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Geplante Klima-SofortmaßnahmenKlimaschutz in Windeseile

Der Ausbau von Wind und Solaranlagen, der Wegfall der EEG-Umlage: Wirtschaftsminister Habeck will schon bald wichtige Gesetze auf den Weg bringen.

Ein Beruf in luftiger Höhe und mit Zukunft: Industriekletterer im Windpark Hohenselchow Foto: Paul Langrock

Berlin taz | Es waren stressige Tage im Bundeswirtschaftsministerium: Noch keine fünf Wochen ist der neue Minister Robert Habeck im Amt, weniger als vier sind es bei seinem Energiestaatssekretär Patrick Graichen, über wichtige Abteilungsleitungen wurde gerade erst entschieden. Trotzdem stellten Habeck und Graichen am Dienstag in Berlin bereits einen umfassenden Rückblick auf die bisherige und einen Ausblick auf die kommende Klimapolitik vor. Am 32-seitigen Papier, das sie dazu vorlegten, wurde bis kurz vor der Pressekonferenz noch gearbeitet. Das Thema, so die Botschaft dahinter, duldet keinerlei Aufschub.

Tatsächlich ist die Ausgangslage nicht gut: Die deutschen CO2-Emissionen sind 2021 nach dem coronabedingten Rückgang im Jahr 2020 wieder deutlich gestiegen. Der Neubau von Wind- und Solaranlagen ist trotz Zuwächsen noch immer weitaus geringer als in der Vergangenheit. Und ohne massive Maßnahmen wird auch das Klimaziel für 2030 deutlich verfehlt, zeigen Projektionen. „Wir starten nicht auf der Nulllinie, sondern mit einem gehörigen Rückstand“, kommentierte Habeck diese Bilanz der Vorgängerregierung. „Sie sehen, dass die Aufgabe groß ist – gigantisch groß.“

Darum soll jetzt auch gigantisch gegengesteuert werden. Und schnell: Ein erstes Gesetzespaket soll noch vor Ostern vom Kabinett beschlossen und bis zur Sommerpause von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden, kündigte Habeck an. Im Mittelpunkt steht dabei zum einen der stärkere Ausbau von Wind- und Sonnenstrom, mit dem der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch von zuletzt 43 Prozent bis 2030 auf 80 Prozent gesteigert werden soll – und zwar trotz wachsenden Strombedarfs durch den Umstieg auf Elektroautos und Wärmepumpen und die Umstellung auf elektrische Industrieprozesse. Dazu sollen die ausgeschriebenen Öko­strom­an­lagen für die nächsten Jahre stark angehoben werden.

Bei der Windkraft an Land soll der jährliche Zubau dadurch von zuletzt 2 Gigawatt auf 10 Gigawatt im Jahr 2027 gesteigert werden. Um das zu erreichen, müssten künftig 2 Prozent der Fläche Deutschlands für Windkraft zur Verfügung gestellt werden, bekräftigte Habeck. Bisher ist es etwa ein halbes Prozent. Dass das nicht ohne Gegenwind passieren wird, ist dem Minister klar. Schließlich höre er regelmäßig Aussagen wie: „Hier gehe ich immer mit Waldi spazieren, da soll kein Windrad hin.“ Er setzte aber zum einen auf Einsicht in die Notwendigkeit. „Solidarität heißt, was gemeinschaftlich als richtig erkannt wurde, dann auch mitzutragen.“ Zum anderen sollen Kommunen künftig finanziell stärker von Windrädern profitieren, um die regionale Akzeptanz zu steigern.

Konfliktpotenzial mit Bayern

Zu Konflikten könnte es auch mit einzelnen Bundesländern wie Bayern kommen, die den Ausbau von Windenergie durch große Mindestabstände zu Wohnhäusern behindern. Solche Regeln könnten „nicht länger bestehen bleiben“, kündigte Habeck an. Und um Genehmigungen zu erleichtern und Klagen zu erschweren, sollen erneuerbare Energien zudem per Gesetz künftig als öffentliches Interesse definiert werden.

