Auftakt der Vierschanzentournee: Unter Hochdruck im Regen
Der Weltcup-Führende Karl Geiger springt auf Platz fünf. Die Favoritenrolle auf den Gesamtsieg gibt er damit an Tagessieger Ryoyu Kobayashi weiter.
Als großer Favorit war er in seinem heimischen Stadion in die Vierschanzentournee gestartet. Schließlich durfte er das Gelbe Trikot des Führenden im Gesamtweltcup tragen. Fünfter war er letztlich nach den beiden Durchgängen. 6,1 Punkte, umgerechnet etwa 3,40 Meter, war Tagessieger Ryoyu Kobayashi besser. Der Japaner, im Winter 2018/2019 Gewinner der Tournee mit Siegen auf allen vier Schanzen, ist der große Gegenspieler des Allgäuers.
„Im ersten Moment war ich ein wenig enttäuscht“, bekannte Geiger kurz nach dem Springen. Doch mit der Zeit wich der Enttäuschung die Erkenntnis, dass er einen guten Wettkampf abgeliefert hatte. Denn die Verhältnisse waren alles andere als leicht. Dass es während des gesamten Wettkampfs mächtig regnete, war noch das kleinste Handicap.
Unsteter Wind
Aber der Wind drehte mehrmals. Keine leichte Aufgabe für die Jury. Die reagierte auf den 141-Meter-Flug von Kobayashi, indem sie den Balken direkt zunächst um eine Luke, direkt vor Geiger dann um zwei Luken nach unten versetzen ließ – um nach zwei Springern wieder zwei Luken nach oben zu gehen. „Dass immer wieder verkürzt wurde, hat mir gezeigt, dass der Wind ganz gut ist“, sagte Geiger. Weil ihm jedoch nicht der perfekte Sprung gelungen war, hatte er die guten Verhältnisse nicht optimal ausnutzen können. „Der Sprung war gut, aber er war nicht so gut, wie ich es kann“, sagte er zu seiner Leistung.
Bundestrainer Stefan Horngacher wollte in diesem Punkt seinem Vorspringer nicht widersprechen. Deshalb ging er nicht weiter auf die sprungtechnischen Komponenten ein, sondern wandte sich den menschlichen zu. „Er war schon sehr unter Strom heute“, erzählte er hinterher in einer kleinen Medienrunde. Auch Geiger hatte zuvor zugegeben: „Die Spannung war doch ein wenig höher als gedacht.“
Wie hat sich das bei dem Springer, der als ruhiger und mental starker Springer gilt, geäußert? „Hippelig ist der Karl nie“, beschrieb Horngacher Geigers Charakter, „er ist dann eher ruhiger, wirkt eher konzentrierter.“ Ähnlich habe er den Allgäuer schon erlebt, aber so extrem noch nicht. „Man hat gesehen, dass es für ihn eine schwierige Situation war“, sagte er, um nach einer kurzen Pause anzufügen: „Aber die hat er gut gemeistert.“
Doch was hat Karl Geiger ausgerechnet bei diesem Wettkampf am 29. Dezember 2021 so gestresst? Schließlich lagen bei der Heim-Weltmeisterschaft im Februar auch schon alle Hoffnungen auf den schmalen Schultern des 1,85 Meter langen Schlaks. „Mit dem gelben Trikot ist Karl noch nie auf seine Heimschanze angereist“, nennt Horngacher als Grund.
Gelber Ballast
Dieses Stück Stoff, von dem Geiger sagt, dass es ihm gut stehe, mache definitiv mit seinem Träger etwas. „Wenn du als Letzter oben sitzt und siehst, wie die anderen springen und du weißt, dass du einen guten Sprung machen musst, weil du sonst weg bist.“ Dieser Druck löse etwas Besonderes aus. Aber Horngacher lobt sogleich: „Karl hat das gut gelöst gekriegt.“
Der große Druck ist jetzt erst einmal weg von Karl Geiger. Der liegt nun bei Ryoyu Kobayashi. Das gefällt Coach Horngacher. Der, um diesen zu erhöhen, sagt: „Kobayashi ist der Top-Favorit.“ Doch auch der 25-jährige Japaner ruht in sich. Wie Geiger vor einem Jahr musste auch der 1,73 Meter große Flugästhet wegen eines positiven Coronatests in Quarantäne.
Doch diese brachte ihn weder physisch noch psychisch aus der Balance, wie seine Siege danach in Klingenthal und Engelberg bewiesen haben. Und der zum Tourneeauftakt in Oberstdorf. Doch Sorgen macht sich Bundestrainer Horngacher deswegen keine. „Man sieht, dass er gut springt“, sagt er, „aber Karl kann ihn auch schlagen.“ In Engelberg und mit einem besseren ersten Sprung auf seiner Heimschanze.
Für die folgenden drei Wettbewerbe hat Horngacher eine besondere Devise ausgegeben. „Primär liegt der Fokus nicht darauf, auf Sieg zu springen“, sagt er, „sondern der Fokus liegt darauf, keine großen Fehler zu machen und Sprünge im 95-Prozent-Bereich abzuliefern.“ Doch ob das reicht?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!