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Neuer kulinarischer TrendVom Waldboden essen

Nicht nur Wild und Pilze, auch Flechten, Zapfen und Nadeln stürmen die Teller. Aber ist es wirklich so unproblematisch, sich im Forst zu bedienen?

Nein, kein Schwamm, sondern eine Krause Glucke liegt hier auf dem Waldboden Foto: Sven Walter/mauritius images

Nicht mal mehr vier Wochen, dann zeigt sich unter den Bäumen das erste essbare Grün. Mehr oder weniger intensiv wabert ein milder Zwiebelduft über den Waldboden. Es ist der Bärlauch. Und einerlei, ob jemand schon mal Pilze gesammelt hat, Flechten von Steinen gekratzt hat, ob er gelernt hat, Holunder- von Vogelbeeren zu unterscheiden oder Kornelkirschen von rotem Hartriegel – um Bärlauch zu sammeln, muss man nichts wissen.

Die giftigen Maiglöckchen und Herbstzeitlose sind zwar ähnlich, aber es braucht keinen groß geschulten Blick, um den Unterschied zu erkennen. Man geht einfach nur der Nase nach, wenn man auf ein Feld mit dunkelgrünen Blättern trifft. Und mal ehrlich: Man nimmt immer zu viel mit, oder nicht?

Der Bärlauch ist eine Pionierpflanze, auch im botanischen Sinne, vor allem aber – und darum geht es hier: im kulinarischen Kontext. So wie sich kaum jemand einen Frühling ohne Spargel vorstellen kann, ist es auch mit Bärlauch. Inzwischen gibt es ihn nicht nur als frisches Bund im Supermarkt, sondern auch geschnitten und gefriergetrocknet, als Pesto oder Risotto-Mix. Gleichzeitig hat er den Blick geweitet für das, was sonst noch so unter Bäumen wächst und verzehrbar ist, jenseits von Pilzen und Wildbret.

taz am wochenende

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Und das ist überraschend viel. Das junge Laub des Ahorns kann man wie Weinblätter benutzen, um darin Graupen einzuwickeln oder Fisch zu dämpfen. Auch Sirup lässt sich daraus machen, ebenso wie aus Tannen- und Fichtensprossen. Die zarten Nadeln sind essbar und schmecken leicht zitronig.

Jahr für Jahr kommen neue Kochbücher raus, entdecken Gourmetköche, die sich regional und saisonal orientieren, den Wald als Nahrungsraum. Jedes Jahr werden es ein bisschen mehr: Wildkochbücher, die sich nicht mehr bei Rehpfeffer, Hirschragout und der Buttermilchmarinade der Großmütter aufhalten, sondern Wild modern interpretieren. Restaurants, die Krause Glucke, Schwarze Trompete oder Parasol (alles Pilze) auf die Karte nehmen. Und auch die Flora bietet ständig neue Möglichkeiten.

Essen als Völkerverständigung

Längst gibt es im Bioladen Birkenwasser und Birkenzucker, aber schon erobern Wildspargel, Löwenzahn, Bucheckern im Gefolge des Bärlauchs Küchen und Gourmetläden.

Wenn der Mensch isst, dann reist er am liebsten in ferne Länder oder in die Vergangenheit. Diese goldene Regel der Kochliteratur gilt nach wie vor. Der Geschmack der Kindheit oder eines Urlaubs birgt Wohlfühlgarantie. Es gibt zwei kulinarische Trendthemen, die nicht in dieses Muster passen und eigentlich nicht unterschiedlicher sein können. Das sind Wald und Flucht. Es geht hier nicht um Soul, sondern um Conflict Food.

Dazu muss ich die Geschichte der „Conflict Kitchen“ erzählen, ein Imbiss, der 2010 in Pittsburgh, Pennsylvania eröffnete. Im wöchentlichen Wechsel bot er Speisen aus Ländern an, mit denen die USA im Clinch lagen: Irak, Iran, Kuba, Venezuela, Nordkorea, sogar die Küche der nordamerikanischen indigenen Völker.

Ein durch und durch politisches Projekt, das weltweit gewisses Aufsehen erregte und wegen seines Erfolgs Nachahmer fand, in Europa meist durch Pop-up-Restaurants.