Bei der Solarenergie soll der jährliche Zubau dem Papier zufolge von zuletzt 4 Gigawatt auf 20 Gigawatt im Jahr 2028 gesteigert werden. Erreicht werden soll das durch höhere Ausschreibungsmengen und gelockerte Vorgaben für Freiflächenanlagen sowie durch eine Pflicht zum Bau von Solaranlagen auf neuen Gewerbebauten. Auf bestehenden Gebäuden und Wohngebäuden soll der Anreiz zur Solarenergienutzung durch höhere Vergütung und verringerte Bürokratie erreicht werden, sagte Graichen.

Zweites wichtiges Projekt, das schon bis Ostern auf den Weg gebracht werden soll, ist die vollständige Abschaffung der sogenannten EEG-Umlage zum Beginn des Jahres 2023. Mit diesem im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) geregelten Aufschlag auf den Strompreis wird bisher der Ausbau der Ökostromanlagen in Deutschland finanziert. Künftig sollen die dafür nötigen Kosten aus den Einnahmen aus dem neu eingeführten CO2-Preis für Heizen und Verkehr beglichen werden. Die EEG-Umlage war schon zu Beginn dieses Jahres abgesenkt worden; mit 3,7 Cent pro Kilowattstunde macht sie bei Privathaushalten derzeit rund 15 Prozent des Strompreises aus.

So ambitioniert diese Pläne sein mögen: Sie bleiben deutlich hinter den 22 Eckpunkten zurück, die der heutige Staatssekretär Graichen noch vor einem halben Jahr als Programm für die ersten 100 Tage der neuen Bundesregierung vorgelegt hatte – damals noch als Direktor des Thinktanks Agora Energiewende. Die bezogen sich allerdings auch auf die Klimaschutzmaßnahmen in den Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft, über die das Wirtschaftsministerium trotz seines neuen Namenszusatzes „Klimaschutz“ natürlich nicht allein entscheiden kann.

Trotzdem legen Habeck und Graichen auch in diesen Bereichen klare Forderungen vor – etwa Maßnahmen für einen schnelleren Umstieg auf Elek­tro­mobilität und zur Steigerung der Verkehrsleistung der Bahn oder schärfere Energiestandards für Gebäude. Die zuständigen Ministerien sollen dazu innerhalb der nächsten vier Wochen eigene Vorschläge vorlegen, sagte Graichen.

Habecks Ziel, beim Klimaschutz die bisherigen Gegensätze zu überwinden, scheint unterdessen zumindest bei seinem ersten Aufschlag aufzugehen: Lob kam nicht nur von Umweltverbänden wie dem BUND, dessen Vorsitzender Olaf Bandt die Vorschläge mit den Worten kommentierte: „Es ist zu begrüßen, dass mit einer ehrlichen Analyse gestartet wurde und mit zügigen und großen Schritten nachgesteuert werden soll.“ Sondern auch von Wirtschaftslobbys wie dem Verband der Chemischen Industrie: „Es ist gut, dass die Bundesregierung mit dem Sofortprogramm jetzt die gewaltigen Bremsklötze beim Klimaschutz entfernen will“, erklärte deren Geschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Ob diese Einigkeit hält, bleibt abzuwarten.

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11 Kommentare

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  • Klingt alles super. Tatsächlich steigen die Strompreise gerade ins Unermessliche. Bei Neuverträgen (auch bei Grundversorgern) sind derzeit 50-70 Cent pro kWh neben fast 200 Euro Grundgebühr pro Jahr fällig. Das merkt erst derjenige, dessen bisheriger Anbieter pleite ist. Alle anderen meinen noch, dass der Wegfall der EEG-Umlage die Preise senken wird.

