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Krieg in der UkraineProteste gegen den Krieg

Trotz eines Demonstrationsverbotes gehen Menschen in Russland gegen Krieg auf die Straßen. Die Polizei reagiert mit beispielloser Härte.

Festnahme einer Friedensdemonstrantin in Moskau, 24. Februar Foto: imago

Moskau taz | Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine hatte der Kreml wegen der „angespannten außenpolitischen Lage“ verboten. Wer sich in Russland dennoch Protesten anschloss, müsse mit „ernsthaften strafrechtlichen Folgen“ rechnen, teilte das Untersuchungskomitee mit.

Viele Demonstrierende ließen sich dennoch nicht davon abhalten, ihr Entsetzen über den Überfall der Russischen Föderation auf den Nachbarstaat Ukraine kundzutun.

Immer wieder kam es im Zentrum Moskaus zu kleineren spontanen Versammlungen meist jüngerer Leute gegen den Krieg – wie etwa in der Nähe der Metrostation Kitai Gorod. „Njet woinoi“ skandierten sie, „keinen Krieg!“. Das waren spontane Aktionen und Protestzüge, solange Sicherheitskräfte und Nationalgarde den Protest noch nicht wahrnahmen.

Laut der Initiative „OVD-Info“, die Festnahmen landesweit registriert und bereits als „ausländischer Agent“ in Russland geführt wird, fanden am ersten Tag der Invasion in der Ukraine Proteste in mehr als 50 russischen Städten statt.

„Geht raus und sagt, dass ihr gegen den Krieg seid“

Menschenrechtlerin Marina Litwinowitsch wandte sich über den unabhängigen Runfunksender Echo Moskau an die Bevölkerung: „Weint nicht und fürchtet euch nicht. Geht raus und sagt, dass ihr gegen den Krieg seid“, sagte sie.

2.000 Demonstrierende waren in Moskau am Donnerstagabend auf die Straße gegangen. Die Polizei hatte den Puschkin-Platz im Moskauer Zentrum weiträumig abgesperrt. Die De­mons­tran­t:in­nen bewegten sich in losen Trauben um den Platz herum. Die Nationalgarde nahm trotzdem rund tausend Menschen fest. Viele wurden aus der Menge herausgegriffen und in Gefangenentransportern festgehalten. Auch Zuschauende waren vor den Zugriffen nicht sicher.

Wochenendkasten 26.Feburar 2022

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Die stellvertretende Chefredakteurin Tatjana Felgenhauer von Echo Moskau hatte sich unter die Demonstrierenden gemischt und berichtete vom „beispiellos brutalen Vorgehen“ der Sicherheitskräfte. Auch in Sankt Petersburg versammelten sich am Abend tausend Menschen im Stadtzentrum. Etwa 300 Festnahmen werden aus Petersburg gemeldet.

In Jekaterinburg im Ural trafen sich ebenfalls Kriegsgegner und -gegnerinnen. Auch in Perm, Kasan und anderen sibirischen Städten tauchten sie am Abend auf. In Nowosibirsk gingen De­mons­tran­t:in­nen zu Ein-Mensch-Protesten auf die Straße. Insgesamt sollen bei Demonstrationen in 58 Städten mindestens 1.800 Menschen festgenommen worden sein. Der Großteil der Festnahmen entfiel jedoch auf Moskau und Sankt Petersburg.

Der Oppositionelle und kommunale Abgeordnete Ilja Jaschin meint dennoch, im Vergleich zu früheren Protesten seien nur „wenige Menschen auf den Straßen“ gewesen. Jaschin war Wegbegleiter des russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow, der im Februar 2015 in Moskau umgebracht wurde. Im Anschluss an den Mord veröffentlichte Jaschin in einer Broschüre zum Thema „Putin, Krieg“ Beweise für die Schuld Russlands am Ukrainekrieg 2014, die Nemzow gesammelt hatte.

Opposition systematisch ausgeschaltet

Seit der Inhaftierung Alexei Nawalnys im Januar 2021 wurde die Opposition systematisch ausgeschaltet und in die Emigration getrieben. Das hat deutliche Folgen für den öffentlichen Widerstand in Russland, sagte Jaschin.

Gegen DemonstrantInnen wird brutal vorgegangen, 24. Februar Foto: Anton Vaganov

Viele russische Künstler, Künstlerinnen und bekannte Persönlichkeiten wandten sich mit einer Resolution an die Öffentlichkeit, die den Ukraine­krieg verurteilte. Unter ihnen waren etliche, die sich bislang mit Kritik gegenüber der Kreml­führung zurückhielten. Darunter der Musiker Valeri Miladse und die Rockmusikerin Zemfira. Auch der Entertainer aus dem ersten staatlichen russischen Fernsehen, Iwan Urgant, meldete sich zu Wort.

Nicht zuletzt erhoben auch Wis­sen­schaft­le­r:in­nen ihre Stimmen: Der Krieg sei ein fataler Schritt, der die Grundlagen des internationalen Systems untergrabe. Russland habe sich international isoliert. Diese Isolation hätte zur Folge, dass sie sich nicht mehr mit Kol­le­g:in­nen im Ausland verständigen könnten. Russland fehle es an positiven Perspektiven, heißt es in einem Schreiben, das mehr als 200 Pro­fes­so­r:in­nen und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen der Russischen Akademie der Wissenschaften unterzeichneten.

Die Schriftsteller Boris Akunin, Dmitri Gluchowski und Dmitri Bykow äußerten ebenfalls Protest. Auch die Schauspielerin Tschulpan Chamatowa, die sich mit humanitären Projekten einen Namen machte, und der ehemalige Journalist und Moderator Michail Sygar sind dabei. Letzterer arbeitete bis 2015 beim oppositionellen TV-Sender Doschd.

Der 80-jährige Menschenrechtler Lew Ponomarjow demonstrierte schon am Wochenende in Moskau gegen den heraufziehenden Krieg. Auch er zählt für den Kreml zu den „ausländischen Agenten“ – ein Titel, der für Oppositionelle zugleich zu einer Art menschlichem Gütesiegel geworden ist. Ponomarjows Antikriegspetition unterzeichneten bis Freitag bereits 444.113 Menschen. Ihm droht eine Anklage wegen nicht genehmigter Aktionen. Auch dem Internetjournalisten Juri Dud droht seit Freitag der Titel „ausländischer Agent“. Einige seiner Dokumentationen erreichen ein Millionenpublikum.

In Nowosibirsk wurden am Donnerstag 20 Personen wegen Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration festgesetzt. Ein Student wurde verhaftet – weil er die blau-gelbe Fahne der Ukraine ins Fenster gehängt hatte.

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