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Internationale Tourismusbörse in BerlinRaus aus der Werbeschleife

Die ITB steht vor der Tür: Wie wird der Tourismus in Berlin nach der Pandemie aussehen? Ein Plädoyer für weniger Marketing und mehr Tourismuspolitik.

Nicht in Sicht: ein Konzept zur Lenkung des Reise- und Sightseeing-Busverkehrs in Berlin Foto: dpa

Die Organisatoren der Internationalen Tourismusbörse sind nicht zu beneiden. Als eine der ersten Großveranstaltungen wurde die ITB 2020 covidbedingt abgesagt. Dieses Jahr bleibt sie auf dem Scheitelpunkt der Omikronwelle im Onlinemodus. Erklärtermaßen aus direkter Betroffenheit widmet sich die einmal mehr als Stream übertragene Fachdiskussion den Themen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Resilienz.

Für die Reisebranche sind das derzeit die Themen. Aber was bedeutet das in der Praxis? Zum Beispiel für Berlin, einer Stadt, die sich traditionell gern als besonders fortschrittlich gibt und nun sogar „Zukunftshauptstadt“ werden will?

Herausforderungen gäbe es genug, um tourismuspolitisch Gestaltungsanspruch zu beweisen, und das mitnichten nur pandemiebedingt. Viele der Konflikte, die vor der Pandemie zu heftigen Auseinandersetzungen darüber führten, inwieweit Berlin ein Problem mit „Übertourismus“ habe, sind nicht auf wundersame Weise verschwunden. Sie haben, wenn überhaupt, nur vorübergehend an Sprengkraft verloren.

Zum Beispiel die Klimakrise. Nach Angaben des Umweltbundesamtes trug der weltweite Tourismus vor Beginn der Pandemie schätzungsweise acht Prozent zu den globalen Treibhausgasemissionen bei. Grund genug, sollte man meinen, um zum Beispiel darüber zu diskutieren, inwieweit es noch vertretbar ist, in den Flieger zu springen, um ein paar Tage in Berlin zu verbringen.

„Business as usual“ unter RGR

Doch Fehlanzeige. Der für die „Zukunftshauptstadt“ geschmiedete Koalitionsvertrag deutet darauf hin, dass es der neue Senat in puncto Tourismus weitgehend bei „business as usual“ belassen wird.

Marco d’Eramo hat in seiner viel beachteten „Besichtigung des touristischen Zeitalters“ (2018 unter dem Titel „Die Welt im Selfie“ erschienen) auf ein Paradox hingewiesen, das sich im Lichte von Pandemie- und Klimakrise weiter zuzuspitzen scheint. Wie Sport oder Werbung gehöre Tourismus zu jener Kategorie sozialer Phänomene, die, so d’Eramo, zwar allgegenwärtig seien, sich aber doch auf erstaunliche Weise der Befragung entzögen.

Trend nach oben

Der Berlin-Tourismus hat sich im zweiten Jahr der Coronapandemie leicht erholt. Das geht aus den Zahlen des Landesamts für Statistik Berlin-Brandenburg hervor. Demnach reisten im vergangenen Jahr rund 5,13 Millionen Besucher:innen in die Hauptstadt, sie verbrachten 13,96 Millionen Nächte in den Hotels der Stadt. Gegenüber 2020 ist das ein Plus von 3,7 Prozent bei den Gästezahlen, Übernachtungen haben um 13,7 Prozent zugenommen. Insgesamt erreicht der Berlin-Tourismus damit 37 Prozent des Vorkrisenniveaus bei den Ankünften und etwa 41 Prozent bei den Übernachtungen. 71 Prozent der Übernachtungen gingen auf Berlin-Besucher:innen aus dem Inland zurück, 29 Prozent auf internationale Gäste. (taz)

Für die politische Reflexion des Tourismus scheint dies in besonderer Weise zu gelten. So hat die laute Diskussion der Reiseeinschränkungen während der Pandemie zwar gezeigt, zu welcher Selbstverständlichkeit Reisefreiheit geworden ist. Wie angesichts der globalen Klimaauswirkungen des Tourismus mit diesem Privileg verantwortungsvoll und generationengerecht umgegangen werden soll, ist jedoch eine politisch kaum thematisierte Frage. Man darf gespannt sein, ob und wie die verzichtsdebattenmüden Grünen das Thema auf Bundesebene angehen.

Von der „Zukunftshauptstadt“ Berlin hätte man mindestens erwarten können, dass sie die „Glasgow Declaration on Climate Action in Tourism“ der Weltklimakonferenz mitträgt und sich so zumindest ein bisschen Rechenschaftspflichten auferlegt. Hat man aber nicht. Der neue Senat sieht im Koalitionsvertrag zwar einen „ökologischen Fonds“ zur Senkung des Ressourcenverbrauchs im Gastgewerbe vor. Über die Höhe der angestrebten Einsparungen oder die zu investierenden Mittel ist jedoch bisher nichts bekannt. Und weitergehende Neuerungen sucht man in den wieder einmal spärlichen Aussagen zum Tourismus – die bezeichnenderweise erneut im Wirtschaftsteil zu finden sind – vergeblich.

