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Plünderung von Amazon-GüterzügenSymbolbild des Kapitalismus

Kürzlich kursierte ein Foto vollgemüllter Gleise in Los Angeles. Es entstand nach der Plünderung eines Zuges von Amazon. Doch wofür steht das Bild?

Bahngleise in Los Angeles: Bild einer Warenverkehrsform, die sich selbst erledigt Foto: VCG/imago images

E s ist wie eine Szene aus einem Katastrophenfilm, sagt die CNN-Reporterin. Zu sehen sind drei Bahngleise aus Vogelperspektive, vollgemüllt mit Verpackungsmaterial. Die Gleise befinden sich im kalifornischen Los Angeles und der Beitrag handelt von einem „neuen Trend in USA“, wie es Spiegel Online Mitte Januar bezeichnet: „Diebe plündern Amazon-Güterzüge“.

In US-Medien findet man Aufnahmen der Plünderer in Aktion, von einem Polizeibeamten, der zu Fuß zwei Personen verfolgt, von offenen Containertüren. Die Menschen nehmen nicht alles mit, im Müllhaufen liegt ein Familienfoto. Zu einem anderen Müllfoto heißt es, dass jener Gleisabschnitt nicht einmal 30 Tage zuvor gereinigt worden sei.

Laut der Eisenbahngesellschaft Union Pacific haben die Fälle im letzten Jahr um 160 Prozent zugenommen. Der Schaden betrage für das vergangene Jahr 5 Millionen Dollar. In den letzten drei Monaten von 2021 seien täglich 90 Container beschädigt worden.

Ein Sprecher der Eisenbahngesellschaft wirft den Behörden vor, festgenommene Personen zu schnell wieder freizulassen. Ein Berater des zuständigen Staatsanwalts entgegnet, dass in diesen Fällen Beweise fehlten.

8,1 Millarden Dollar

Ein Polizist spricht von „Sturm der Kriminalität“ und bringt diesen mit der Pandemie in Verbindung: „Menschen verlieren ihre Jobs. Es gibt sehr viele Obdachlose gerade.“ Die Polizei von Los Angeles habe außerdem wegen Kündigungen und Corona sehr viele Kol­le­g:in­nen verloren.

Alleine 50 in seinem Revier. Eine Professorin, die ein Paper über den Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und Diebstahl geschrieben hat, sagt: „Viele Menschen stehen vor finanziellen Herausforderungen.“

Amazon hat seinen Gewinn im ersten Quartal 2021, mitten in der Pandemie verdreifacht, auf 8,1 Milliarden Dollar. Die zehn reichsten Männer der Welt, zu denen Amazon-Gründer Jeff Bezos gehört, haben ihr Vermögen in der Pandemie verdoppelt, auf 1,5 Billionen Dollar. Überfälle auf Züge sind so alt sind wie die Zugfahrt selbst. Aber wofür steht das Bild der vollgemüllten Gleise in Los Angeles?

Angriff auf Verteilungsprinzip

Es kann sein, dass Kriminelle einfach leichte Beute entdeckt haben und diesen Umstand auf organisierte Weise ausnutzen, wie der Geschäftsführer von Union Pacific vermutet. Es kann aber auch sein, dass sich die Hilflosigkeit jener zeigt, die angesichts des sich monopolisierenden Tech-Kapitalismus weiter an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden.

Es kann sein, dass sich eine Warenverkehrsform, die immer absurder wird, selbst erledigt, weil sie nur auf Basis gesteigerter Ausbeutung funktionieren kann und somit langfristig ihre eigenen Grundlagen zerstört, nämlich Menschen, die sie ausbeuten kann.

Das Bild der vollgemüllten Gleise wäre dann ein sehr grundsätzliches: das eines Angriffs auf ein Verteilungsprinzip, in dem Reichtum von vielen produziert, aber von wenigen angeeignet wird.

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Volkan Agar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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5 Kommentare

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  • Das könnte man im Sinne der "Autonomia" als "proletarischen Einkauf" bezeichnen.

    de.wikipedia.org/wiki/Autonomia

    • @Jim Hawkins:

      P.S.: Ihren Link könnte ich érst jetzt lesen ... sehr symphatisch, diese Autonomia-Bewegung in Italien, wieder einmal eine Bildungslücke geschlossen. Dankeschön.



      Der Ansatz erinnert mich ein bisschen an die Anarcho-Syndikalisten ... ich glaube, Mühsam, Toller, Landauer oder später Souchy hätten sich sehr gefreut, wenn sie diese proletarische Bewegung noch hätten erleben dürfen.



      Ich bin sowieso der Meinung, dass kein noch so sozialistischer Staat, keine kommunistische oder sozialdemokratische Partei den Entrechteten helfen kann - oft ist in der Geschichte sogar genau das Gegenteil passiert -, wenn den Leuten nicht wenigstens selbst ein Licht im Oberstübchen aufgeht.



      Oder wie Bloch es formulierte: das Essen der Früchte vom Baum der Erkenntnis führt zwangsläufig zur Vertreibung aus dem Paradies (auch aus dem Arbeiter- und Bauernparadies, wie ich hinzufügen möchte) ... die Schlange als Larve der Bernunft!

      • @Abdurchdiemitte:

        Ja, da war ganz schön was los. Auf Demonstrationen wurde gerufen:

        "Agnelli (Chef von Fiat), Vietnam, das ist in deiner Fabrik".

        Und durch wilde Streiks wurden Lohnerhöhungen von 20 Prozent durchgesetzt.

        Am Ende der Geschichte saßen allerdings tausende Genossinnen und Genossen im Knast.

        Und wo wir bei Bloch sind, so kam es eben nicht zu dem hier:

        "Die Wurzel der Geschichte ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat."

    • @Jim Hawkins:

      Einverstanden ... dann sollten nur gleich an den Gleisen Container für die direkte Entsorgung des Verpackungsmülls aufgestellt werden. Und konsequenterweise sollte für die Kosten der Müllbeseitigung und des anschließenden Recyclings dann Amazon herangezogen werden, da das Unternehmen ja zu den größten Profiteuren der Coronakrise zählt.

  • Richtig gesehen, die (internet-)Revolution frisst ihre Kinder. Und wo ist die Lösung: Bezos enteignen, jedem Obdachlosen eine Amazon-Aktie und dann mal schauen, wie lange die noch was wert sind?