piwik no script img

Kriegsflüchtlinge im NorddeutschlandTor zur Welt verstopft

Vor Hamburgs Ausländerbehörde warten Ukrainer tagelang auf Registrierung. Der Kreis Pinneberg zeigt mit Online-Registrierung, das es schneller geht.

Vor dem Migrationsamt in Hamburg ist es eng. Eine Mitarbeiterin versucht, Anmeldebögen zu verteilen Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Noch abends spät um 22 Uhr standen am Dienstag Menschen aus der Ukraine vor der Hamburger Ausländerbehörde, um auf ihre Registrierung zu warten. Es hatte dort in der Nacht zuvor sogar „eine größere Anzahl“ übernachtet, räumte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) vor der Presse ein – und warb um Verständnis: Die Mitarbeiter arbeiteten sogar am Wochenende, es ginge nicht schneller. Es handele sich bei der Registrierung um „anspruchsvolle Vorgänge mit sensiblen Daten“.

An die 15.000 geflüchtete Menschen waren da schon in der Stadt, von denen erst 5.847 registriert waren. Dieser Vorgang gilt als Flaschenhals. In das Amt für Migration im Stadtteil Wandsbek kommen jene, die privat oder bei Verwandten wohnen und keinen Platz in einer öffentlichen Unterkunft brauchen.

Die Stadt teilt auf ihrer Homepage mit, dass die vor dem Krieg geflohenen Menschen nach EU-Regel für die Registrierung zwar bis zu 90 Tage Zeit haben. Aber für Leistungen vom Staat brauchen sie diese Anmeldung.

„Die Leute stehen dort, und jedes Mal, wenn die Tür aufgeht, flammt Hoffnung auf“, beschreibt Helferin Barbara Adolph die Situation. Sie ist Mitglied bei „Welcome to Wandsbek“, eine von mehreren Initiativen, die die Menschen dort mit warmen Getränken, Decken und Essen versorgen, zu Telefonkarten verhilft und begleitet.

Helferin: Die Menschen haben Geldprobleme

Eine Unterstützerin, die Ukrainisch spricht, habe den Wartenden erklärt, dass die medizinische Versorgung in Hamburg auch so gewährleistet sei und es Sozialhilfe rückwirkend gebe, berichtet Adolph. „Aber die Leute haben ein Geldproblem, weil die ukrainische Währung fast nicht zu tauschen ist.“ Außerdem gehe es hier nicht nur um praktische Fragen: „Die Leute haben in kürzester Zeit alles verloren. Sie brauchen wieder Sicherheit, und zwar von einer Behörde.“

Die Hamburger CDU fordert nun, dass Hamburg eine Online-Registrierung für Flüchtlinge aus der Ukraine einrichtet, wie sie der Kreis Pinneberg hat. Dort könnten sich die Menschen vorab digital registrieren und würden später zu einem Termin eingeladen. „Das erspart Zeit“, sagt Fraktionschef Dennis Thiering.

In der Tat hat der Kreis Pinneberg seit Montag ein Online-Formular auf seiner Seite, in das die Menschen ihre Kontaktdaten eingeben können. Sobald dieses ausgefüllt ist, kommt eine automatische Antwort zurück, mit dem sich die Menschen zusammen mit ihrem Ausweis an das örtliche Sozialamt wenden können, um Leistungen zu beantragen, Krankenversicherungsschutz zu erhalten oder eine Unterkunft zu finden. „Die Online-Registrierung der Ausländerbehörde wird sehr gut angenommen“, sagt Sprecherin Katja Wohlers. „Gleich am ersten Tag haben sich 645 Menschen dort registriert.“

Auf das Beispiel Pinneberg angesprochen, sagt Senator Grote, „eine vollumfängliche Registrierung geht im Online-System nicht“. Was die Großstadt aber einrichten will, ist eine „Online-Terminbuchung“, sodass die Menschen nicht mehr vor Ort warten müssen. Grote warb noch einmal für das Hamburger Verfahren.

