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Stille Nacht im WohnheimGefährliche weiße Weihnachten

Viele Austauschstudierende, ausländische Arbeitskräfte, Geflüchtete oder Alleinstehende werden an den Feiertagen allein sein. Das hat auch Vorteile.

Ein echtes Zweihnachtswunder Foto: Panthermedia/imago images

A ls ich zum Studium von Marokko nach Tübingen gezogen bin, hatte ich noch viel privat mit Deutschdeutschen zu tun. So mit Freundschaften und gemeinsam kochen und ins Theater gehen.

In Tübingen war ich dank eines Stipendiums zusammen mit 51 weißen Stu­di­en­an­fän­ge­r*in­nen in einem Programm für universitäre Allgemeinbildung eingeschrieben: ein Jahr kreuz und quer studieren, worauf man Bock hatte. Ich fühlte mich dabei manchmal wie in der Nafri-Version von Kevin allein zu Haus.

Kurz vor meiner ersten Weihnachtszeit als Student fragten mich meine weißen Kommiliton*innen, wie ich denn ins ferne Afrika komme, um dort mit meiner Familie zu feiern. Auf meine Antwort, dass ich die weite Reise aus finanziellen Gründen nicht antreten könne, reagierten viele emotional: Eine Studentin war den Tränen nahe bei dem Gedanken, dass ich die Feiertage alleine verbringen müsse. Für eine performativ-christliche Einladung in eine Alman-Familie hat es aber nicht gereicht.

Ich habe mich neulich an diese Zeit erinnert, weil viele Austauschstudierende, ausländische Arbeitskräfte, Geflüchtete oder Alleinstehende in den kommenden Tagen wieder einsam sein werden. Schauen Sie mal nach ihnen oder bringen Sie eine Schachtel (gute!) Pralinen vorbei. Mit Mitleid müssen Sie aber nicht nerven.

Endlich alle weg

Ich habe mich damals gefreut, dass alle finally weg waren. Endlich konnte ich mich von der klassistischen Wucht des deutschen Hochschulwesens erholen und von der unangenehmen Atmosphäre, von Tübinger Grünen-Wähler*innen umgeben zu sein. Keine rassistischen Nebensätze in Seminaren, niemand kommentierte meinen „pechschwarzen Haarhelm“, keiner konnte mit mir über meine persönliche Haltung zum Islam reden. Schön.

Dann kam sie wirklich, die stille Nacht, und ich war ganz alleine. Obwohl meine Mutter diese Zeit mit Nafri-Akzent hartnäckig immer „Zweihnachten“ nannte. Im Wohnheim war ich am 24. der letzte Verbliebene. Ich liebte es, endlich etwas zu kochen, ohne irgendeinem reichen Alman-Kind eine Extraportion zubereiten zu müssen, damit für mich auch etwas übrig bleiben würde.

Am Abend hörte ich ein Röcheln. Der griesgrämige Ehemann der Hausmeisterin stand im Treppenhaus mit einem riesigen Fleischermesser bewaffnet. Ich stand an der Treppe im zweiten Stock, er war schon in den ersten Stock geschlichen. Er habe aus seiner Wohnung im Erdgeschoss Geräusche gehört und sei sich sicher gewesen: Einbrecher!

Er stellte mir Fragen, um zu überprüfen, dass ich wirklich Student war. Seine Frau bestätigte ihm, dass ich der Mohamed aus dem zweiten Stock sei, ich hatte mit ihr in den ersten Monaten gebonded, weil wir beide die Hygiene­probleme der privilegierten Akademikerkinder unerträglich fanden. Ein „Aktenzeichen XY Xmas-Edition“ blieb uns so erspart. Ein echtes Zweihnachtswunder.

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Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
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2 Kommentare

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  • Was ist "gebonded"?

    • @Ano Nym:

      > Was ist "gebonded"?

      Das ist, wenn man sich persönlich kennenlernt, und eine entsprechende Bindung aufbaut.

      Dass mehrsprachige Leute solches Denglisch in ihre Sprache einfließen lassen, ist nicht ungewöhnlich, da Englisch als Lingua Franca oftmals das Zwischenstück, sozusagen das Schmiermittel zwischen der Muttersprache und dem Deutschen ist.

      Ich selbst bin deutscher Muttersprachler, und erlebe es aber auch bei mir; vermutlich, weil ich mich auch viel in englischsprachigen Communities herumtreibe.

      (Ha! Eben gerade wieder!)

      Ohne sowas bewerten zu wollen, meine ich aber, dass es einfach ein unvermeidlicher Effekt von Multikulturalität ist.