Andere Städte sind weiter

Andere Städte sind da weiter. Amsterdam hat etwa die klassische Tourismuswerbung reduziert. In Barcelona wurde sie institutionell vom Tourismusmanagement getrennt. Daran ist in Berlin offenbar nicht zu denken; hier leistet man sich mit „visitBerlin“ und „Berlin Partner“ lieber gleich zwei Stadtmarketingagenturen beziehungsweise Wirtschaftsförderungsagenturen.

Noch ein Beispiel: Während sich die katalanische Hauptstadt auf Initiative der Bürgerplattform „Barcelona en Comú“ schon vor Jahren Beteiligungsformate schuf, um Stadtbewohner in die Stadttourismusentwicklung einzubeziehen, tagt bei der Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey weiterhin ein „Runder Tisch Tourismus“ – seit seiner Einführung durch Klaus Wowereit exklusiv und hinter verschlossenen Türen.

Jenseits dieser grundsätzlichen Fragen zeigt sich auch im ganz Konkreten, dass die Berliner Tourismuspolitik im Marketing-Modus feststeckt, statt die Schnittstellen von Stadt- und Tourismusentwicklung gestalten zu wollen. So harrt der im neuen Koalitionsvertrag erneut in Aussicht gestellte Hotelentwicklungsplan seit 2013 seiner Realisierung. Noch länger wartet man auf das erneut angekündigte Konzept zur Lenkung des Reise- und Sight-Seeing-Bus-Verkehrs.

Dieser Stillstand mag zum Teil verwaltungsstrukturell bedingt sein. Doch das macht die Sache nicht besser. Wenn selbst überschaubare, politisch vereinbarte Projekte nicht zustande kommen oder scheitern, sollte dies vielmehr Anlass sein, sich endlich ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen, wie das Politikfeld Tourismus neu ausgerichtet und die Handlungsfähigkeit in diesem Bereich verbessert werden kann.

Ob derlei Fragen bei Franziska Giffey am „Runden Tisch Tourismus“ diskutiert werden? Wir wissen es nicht, aber es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass visitBerlin-Chef Burkhard Kieker Berlin gern als „Drehscheibe des Nachdenkens über Zukunftslösungen“ bezeichnet, die tourismuspolitische Reflexion aber – wenn überhaupt – in einem obskuren Hinterzimmergremium stattfindet.

Gute und schlechte Orte

Um die Erlebensqualität öffentlicher Räume geht es aber auch an mehreren konkreten Orten, die den touristischen Appeal Berlins auf sehr unterschiedliche Art und Weise ausmachen. Zum Beispiel bei der Gestaltung der verbleibenden Freiflächen am Checkpoint Charlie. Die ehemalige Grenzübergangsstelle ist nach Besucherzahlen die drittbeliebteste Sehenswürdigkeit Berlins und zugleich, seit 2015 auch offiziell qua Baugesetzbuch, ein Ort „außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung“.

Seine Zukunft bleibt jedoch trotzdem oder gerade deshalb ungewiss. Ob hier ein qualitätsvolles Stück Stadt entsteht, hängt nicht zuletzt davon ab, ob kultur-, stadtentwicklungs- und tourismuspolitische Belange miteinander in Einklang gebracht und koordiniert werden können.

Weitere Baustellen, an denen Stadt- und Tourismusentwicklung eng ineinandergreifen, finden sich viele. Auf einer der letzten Freiflächen an der Rummelsburger Bucht plant das multinational agierende Unternehmen Coral World sein als „Wasserhaus“ gelabeltes Aquarium nicht nur größer als ursprünglich vorgesehen, sondern nun auch noch in Kombination mit einem Hotel.

Verplante Freifläche an der Rummelsburger Bucht Foto: dpa

Nicht nur viele Anwohnerinnen und Anwohner stehen dem geplanten Aquarium, das zu großen Teilen auf einer als öffentlicher Park ausgewiesenen Fläche entstehen soll, äußerst kritisch gegenüber. Sie werfen der Politik mangelnde Distanz zum Umgang mit dem Investor vor. Dass dessen PR-Dienstleister laut einem Bericht des RBB auch Gesellschafter bei Berlin Partner, einer der beiden Hauptstadtmarketing-Agenturen, ist, trägt nicht unbedingt dazu bei, diesem Eindruck entgegenzuwirken.

ITB 2022 rein digital

Die von der Coronakrise hart getroffene Tourismusbranche sieht Licht am Ende des Tunnels. Immer mehr Länder lockern ihre Reisebeschränkungen, in Deutschland sollen bis Mitte März alle weitreichenden Einschränkungen fallen. Veranstalter, Reisebüros und Hoteliers hoffen auf einen starken Sommer. Die Nachfrage nach Pauschalreisen zieht an. „Einen dunklen Schatten der Unsicherheit" werfe aber der Krieg Russlands in der Ukraine, sagt der Präsident des Reiseverbandes DRV, Norbert Fiebig, vor dem am 8. März beginnenden Onlinekongress der Internationalen Reisemesse ITB. Die internationale Tourismusbörse Berlin findet rein online statt. Das Motto: „Open for Digital, Responsible & Resilient Solutions". (dpa, taz)

Während sich im Fall der Rummelsburger Bucht kommerzielle Interessen und Befürworter einer „Bucht für alle“ unversöhnlich gegenüberstehen, besteht auf der gegenüberliegenden Seite der Spree beim Spreepark die Möglichkeit, zu zeigen, dass ein solches Szenario nicht unausweichlich ist.