Conflict Food wird vielleicht nie eine so große Marke werden wie Slow Food. Aber das Motiv lässt sich immer wieder beobachten: Essen aus Solidarität, als Völkerverständigung. So gehörten zur Willkommenskultur nach 2015 nicht nur Restaurantprojekte mit Geflüchteten, sondern es füllten sich auch die Kochbuchregale. Bücher mit Rezepten aus den Herkunftsländern stießen auf Nachfrage – aus Syrien, Iran oder Libanon.

Dieser panorientalische Trend war nicht neu, 2015 bekam er in der deutschen Gastronomie aber richtig Antrieb. Es entstanden viele Restaurants mit sogenannter levantinischer Küche. Hier darf man speisen, als ob es von der Türkei bis nach Ägypten, von Israel bis in den Iran keine kulturellen, religiösen oder politischen Konflikte gäbe.

Der Wald ist auch ein Schauplatz für Conflict Food. Eigentlich ist es widersinnig, dass er gerade jetzt als Nahrungsraum in Mode kommt. Der Wald ist Krise. Er brennt, er vertrocknet, das ganze Ökosystem ist aus den Fugen, erklären die Experten. Es steht so schlimm, dass 1,5 Milliarden Euro für Wiederaufforstung bereitgestellt wurden. Junge Klimaschützer organisieren inzwischen bundesweit Protest, wenn Bäume Tagebauen, Autobahnen oder Fabriken weichen sollen. Aber vom Wald zu essen, das soll gleichzeitig okay sein? Wie passt das zusammen?

Man könnte einiges über die Deutschen, die Romantik und den Wald schrei­ben. Interessant ist: Im 19. Jahrhundert begann die Geschichte des Kulturbereichs Wald, der bis dahin „Wildnis“ und „Wirtschaftsraum“ war. Dass man sich daraus seit Jahrhunderten für die Küche bediente, wurde mit der Industrialisierung der Landwirtschaft immer uninteressanter, so wie auch die Sagen und Geschichten über Wilderer aus der Mode kamen.

Die bürgerliche Küche, die in dem Jahrhundert entstand, ist eine extrem landwirtschaftliche: Sollte sich der Adel doch weiter den Gewehrschrot aus den Zähnen pulen, wenn Wildschwein auf den Tisch kam.

Kommt bald der Forétarier?

Mit der prekären Situation ändert sich das Bild. Es entstehen ein neuer Sehnsuchtsort und neue Techniken der Aneignung. Peter Wohlleben, Deutschlands bekanntester Förster, hat uns das soziale System Wald erklärt. Menschen gehen zum Waldbaden, wie sie sich früher CDs mit Walgesängen in den Rekorder schoben.

Der Wald ist nicht mehr gefährlich, sondern verletzlich – aber immer noch ursprünglich. Kein Kochbuch, kein Blog zum Thema Wald, das nicht darauf hinweist: Wenn Nutztiere irgendwo artgerecht leben, dann ist es Wild – ohne Zäune und bei der Futtersuche auf sich gestellt. Und bei Obst und Gemüse erklären sie: Der Wald ist das bessere Bio, Ausnahme Steinpilze, Sie wissen schon – Tschernobyl.

Wenn der Mensch isst, dann reist er auch gerne in eine bessere Welt. Im Wald ist es die alte der Jäger und Sammler der Steinzeit und zugleich das Morgen eines klimaneutralen, deindustrialisierten Planeten. Sicher gibt es bald einen Begriff für Waldesser, so wie Veganer oder Flexitarier: Forétarier würde nice klingen.

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10 Kommentare

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  • Es gibt diverse Pilzarten, die Cäsium etc. anreichern, nicht nur der Steinpilz.

    www.spiegel.de/wis...-b6bf-3c6b676854ad

  • Der Wald, das unbekannte Land. Es ist nicht so ungefährlich, ohne Sachkenntnis Bärlauch zu sammeln, da die Blätter denen des hochgiftigen Maiglöckchens und denen der üblen Herbstzeitlose ähnlich sehen. Hat der Sammler vom Bärlauch schon Geruch an den Fingern, kann er vielleicht das giftige Gewächs am Duft nicht mehr vom ungiftigen unterscheiden. Obacht!



    Conflict kitchen - sehr interessant.

  • Ja, und am besten erst einmal alles mitnehmen, zur Pilzbestimmung gehen, um dann, da direkt im Kontakt mit Knollenblätterpilz und Co. wieder alles wegwerfen müssen, anstatt sich vorher schlau zu machen. Dazu am besten in breiter Front ausschwärmen und vor lauter Suche nach Pilzen alles andere am Waldboden zertreten.



