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Gescheiterte Gespräche in AntalyaAm Ende der Illusionen

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Die gescheiterten Gespräche in Antalya beenden die Hoffnung auf einen Waffenstillstand. In Kiew könnte es jetzt weitergehen wie einst in Grosnij.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am 10. März in Antalya Foto: ap

W ieder eine Hoffnung weniger und eine Eskalation mehr. Das Treffen zwischen dem russischen und dem ukrainischen Außenminister in Antalya war ein Versuch, eine weitere Eskalation in diesem Krieg zu verhindern. Er ist gescheitert.

Vorbei sind die ersten Tage des Krieges, in denen tatsächlich noch manche UkrainerInnen der russischen Propaganda geglaubt hatten, die russischen Truppen würden nur militärische Ziele beschießen. Ich habe in Kiew selbst den Beschuss von Wohnsiedlungen gehört, weiß durch Freunde von Mord und Vergewaltigung durch russische Soldaten in Kiewer Vororten.

Vorbei sind die Tage, in denen es „nur“ Mariupol und Charkiw und Sumy und Gostomel und Irpin betraf. Vorbei auch die Zeit, in der die Opferzahlen im dreistelligen Bereich lagen.

Warum nur hat man sich nicht dafür interessiert, was um die Jahrtausendwende in Tschetschenien passiert ist, wie dort ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht wurden? Und begonnen hat dieses Massaker damals ausgerechnet ein guter Freund von Helmut Kohl, Boris Jelzin.

Vorbei ist die Zeit, in der man hoffen konnte, dass den Kriegern ein Waffenstillstand wichtiger als ein Sieg um jeden Preis ist. Nun heißt das Ziel Sieg und nicht Waffenstillstand. Und wer es immer noch nicht getan hat, sollte jetzt mal Bilder mit den Stichworten „Grosnij“ und „Erdboden gleichgemacht“ googeln. Dann weiß man, was auf uns zukommt, wenn nicht …

Mir fehlt die Hoffnung, irgendetwas nach diesem „wenn nicht ….“ zu schreiben.

Letztendlich werden die UkrainerInnen gewinnen. Sie verteidigen ihr Land, sie sind motivierter als die Angreifer, ihre Message ist konkreter als die abstrakte Botschaft der Invasoren. Doch was nützt ein Sieg, wenn ihn zehntausende, hunderttausende, Millionen nicht mehr erleben werden?

Ich bin versucht, alle Freunde von meiner Facebook-Seite zu werfen, die in diesen Tagen die russische Invasion rechtfertigen. Doch was habe ich davon? Vielleicht schreibe ich ihnen besser, schicke ihnen Bilder der Opfer der Gewalt des russischen Militärs. Wenn schon die Politiker nicht miteinander reden können, können das vielleicht wir. Auch mit denen, die immer noch an Putin glauben.

Sprachlosigkeit aber, wie in einem Wachsfigurenkabinett, ist Gift.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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4 Kommentare

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  • Aus Euphemismus wurde Dysphemismus. Wie die Wahrheit mutiert und getarnte Kakophonie dominiert und infiziert: In der Tat gibt es bereits im Denken verhaftete Parallelen zu Medizin inkl. Psychologie und Biologie, bis hin zu den Gegenstrategien, für das, was der Kreml in absurder Weise in Medien zu insinuieren versucht. Spezialoperationen, Schläge mit chirurgischer Präzision versus Massenvernichtungswaffen und Genozid. Die Bilder sprechen eine andere Sprache. In einem veröffentlichten TV-Kommentar hörte ich gestern, es sei sehr nah an der Wahrheit, das exakte Gegenteil als real anzunehmen zu dem, was vom Kreml verlautbart wird. Im Mittelpunkt von perfider "Desinformation und Taschenspielertricks" steht in hiesigen Medien in der Regel der oberste Diplomat Russlands, der langgediente Außenminister Lawrow. Wie soll dann ein Gespräch in Antalya beginnen? Mit einem vergifteten "guten Morgen" eher nicht. Für die Vermittlung eines Waffenstillstandes kommen offenbar nur sehr wenige Kontaktpersonen in Betracht. China hat ein Engagement schon abgelehnt, trotz der Chance, diplomatisch gewaltig zu reüssieren.



