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Digitalausschuss-Chefin über Telegram„Wir werden Druck machen“

Grünen-Politikerin Tabea Rößner über den Umgang mit Hetze auf Telegram und die Pläne der Ampelkoalition im Bereich Digitalisierung.

Tabea Rößner sitzt seit 2009 im Bundestag Foto: Andreas Arnold/dpa/picture alliance
Tanja Tricarico
Interview von Tanja Tricarico

taz: Frau Rößner, die Bundesregierung entdeckt Telegram als Hort der Demokratiefeinde und will nun dagegen vorgehen. Wie gefährlich ist Telegram?

Tabea Rößner: Der Messengerdienst als solcher ist nicht gefährlich. Aber er wird auch genutzt, um eine große Verbreitung von rechtswidrigen Inhalten zu erwirken. Das hat Auswirkungen auf den Meinungsbildungsprozess.

Muss der Gesetzgeber gegen den Messengerdienst vorgehen?

Bei Telegram geht es nicht mehr nur um eine 1-zu-1-Kommunikation, sondern der Dienst wird über seine öffentlichen Gruppen als Massenverbreitungsinstrument genutzt. Man muss daher prüfen, ob Messengerdienste wie Telegram damit unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz fallen. Darüber gab es in der Vergangenheit unterschiedliche Auffassungen. Ich denke, wenn ein Messengerdienst solche Reichweiten erzielt, unterliegt er natürlich den Pflichten des NetzDG.

Telegram ist ein Kommunikationskanal. Wie wollen Sie zwischen Alltagschat und strafrechtlich relevanten Inhalten filtern?

Telegram wird auch in der alltäglichen Kommunikation genutzt und nicht nur, um Hass und Hetze zu verbreiten. Aber: Die Verbreitung von Inhalten über öffentlich zugängliche Gruppen ist hier ein Thema. In erster Linie müssen die Strafverfolgungsbehörden aktiv werden, wenn strafrechtlich relevante Inhalte verbreitet werden. Wenn sich die Betreiber aber nicht für Bußgeldbescheide interessieren – wie hier bei Telegram mit Sitz in Dubai –, müssen auch andere Maßnahmen greifen. Zum Beispiel kann man die Betreiber von Smartphones verpflichten, solche Apps nicht anzubieten. Aber das darf nur das letzte Mittel sein. Wir wollen die Meinungsfreiheit nicht einschränken. Das ist ein ­schmaler Grat.

Es ist nicht das erste Mal, dass Telegram als Ort für kriminelle Machenschaften, für digitale Gewalt auffällt. Auch die Aufrufe von Rechtsextremen, von Querdenker:innen, von Ter­ro­ris­t:in­nen werden in offenen Gruppen verbreitet. Trotzdem scheinen Behörden und Ent­schei­de­r:in­nen überrascht. Warum?

Die Regulierung solcher Dienste wurde bisher sehr kritisch gesehen. Das Netz ist ein öffentlicher Raum. Für diesen Raum gibt es Regeln. Bei aller Vorsicht vor Überregulierung: Die Anbieter solcher Plattformen müssen sich daran halten. Aber wir benötigen eine bessere technische und personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden. Sie brauchen die richtigen Instrumente, um gegen strafbare Inhalte vorzugehen. Und man muss den Druck auf nicht kooperierende Dienste insgesamt erhöhen.

Davon ist bisher wenig die Rede. Statt dessen wird auf EU-Richtlinien gehofft.

Wir brauchen auch Instrumente, um den europäischen Rechtsrahmen zu harmonisieren. Das passiert derzeit über neue Gesetze für digitale Märkte und digitale Dienste auf EU-Ebene. Aber es muss auch die Möglichkeit geben, dass nationale Gesetze umgesetzt werden. In Deutschland geht es dabei vor allem um Inhalte, die volksverhetzend sind.

Im Interview: Tabea Rößner

Grünenpolitikerin, ist seit 2009 im Bundestag und nun die neue Vorsitzende des Digital­ausschusses.

In der vergangenen Woche wurde eine der größten Sicherheitslücken bei einer Open-Source-Anwendung bekannt. Hat Sie das überrascht?