    Abgesehen davon, dass manche da in Bereiche gehen, in denen die Tiere des Waldes vorher noch ihre Ruhe hatten.



    Man kann dabei aber auch vorsichtig und umsichtig vorgehen, nur haben das halt viele nicht gelernt und verursachen zusätzlich unnötige Schäden.

  • Tja. Also - angeblich läst sich Bärlauch mit Maiglöckchen verwechseln?

    utopia.de/ratgeber...nicht-verwechseln/ bzw Maiglöckchen und Herbstzeitlosen

    ...und was is eig mit "Fuchsbandwurm"?!

    Und überhaupt? wieviele sollen wohl so durch Wälder.... gehen/streifen/trampeln?!

  • Erlebnis vor Jahren beim Wandern in Brandenburgs Forsten : Auto im Schritttempo , Fahrer schaut intensiv in die Botanik ,fragt mich, ob ich denn ein paar gute Pilzstellen kennen würde. wtf???



    Zur Klischeeabrundung: Sächsisches Kennzeichen. Ich schwör!

  • Schönes Fotto - SchönenKrause Glucke - ab in den dunklen Keller in ne Wanne - ein/zwei Finger breit Wasser - wie im Bidet unterm Kiel! Lecker.



    Portionsweise beischneiden - langt fürn paar Tage.



    Wasser a weng nachgeben nicht vergessen!



    Je nach Standort - leichter Anisgeschmack.



    Verschlungen wie Breitbandnudeln.



    (Finden & Kennen eh nur Spezialisten!;) - 🍳- 🎏 -

    • @Lowandorder:

      Sparassis crispa



      flickr.com/search/...Sparassis%20crispa

      • @Ringelnatz1:

        Danke - also alle Farben hat ich nicht in der 🍳 - weil - der Rentnerband die Steinpilze körbchen - na seimer ehrlich - körbeweise als Studi - der frühe 🐛 findet den 🍄 - wegfinden - war - wo einst der Martin der Hannah das - Entbergen zeigte - einfach leichter.



        (ps hatte mal einer von den Überstudierten nen Gallenröhrling untergemischt - brauchteste nicht in die Röhre speien => Denn - Hurra! Hurra!



        Ne volle 🍳 Nr. 2 war ja noch da!



        Ja - So einst im öko Überfluß lebten wir!



        Hauptsach - Gelle - es gab kein Licher 🍺



        Erst später - 🏴‍☠️ & so punky Buben



        Ham die Landgrafen Stuben zum - Havanna 8 - Gemacht! - 🚬 - 🎏 -



        Da! Nahm das Unglück seinen Lauf!



        & Liggers. =>



        Na & Däh => 🔫 - was ein 🧨 - ⛓ - 💡 &:



        Immergriiens! Vegan gabs - Obendrauf •

        So wird n 👠 & n 🍺 draus - wa! - 🙀🥳

        So geht das © Kurt Vonnegut

  • Jörn Kabisch , Autor des Artikels, Autor

    Es ist wirklich interessant, wie viele Menschen inzwischen wissen, dass Bärlauch giftigen Maiglöckchen und Herbstzeitlosen zum Verwechseln ähnlich ist. Dazu sind schon einige Leserbriefe eingegangen. Aber: Bärlauch ist der erste im Jahr, die Unterseiten der Blätter sind matt (bei den anderen beiden glänzend), pro Stiel trägt er nur ein Blatt. Vor allem aber: nur Bärlauch riecht nach Knoblauch. Ist die Unterscheidung wirklich so schwer? Wer das nicht auseinanderhalten kann, wird auch Petersilie, Kerbel und Koriander verwechseln.

    • @Jörn Kabisch:

      Ach was! 🎏 Vagel Bülow

      Solche Überstudierten können auch nen Galllen/SpeiRöhrling nicht von Steinpilz unterscheiden & sollen auf Soffa bleiben



      (Perlpilz zB is ne andere Hausnummer - wußte schonn - aber erst nach Tour mit Klaus dem Bayern - kam er verläßlich inne 🍳 zu die 🥚 🥚 - 🧐 -



      “Hett al siin Weetenschaft“ © de Ohl!;))