    //



    www.belltower.news...eit-jahren-128837/



    //



    taz.de/Russisch-uk...ndlungen/!5840635/



    //



    www.n-tv.de/mediat...cle23185810.html//



    //



    www.deutschlandfun...zwischen-100.html/



    //

  • Und immer nur wieder sinnbefreites Gelaber von Hr. Lawrow!!



    Man kann sich seine Erklärung, daß die Ukraine den Konflikt begonnen habe usw. nicht mehr anhören!

    Wie oft soll sinnlos debattiert werden, wenn weiterhin ungebremst beschossen und bombardiert wird? Gibt es nicht mehr die Möglichkeit, daß während Verhandlungen die Waffen schweigen?

    Unerträglich!!!

    • @Juhmandra:

      "Und immer nur wieder sinnbefreites Gelaber von Hr. Lawrow!!"

      Nun ja, er lügt. Das ist ja nichts neues. Aber es ist doch sinnvoll wahrzunehmen, was er lügt. In zwei Wochen hat sich viel getan, das ist der Erfolg des ukrainischen militärischen Widerstands und der massiven und geschlossenen Antwort des Westens.



      -von der "Heimholung" der Ukraine und ihre Vereinigung mit Russland ist nicht mehr die Rede



      -von einer "Denazifizierung" ist nicht mehr die Rede



      -von einem Sturz der Regierung ist nicht mehr die Rede



      -von der Installierung eines Marionetten-Premierministers unter Beibehalt von Zelensky als Präsident ist nicht mehr die Rede.



      -die Bombardierung ziviler Infrastruktur wird, geklittert mit unglaubwürdigen Begründungen, zugegeben.



      -von einem "Genozid" im Donbass ist nicht mehr die Rede



      Es bleiben die Forderungen: Anerkennung der russischen Souveränität über die Krim, Anerkennung der Unabhängigkeit der Volksrepubliken, "Demilitarisierung" der Ukraine. Mit anderen Worten: Die russische Seite wünscht sich bereits, sie hätte den Krieg nie angefangen.



      Und sie tischt, weil sie keinen vernünftigen Kriegsgrund anführen kann, nachträgliche Begründungen mit kurzer Halbwertszeit auf: Die Ukrainer hätten mithilfe der Amerikaner heimlich Atomwaffen gebaut, die Ukrainer hätten in Laboren das Coronavirus entwickelt, die Ukrainer hätten genmutierte Grippeviren entwickelt, um diese mittels Zugvögeln nach Russland zu schicken... (so heute offiziell ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums). Sie geraten zunehmend in Erklärungsnot, und mussten z.B. aufgrund des innenpolitischen Drucks schon zugeben, dass rechtswidrig Wehrpflichtige im Kampfeinsatz sind.

      Ich teile den äußerst pessimistischen Kommentar von Herrn Clasen nicht.

    • @Juhmandra:

      Solange die Oligarchen in ihren zweit und viert-Wohnsitzen im Westen an Ihre zweit und viert-Konten im Westen rankommen, um ihr Leben zu geniesen, helfen weder Swift, noch Hoffnungen auf rationale Entscheidungen von Kriegsverbrechern wie Put-in und Law-row. Solange wir nicht endlich Russland komplett vom Aussenhandel abkoppeln und russische Firmen wie Gazprom "enteignen" oder mit staatlichen Reparationszahlungen belegen, wird sich nix ändern.



      Wann wird endlich das Gas- und das Öl, und das Uran aus Russland abgedreht. Es dauert nur maximal ein halbes Jahr dann ist Russland wirtschaftlich am Ende.