Schutz für Frauen in Schleswig-Holstein: Mit Vernetzung gegen Femizide

Der Informationsaustausch zwischen Polizei und Beratungsstellen wird vereinfacht. Durch Gewalt gefährdete Frauen sollen besser geschützt werden.

Ein polizeiliches Absperrband an einer Tür.

Absperrband am Tatort: In Dänischenhagen kam die Polizei zu spät Foto: Axel Helmken/dpa

BREMEN taz | Schleswig-Holstein möchte Frauen besser vor häuslicher Gewalt schützen. Eine Gesetzesänderung soll dafür sorgen, dass zwischen Polizei und Beratungsstellen, also zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen, mehr Informationen ausgetauscht werden können. Die Hoffnung: Durch ein vollständigeres Bild der Lage sollen mögliche zukünftige Eskalationen verhindert werden. Voraussetzung ist, dass die Betroffene dem ausdrücklich zustimmt.

Es geht um eine Änderung des Polizeirechts, das in Schleswig-Holstein Teil des Landesverwaltungsgesetzes ist, wie Tim Radtke, Sprecher des Innenministeriums, erklärt. Die Regierung der Jamaika-Koalition hat dies beschlossen; der Landtag muss der Gesetzesänderung noch zustimmen. Sie soll noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten.

Aktuell sei der Austausch zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen nur sehr eingeschränkt erlaubt, sagt Radtke. Eine Ausnahme: Wenn die Polizei einen Täter nach Paragraf 201a des Landesverwaltungsgesetzes für maximal vier Wochen aus der Wohnung der Betroffenen verweist, sind die Daten der Betroffenen an „geeignete Beratungsstellen zu übermitteln“. So steht es im Gesetz. Doch das ist oft sehr spät, Prävention dadurch kaum möglich. Zumal die Daten wieder gelöscht werden müssen, wenn die Betroffene kein Gespräch in Anspruch nimmt.

„Im Zweifel geht es darum, Tötungsdelikte zu verhindern“, sagt Radtke. Bei sogenannten Fallkonferenzen mit den beteiligten Kooperationspartnern wie Beratungsstellen, Polizei und auch Jugendämtern, wenn Kinder beteiligt sind, solle geklärt werden, ob es wieder zu Gewalt kommen könnte oder ob es sich sogar um einen sogenannten Hochrisikofall handelt. Die Einschätzung der Situation werde leichter, wenn die beteiligten Institutionen ihre Daten austauschen könnten.

Beratungsstelle hofft auf Sensibilisierung der Behörden

Und nicht nur über Tä­te­r:in­nen aus derselben Wohnung: „Mit der Erweiterung können auch Daten von Personen übermittelt werden, die nicht mit den Opfern oder möglichen Opfern in einer Wohnung leben.“

Der Gesetzentwurf sei Teil der Verbesserung des gesamten sogenannten Hochrisikomanagements, der Datenaustausch eine Grundlage für alles weitere: die Analyse eines Falls und das Entwickeln von Lösungen – von einem Platz im Frauenhaus, dem Austauschen von Türschlössern bis hin zu einem Schutzkonzept, an dem die verschiedenen Kooperationspartner mitwirken, erklärt Radtke.

Was das in der Realität verändern kann, erklärt Katharina Wulf, Geschäftsführerin des Landesverbands Frauenberatung Schleswig-Holstein: „Viele Fälle von häuslicher Gewalt, bei denen es in den letzten Jahren zu Tötungsversuchen oder Tötungen gekommen ist, waren den Behörden bekannt.“ Sie teilt die Hoffnung der Behörde, dass in den Fallkonferenzen nun früher über Fälle gesprochen und gehandelt werden kann. Und auch, dass die Behörden dadurch sensibilisiert werden.

Zum Beispiel für Fälle wie den von Dänischenhagen: Im Mai des vergangenen Jahres hatte ein Mann seine von ihm getrennt lebende Frau, ihren neuen Partner und einen weiteren Mann erschossen. „Die Frau hat alles gemacht, was ihr zur Verfügung stand“, so Wulf: sich getrennt, Anzeige wegen schwerer Körperverletzung erstattet, ein Näherungsverbot erwirkt. Die Polizei hatte dem Mann bereits vor der Tat registrierte Waffen abgenommen, die Tatwaffe gehörte wohl nicht dazu.

„Wenn man sich regelmäßig trifft, kommen aktuelle Fälle auf den Tisch“, so Wulf. Es gebe polizeiliche Instrumente, die dann eingesetzt werden könnten, wenn sich Menschen nicht an ein Näherungsverbot hielten oder Wiederholungsgefahr drohe, sollten sie schon einmal gewalttätig geworden sein.

Die Ausstattung ist auch ein Problem

Auch Ulrike Scheen und Carolin Thomsen vom Frauennotruf Flensburg halten die Veränderung für einen „Riesenschritt“. Damit man in den Institutionen entsprechend handeln kann, müsse die Gesetzesänderung aber mit mehr Ressourcen hinterlegt werden, so Thomsen: mit gut geschultem Personal. Das gelte beispielsweise für das Jobcenter. Aber auch für ihre eigenen Beratungen wünschen sie sich mehr Möglichkeiten zur Prävention.

Besonders wichtig finden Scheen und Thomsen, dass die Grenzen der Betroffenen gewahrt werden; sie also entscheiden kann, ob sie die angebotene Hilfe wirklich haben möchte.

Für die, die das nicht wollen, bringt die Gesetzesänderung nichts. Weil auch die Beratung im Rahmen von Paragraf 201a nicht immer angenommen werde, sagt die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Gleichstellung, Beate Raudies, könne sie sich vorstellen, dass die Umsetzung „schwierig“ werde. Datenschutzrechtlich gehe es zwar nicht anders, aber deswegen werde man als Fraktion auch mit der Zeit abfragen, wie und wie oft die Neuerung angewandt werde. „Wenn es so weit ist, wird man sehen, ob die Frau ihre Zustimmung gibt.“

Raudies findet den geplanten Datenaustausch grundsätzlich gut. Denn häufig sei es „die Summe der Vorfälle“, die etwa die Polizei auf häusliche Gewalt aufmerksam macht. Mit der Änderung hätte sie mehr Handlungsspielraum. Das reicht Raudies aber nicht. Darüber hinaus fordert sie die Möglichkeit, Täter länger als vier Wochen aus ihrer Wohnung verweisen zu können, so wie es in Hamburg gehe. Auch bei der Finanzierung und Ausstattung der Frauenhäuser sieht sie mehr Bedarf: „Es ist eine Menge Arbeit zu leisten, um die Istanbul-Konvention umzusetzen.“

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