  • Mir fällt zu Habecks Plänen nur



    Heinrich Heine ein:



    "Franzosen und Russen gehört das Land,



    Das Meer gehört den Briten,



    Wir aber besitzen im Luftreich des Traums



    Die Herrschaft unbestritten."

    Wie lange dauerte nochmal der Bau des BER, der Elbphilharmonie, wie lange zieht sich schon die Sanierung der Kölner Oper hin,die Genehmigung von Tesla (immerhin ein Unternehmen der E-Mobilität) und dann soll innerhalb kürzester Zeit 80% der Energie aus erneuerbaren Quellen kommen, bei rasant steigenden Strombedarf !



    Dream on , Robert !

  • "Lob kam nicht nur von Umweltverbänden wie dem BUND, dessen Vorsitzender Olaf Bandt..."



    Vieleicht sollte man Hier noch erwähnen das mit Verena Graichen die stellvertretende Bundesvorsitzende des BUND die Ehefrau eines Staatsekretäres (Kellner) und Schwester des anderen Staatssekretäres (Graichen) ist. Da verwundert einen die zustimmung von seiten des BUND-Vorstandes nicht - eine echte Nachricht wäre es gewesen wenn substantielle Kritik vom BUND gekommen wäre. Ich bin gespannt ob die Basis des BUND den beschleunigten Ausbau der Windkraft und PV-FFA mit all ihren negativen ökologischen Auswirkungen mittragen möchte.



    Zu den Verwandschaftsverhältnissen im Wirtschaftsministerium hat ja her Pötter hier schon schön berichtet:



    taz.de/Wirtschafts...isterium/!5822657/

    • @niko:

      Sieht dann wohl nach Methode Scheuer aus.

  • Für alle die Interesse daran haben:

    Ich hab mir mal angeschaut woher die Idee für das sog. "Carbon Contracts for Difference" eigentlich kommen. Patrick Graichen, unter Habeck Staatssekretär kommt vom Think Tank Agora Environment. Dort scheint die Idee des CCFD bereits seit Längerem zu keimen. Und, sehr praktisch, just letzten September hat Agora Environment eine (so scheint es mir) fertige Analyse zur Implementierung von CCFD auf EU-Ebene geliefert. Nundenn. Schaut man, wer sich bei Agora Environment sonst so für CCFD interessieren konnte, bzw. dazu veröffentlicht hat, stößt man z.B. auf Herrn Dr. Matthias Deutsch oder Herrn Janek Seitz. Ersterer bekam seine Ausbildung an der Hertie-School-Of-Governance und hat danach länger als Unternehmensberater gearbeitet. Letzterer startete seine Karriere als - Unternehmensberater - bei Ernest&Young.

    Dies soll kein verschwörerisches Geraune sein - weder an der Personalie Graichen, noch an den Lebensläufen der genannten Personen ist irgendetwas Problematisches. Ich möchte hier nur mal darauf hinweisen, wes Geistes Kind die Ideen hinter diesem "CCFD"-Modell sind. Es handelt sich hier nicht um Leute, die aus der Umweltbewegung oder einem ähnlichen Kontext kommen. Die Leute, die diese Ideen schon vor Monaten fertig in der Schublade hatten, kommen ursprünglich aus der Unternehmensberatung... und genau dergestalt sind diese Ideen dann auch. Gigantische Abschreibungs- und -noch dreister- Modernisierungsprogramme auf Kosten des Steuerzahlers.

    [...] , was ein solches "Erstattungsprogramm" eigentlich kosten soll... Herr Seitz z.B. hat eine Zahl: 30 Mrd.€/Jahr. Das wär doch eine Frage wert gewesen?!

    Quelle: www.agora-energiewende.de/

     

    Dieser Kommentar wurde gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette. Die Moderation

  • gemeint sind die geplanten "Carbon Contracts for Difference" - Paper S. 23.

