Fotografien aus New York und Hamburg: Mehr als die Wirklichkeit
Echtes Interesse am Motiv: Eine Braunschweiger Ausstellung präsentiert den Fotografen, Fotografie-Lehrer und Architekten Andreas Feininger.
Der Maler Georg Baselitz soll einmal gesagt haben, er denke bisweilen, die besten Bilder brauchen keine Farbe. Vielleicht ist das einer der Gründe für die Faszination, die nach wie vor von den Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Heroen der Fotografiegeschichte ausgeht und Museen zyklisch auf entsprechende Bildvorräte zurückgreifen lässt – in der Hoffnung einer quotenträchtigen Schau.
Zu den Großen der Gattung zählt Andreas Feininger, 1906 als ältester Sohn des Malers Lyonel Feininger in Paris geboren. Ihm wurde im Norden wohl letztmals 2008 eine umfassende Einzelausstellung zuteil, als das Bremer Focke-Museum die Tournee „That’s Photography“ mit rund 270 Aufnahmen aus der gut 60-jährigen Tätigkeit des Fotografen ins Haus holte. Die Exponate kamen damals aus dem Tübinger Feininger-Archiv, dies wurde 2011 vom Zeppelin Museum Friedrichshafen übernommen. Dort beziffert man den Teilnachlass auf 565 autorisierte Abzüge, 261 davon handsigniert, Originalausgaben seiner Publikationen sowie einige seiner Kameras, darunter eine zweiäugige Rolleiflex made in Braunschweig.
Dieser Bezug zur eigenen technikgeschichtlichen Sammlung mag für das Städtische Museum Braunschweig Anlass gewesen sein, aus dem Friedrichshafener Fundus die monografische Ausstellung „Alte Neue Welt“ zusammenzustellen, die mit rund 260 Aufnahmen ähnlich umfangreich ausfällt wie der Bremer Vorgänger.
Der Ausstellungsrundgang beginnt, den in drei Teile zerklüfteten Räumlichkeiten geschuldet, in der zentralen Halle mit den bekannten Großstadt-Bildern Feiningers, die er nach 1939, seiner Emigration in die USA, vor allem an seinem neuen Wohnort New York fertigte. Und er endet im benachbarten Gebäude mit seinem Frühwerk: Hamburg anno 1930/31, das auch die sozialen Schattenseiten der Hansestadt nicht ausblendete.
Alte Neue Welt. Fotografien von Andreas Feininger: bis 14. August, Städtisches Museum Braunschweig, https://www.braunschweig.de/staedtisches-museum
Diese gewöhnungsbedürftige Choreografie irritiert zudem durch mehrfach gezeigte Motive und will vier Themenkomplexe bieten: Großstadt, Porträts und Selbstporträts, Naturstudien und den malerisch frühen Fotografen. Es drängt sich ein wenig der Eindruck auf, dass die größte Herausforderung wohl darin bestand, die Hängeflächen zu bestücken. Wäre eine kleinere, räumlich konzentrierte Ausstellung nicht überzeugender geraten?
Solch Einwand wird und sollte Interessierte nun nicht vom Besuch abhalten. Denn in Andreas Feininger lässt sich nicht nur eine Künstlerbiografie in den Wirren des 20. Jahrhunderts nachvollziehen, sondern vor allem ein perfektionistischer Fotograf, der sich selbst strikte Regeln auferlegte. Dabei mag ihm die künstlerische Prägung durchs Elternhaus geholfen haben, mehr aber wohl, dass er als fotografischer Autodidakt keine vermeintliche „Schule“ zu verinnerlichen hatte.
Zeitlebens fühlte er sich der kompositorisch klaren Bildsprache seines Vaters verwandt, die mystisch befrachtete Lehre des frühen Weimarer Bauhauses war ihm zuwider. Zwar absolvierte er dort eine Tischler-Ausbildung, bevorzugte für ein folgendes Architekturstudium aber namenlose Institute wie eine Bauschule im anhaltischen Zerbst.
Ab 1929 arbeitete er, schlecht bezahlt, in der Bauabteilung des Hamburger Alsterhauses, meist nachts zog er durch die Stadt, fotografierend: die Lombardsbrücke, der erleuchtete Ballindamm, Hafenareale, aber auch bedrückende Wohnquartiere. Im selben Jahr beteiligte er sich an der Ausstellung „Film und Foto“ (FiFo) des Deutschen Werkbundes in Stuttgart mit rund 200 Fotograf:innen.
1932 gelang ihm auf Vermittlung von Bauhausgründer Walter Gropius der Sprung ins Pariser Atelier von Le Corbusier, 1933 folgte er seiner zukünftigen Ehefrau, der schwedischen Bauhäuslerin Gertrud Wysse Hägg, nach Stockholm. Als Jude und amerikanischer Staatsbürger wäre an eine Rückkehr ins NS-Deutschland ohnehin nicht zu denken gewesen.
Innerhalb weniger Jahre konnte er sich als freiberuflicher Architekturfotograf etablieren. Zwischen seinen Aufträgen zog er mit einer selbstgebastelten Telekamera, als Objektiv Teile eines alten Apparates vom Pariser Flohmarkt, durch die Straßen und zum Hafen Stockholms, es entstanden erste Exemplare später umfangreicher Serien, die Architektur, Konstrukte urbaner Infrastruktur und Schiffe, Maschinen, Eisenbahnzüge als symbiotische Bestandteile einer technisierten modernen Welt empfanden.
In Schweden unter Spionageverdacht
Mit Kriegsbeginn als Ausländer, zudem Fotograf, in Schweden unter pauschalem Spionageverdacht, zog Feininger mit seiner Familie nach New York, brachte als Allroundfotograf für eine Agentur seine Techniken auf den avancierten amerikanischen Standard. Von 1943 bis 1961 arbeitete er festangestellt bei LIFE, das führende Magazin des modernen Bildjournalismus. Für seine insgesamt 346 mehrseitigen Bildreportagen bereiste er alle Bundesstaaten, Kanada und Mexiko. Viele seiner Fotos erschienen großformatig über zwei Seiten gedruckt, in der Redaktion galt er als „double-page Feininger“. Leider bietet die Braunschweiger Ausstellung wenig zu diesem wichtigen Arbeitsbereich.
Dafür, wie bereits erwähnt, geht es ausgiebig um die urbane Topografie Manhattans, oft aus der Distanz New Jerseys, von erhöhtem Blickpunkt oder durch Menschenmengen erfasst. Naturstudien galt ein zweiter Schwerpunkt, Feininger nahm sie mit derselben distanziert analytischen Konzentration auf. Gebautes, Technik und Natur sah er als gleichartige, gewachsene Organismen.
Mit dem Auge des Ingenieurs, weniger dem des Künstlers, suche er nach einer Schönheit, die sich in der Kongruenz von Form und Funktion darstelle, beschrieb er seine Arbeitsweise. Er war unter den 273 weltweiten Teilnehmern der Fotoinstallation The Family of Man, die Edward Steichen für das New Yorker MoMA ab 1955 auf Welttournee schickte. Mit einem seiner raren Porträts?
Bis zu seinem Tode 1999 verfasste Feininger zudem über 50 Handbücher zur Fotografie, die seine Grundhaltung in dieser Disziplin darlegen: wahrhaftes Interesse an dem Motiv, Einfachheit und Genauigkeit der Komposition, und, durch den unglaublichen Detailreichtum, den die Fotografie zu erzeugen vermag, eine ästhetische und intellektuelle Aussage, die mehr zeigen muss als die Wirklichkeit.
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