Da sich das Gelände des ehemaligen DDR-Vergnügungsparks im Plänterwald im Besitz des Landes befindet, könnte hier ein Modellprojekt realisiert werden, wie wirtschaftliche Entwicklung „von oben“ und zivilgesellschaftliche Kreativität „von unten“ einerseits und touristische und andere Anliegen andererseits in Einklang miteinander gebracht werden können.

Insgesamt werden 20 Millionen Euro aus einem Bund-Länder-Programm in die touristische Erschließung investiert. Viel Geld also, um ein Experiment zu wagen, das sich Berlin mit seinem Selbstverständnis als Stadt der Kreativen buchstäblich aufdrängt. Hier ließe sich zeigen, wie kooperative Planungsprozesse und Möglichkeiten zur bürgerschaftlichen Aneignung und zum Experimentieren Räume schaffen können, die für Berliner und Besucher gleichermaßen einladend und attraktiv sind.

Die Rolle von visitBerlin

Doch worauf müsste die politische Mitgestaltung des Stadttouristischen im Zeichen der Klimakrise und eines mittelfristig wahrscheinlichen postpandemischen „Overtourism 2.0“ zielen? Der Koalitionsvertrag verspricht, dass ein seit Jahren geplanter Bürgerbeirat gegründet, das existierende Tourismuskonzept fortgeschrieben und ein „zentraler touristischer Datenhub“ eingerichtet werden soll. Das sind gute Absichten, man braucht sie nicht von vornherein schlechtzureden. Gleichwohl steht erfahrungsgemäß zu befürchten, dass ein bisschen Konzeptarbeit und ein bisschen Beteiligung nicht weit führen werden. Berlin muss vielmehr fragen, ob es noch sinnvoll ist, Tourismus in erster Linie als wirtschaftspolitisches und nicht als eigenständiges Querschnittsthema zu betrachten.

Zu fragen ist auch, ob es angemessen ist, ausgerechnet visitBerlin, also ein Unternehmen, das eng mit der Tourismusbranche verbunden ist und sich immer noch in erster Linie als Marketingagentur versteht, regelmäßig mit der Gestaltung und Umsetzung von Prozessen und Projekten zu betrauen, die vorgeben, zwischen unterschiedlichen Interessen vermitteln und tourismusbezogene Konflikte lösen zu wollen. Längst überfällig ist zudem eine Infragestellung der Möglichkeit und Notwendigkeit immer weiteren touristischen Wachstums und einer Politik, die durch öffentlich finanziertes Marketing fortwährend auf weiteres Wachstum setzt.

Natürlich ist es unpopulär, Investitionen in das Tourismusmarketing infrage zu stellen. Seit der Weimarer Republik ist das, was heute als „Destination Branding“ bezeichnet wird, ein wichtiges Mittel für Städte, um sich im Wettbewerb um Aufmerksamkeit zu behaupten und sich ihrer Bedeutung zu vergewissern. Und angesichts dessen, was sie in den letzten Jahren durchgemacht hat, kann man es der heutigen Tourismusbranche nicht verdenken, dass sie lautstark nach mehr Marketinginvestitionen ruft.

Aber würden diese überhaupt noch etwas bringen? Die Deutungshoheit über die Bilder der Stadt hat sich in der digitalen Welt ebenso verflüssigt, wie sich das Verhalten und die Erwartungen der Touristen ausdifferenziert haben. Wie viel Einfluss mit teurer TV- oder Printwerbung, aufwendigen Plakatkampagnen oder immer kostspieligerem Social Media- und Influencer-Marketing in Zeiten einer zunehmend medial dezentralisierten und unübersichtlichen Aufmerksamkeitsökonomie überhaupt noch erreicht werden kann, ist ungewiss.

Klar braucht es sehr gute Tourist-Infos, Menschen, die Kongresse nach Berlin holen, und weitere, die all jene vernetzen, die den Berlin-Tourismus mitgestalten. Dass visitBerlin unter der Marke BAHNHIT.de auch noch selbst Bahnreisen nach Berlin (und in andere Städte) vertreibt, lässt sich sogar als echter Beitrag für einen nachhaltigeren Tourismus verstehen.

Unter dem Strich ist jedoch eine echte Abkehr vom klassischen Destinationsmarketing überfällig. Der tourismuspolitische Fokus muss der komplexen Frage gelten, wie sich Stadt- und Tourismusentwicklung wechselseitig prägen und gestalten lassen. Ein „Weiter so“ ist in Anbetracht der vielfältigen Krisen und Herausforderungen, mit denen der Tourismus konfrontiert ist, verheerend. Vor allem für eine Stadt, die doch unbedingt „Zukunftshauptstadt“ sein will.

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