  • Hab mir mal die Grundlage zu diesem Text - die BPK von gestern angeschaut. Da hat es mir fast die Beine weg gehauen. Weder einer der Journalisten vor Ort noch der vorliegende Artikel erwähnen den krassesten Punkt. Lieber Herr Kreutzfeldt, Herr Habeck spricht auf der Pressekonferenz an, wie der "Umbau der Industrieprozesse" von Statten gehen soll. Da wird davon gesprochen, dass der Bund, sollten sich "Mehrkosten durch neue Technologien ergeben", diese erstatten wird (und nur im Fall von niedrigeren Kostenstrukturen danach soll "ein Teil" davon wieder an den Bund zurück geführt werden). Das ist wörtlich. Wieso kommt niemand auf die Idee zu fragen, was ein solcher Blankoscheck eigentlich kostet?? -- Wenn es sich hier um eine sozial- und nicht um eine industriepolitische Maßnahme handeln würde, wäre das die allererste Frage! Ich denke, da werden horrende Summen auf die öffentliche Hand zu kommen - wenn diese, wie gesagt, die Rechnungen der Industrie "erstatten" darf. Wer erstattet mir eigentlich meine Rechnungen? Und wie kommen wir eigentlich dazu, der deutschen Industrie, die Jahrzehnte verdient hat wie wahnsinnig, den ökologischen Umbau ihrer Produktionsweise zu finanzieren? Ich seh' schon ein, dass der Umbau passieren muss - aber wieso muss ihn der Steuerzahler bezahlen? Mein Bus-Ticket, mein Fahrrad, etc. pp - wer erstattet da meine Rechnungen?

  • Guter Plan! Kommunen und Gemeinschaften müssen von Windrädern vor der Tür profitieren - nicht Konzerne!

    • @VivaHamburgo:

      Es wird -wie das immer der Fall ist- profitieren, wer das Kapital gibt. Seien Sie mal frph, wenn die angrenzende Kommune 2-3% einstreichen kann und damit ne neue Parkbank finanziert bekommt. Ich glaube nämlich nicht, dass der Bund sagen wird: LeiebeKommunen, baut Bürger-Wind-Parks - sollten sich dadurch Mehrkosten ergeben, wird der Bund diese erstatten - und nur im Fall, dass später kräftig verdient wird, könnt ihr einen Teil davon an den Bund rück-überweisen...

      • @Ein Mensch.:

        Genau das wird jedoch passieren, da es für den Ausbau keinen Unterschied macht, ob ein Investor kommunal ist oder genossenschaftlich oder nicht. Die Leute haben es durchaus in der Hand, was mit ihrem Geld geschieht, ob sie die EWS unterstützen oder RWE. Ich denke sogar, dass eher klamme Gemeinden als besonders förderwürdig gelten werden. Und in der Tat wird damit dann auch Geld verdient.

        Auf den ganz großen Zaster haben natürlich die wenigsten Zugriff – vielleicht aber Einfluss. Immerhin müssen ganze Industrien umgerüstet werden, bis hin zum Insourcing der Chip-Produktion, und alle brauchen sie nachher – Strom.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Hier der erste Entwurf für das Gute WiKra-Gesetz: - §1: Alle Arbeitslosen werden schwindelfrei gemacht und dann zu Windkraftmonteur:innen umgeschult. §2: Flugreisen wird drastisch eingeschränkt und wegen der sinkenden Nachfrage im Luftverkehr wird Airbus-Industries in HH verpflichtet, statt Flugzeug-Tragflächen Propeller-Blätter für WKAs zu bauen. §3: An der Elbchaussee in HH wird die H2-Regel eingeführt für den Abstand von Windrädern zur Wohnbebauung. §4: Auf LKW-Dächern werden Rotoren zur Pflicht, die durch den Fahrtwind Strom für den eigenen Elektroantrieb produzieren. Überschüssige Energie wird via Oberleitungen in das öffentliche Stromnetz eingespeist.