Bund lenkt Sonderzüge um

Die Menschen bekämen mit der Registrierung alles, was sie brauchen, aus einer Hand – zum Beispiel auch die Arbeitserlaubnis. Die Flüchtlingskrise 2015 habe gezeigt, wie wichtig ordentliche Registrierung sei. Damals sei man hinterher mit Bleistift und Zettel durch die Unterkünfte gegangen und habe Leute gesucht.

CDU-Politiker Thiering überzeugt das nicht. Die geplante digitale Terminvergabe ändere „an der Situation und den teils ewigen Wartezeiten der Flüchtlinge wenig“.

Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein vermutet noch ein anderes Problem. „Die Leute sitzen in Wandsbek so lange vor der Tür, weil sie die Chance nicht verpassen wollen, sich in Hamburg registrieren zu lassen.“ Denn seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine gebe es fast täglich neue Erlasse auf Bundes- und Länderebene. So greift seit Mittwoch die sogenannte „Easy-Verteilung“ auf Grundlage des „Königsteiner Schlüssels“.

Die Leute haben in kürzester Zeit alles verloren. Sie brauchen wieder Sicherheit, und zwar von einer Behörde

Barbara Adolph, „Welcome to Wandsbek“

Wie aus einem Brief des Bundesinnenministeriums hervorgeht, wird der Bund fortan die „koordinierbaren Züge und Busse nicht mehr nach Freiwilligkeit, sondern nach Leistungsfähigkeit der Länder“ verteilen. Vor allem Berlin und Hamburg seien von einem hohen Zuzug belastet. Nach „Easy-Quote“ müsste Berlin jedoch nur 5,1 und Hamburg 2,6 Prozent der Menschen aufnehmen.

Bisher nicht betroffen von der „Easy“-Zuweisung sind die Menschen, die wie die Wartenden in Wandsbek privat untergekommen sind und keine Unterkunft brauchen. Link sagt: „Es ist fraglich, ob das wirklich so bleibt oder die Länder hier nicht auch Gegenmaßnahmen einleiten.“ Denn die Integration privat Aufgenommener verursache den Ländern und Kommunen Kosten. „Das zeigen die Erfahrungen aus dem Jugoslawienkrieg.“

Innensenator Grote räumte ein, dass mit dem „Easy“-Verfahren die Wahl des Wohnsitzes „nicht mehr ganz so frei“ sei. Er beteuerte aber, dies gelte nicht, wenn Menschen keine öffentliche Unterbringung brauchen. Die könnten sich „den Ort frei aussuchen“.

Anmerkung der Redaktion: Nach Erscheinen dieses Textes gab der Hamburger Senat bekannt, dass die angekündigte Online-Terminvergabe für die Registrierung privat untergebrachter Personen aus der Ukraine ab sofort freigeschaltet ist. Zunächst stünden 4.300 Termine zur Verfügung, die täglich von 8 bis 17 Uhr und auch am Wochenende gebucht werden können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Also eine Verteilung macht Sinn. Der gegenwärtige Zustrom und die Lage in der Ukraine selbst, zeigen, dass Hamburg schon jetzt seinen sozialen Wohnungsbau ausdehnen müsste, wenn die anderen Menschen bedient werden sollen. Auch der Arbeitsmarkt wird sehr einseitig in Hamburg belastet, da nur wenige der Ankömmlinge wirklich Deutsch auf B1 oder B2-Niveau beherrschen. was allerdings jetzt schon feststeht, Hamburg wird ukrainisch, bzw. es wird hier wirklich eine sehr große Community geben und vielleicht regelt sich dann auch vieles selbst. Aber langfristig wird es in Hamburg auch viele Aufgabenstellungen geben.

    Schön, dass der Landkreis Pinneberg mal was macht, was Andy Grote nicht tut, aber am Ende ändert das wenig an der Situation vor den Behörden.