauber und Schützenpanzer, und keine Socken ....



    @ Flip Flop hat sehr recht

  • Schon komisch, wie vdLeyen ein "Berater-Skandal" angedichtet und von den Medien mit Begeisterung weiterverbreitet wurde, als sie versucht hat mit externem Sachverstand diese Verkrustungen aufzubrechen.

    Zum einen bleibt unverändert festzuhalten, dass aus dem Apparat bzw der BW selber wohl keinerlei Reformen, geschweige denn kurzfristige Verbesserungen zu erwarten sein dürften -- vdLeyens Einsatz von externen Beratern war damit sowohl Anerkenntnis dieses Zustandes als auch eine Gefährdung des Apparates.



    Zum anderen scheint der in seiner Kernaufgabe so ineffiziente Apparat aber offenbar gut genug vernetzt, um eine effektive Kampagne gegen die oberste Dienstherrschaft zu starten, wenn von dort das Überleben bedroht scheint.

    Die Klagen über das Beschaffungswesen gehören mittlerweilen zum parlamentarischen Jahr wie Sommerempfang und Fussballspiel -- an den Zuständen wird sich trotzdem nichts ändern.

  • Ich will das jetzt mal etwas übertrieben ausdrücken.



    Wenn jede Klobürste, jedes Pneumatikventiel und jedes Gewehr europaweit ausgeschrieben werden muss, dann ist es kein Wunder.

  • Wenn ich mich recht erinnere, hatte vd Leyen dem Beschaffunsgamt mit der G36 Geschichte ein Riiesen-Pseudoproblem aufgehalst, das Unmengen Geld kostete. Kein Wunder dass die Leute im Amt keinen Bock mehr haben. Der Fisch stinkt vom Kopf her, schon seit Jahren..

  • Wenn der Begriff "Fass ohne Boden" eine reale Bedeutung hat, dass ist es die Bundeswehr!

  • Das Beschaffungsamt der Bundeswehr hat 6800 Stellen, das ist grotesk. Da kann man nur mit der Axt durchgehen und keinen Stein auf dem anderen lassen.

    • @Goodfella:

      Eine komplett neue Stabstelle Beschaffung, mit abgeworbenen Fachleuten vom Bundesrechnungshof - möglichst weit weg von Koblenz, in Frankfurt an der Oder oder so. Dann werden die 7000 Dysfunktionalen zu einem (Besoldungs-)Nebenproblem.

  • Die Politiker haben es sich ja angewöhnt, Beratungsfirmen zu engagieren (weil Berufspolitiker halt wenig Kompetenz besitzen...) , ob das Frau von der Leyen, der vorherige Masken-Minister war oder die unselig-christlich-sozialen(?) Verkehrsminister waren. Ich sehe schon ganz viel Geld an nahestehende 'Fachleute' abwandern, bevor da irgendein Auftrag vergeben werden 'kann'. P.S. Die Jobverteilung an politisch Nahestehende von zweifelhafter Qualifikation findet auch in der Ampel statt !

    • @Dietmar Rauter:

      Unqualifizierte Ressortchefs: Außen, Verteidigung, Wirtschaft, Landwirtschaft, Finanzen (?), ...