Nein. Es gibt wahnsinnig viele Angriffe derzeit unterschiedlichster Art. Dass es eine Open-Source-Anwendung betrifft, ist aber etwas Besonderes, da Schwachstellen durch den offenen Zugang in der Regel eher entdeckt und behoben werden.

Ist Open Source ein Risiko?

Alle Anwendungen bergen Risiken in sich. Viele Anwendungen, die nicht Open Source waren, wurden genauso gehackt. Bei Open Source arbeiten viele Menschen zusammen an Anwendungen. Sie werden gemeinsam entwickelt, Lücken werden entdeckt und sie können auch wieder schnell geschlossen werden. Das ist der Vorteil bei Open Source. Allerdings sind Sicherheitschecks und Qualitätskontrollen hier nicht institutionalisiert, das passiert meist in Eigenregie ohne große Ressourcen dahinter – von einigen Spendern mal abgesehen.

Und jetzt?

Die Sicherheitslücken müssen sobald wie möglich geschlossen und Daten gesichert werden. Zudem muss die 2-Faktor-Authentifizierung gestärkt werden. Leider müssen Nut­ze­r:in­nen und Unternehmen immer noch darin bestärkt werden, sichere Passwörter zu verwenden. Dafür muss es ein stärkeres Bewusstsein geben.

Das ist doch seit Jahren die Forderung – und nur wenig ist passiert.

Die Digitalisierung bringt viele Vorteile. Aber sie muss auch sicher sein. Wir müssen Support, Updates, die Wartung von Geräten immer mitdenken. Das ist in der Vergangenheit zu wenig passiert. Und wir wollen Open Source stärken, um Entwicklung, Instandhaltung und Sicherheit dieser Anwendungen professioneller aufstellen.

Digitalisierung ist eines der wichtigsten Themen im Koalitionsvertrag. Themen und Fachbereiche sind zerfasert und nicht gebündelt. Blockiert das nicht die Umsetzung?

Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe. Wenn nur ein Ministerium zuständig wäre, wäre das der falsche Weg. Alle Bereiche müssen sich fit machen. Die Verwaltung, der Gesundheitsbereich, die Behörden. Es geht um IT-Sicherheit, um Datenschutz, um technisch gute Anwendungen. Dafür gibt es jetzt ein besseres Verständnis. Das war in der alten Bundesregierung nicht der Fall.

Sie sind Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag. Was steht ganz oben auf Ihrer Agenda?

Wir müssen den Ausbau der digitalen Infrastruktur schnell auf den Weg bringen. Wir brauchen Glasfaser in der Fläche und keine Zwischentechnologien. Das Geld dafür ist da. Problem sind die Antragsverfahren. Die müssen einfacher werden. Neben IT-Sicherheit steht für mich der digitale Verbraucherschutz, die Nachhaltigkeit von Zukunftstechnologien sowie die Sicherung eines freiheitlichen Meinungsbildungsprozesses auf der Agenda. Dass der neue Bundesdigitalminister Volker Wissing auch im Namen des Ministeriums die Digitalisierung vorne anstellt, ist ein gutes Zeichen. Im Ausschuss werden wir ihm Druck machen, dass die Pläne aus dem Koalitionsvertrag auch umgesetzt werden.

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10 Kommentare

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  • "ob Messengerdienste wie Telegram damit unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz fallen"

    Hier ist erst mal zu klären warum deutsches Recht für Firmen gelten sollte, die nun halt keine Geschäftsbeziehung mit Deutschland haben. Totale Hybris. Deutsches Recht gilt nun einmal nicht weltweit.

    ---

    "Ist Open Source ein Risiko?"

    a.) die "Lücke" hat nix mit OpenSource zu tun, sondern mit einer Architektur von Business-Software die in diesem Bereich üblich ist



    b.) Die Lücke ist eine gewollte Funktion, aber viele Anwender haben sich damit halt nicht befasst, das es diese Funktion gibt



    c.) Schuld sind wenn überhaupt die Unternehmen die solche Komponenten um Geld und Zeit zu sparen ungeprüft einfach übernehmen --> Im Zweifel müsste man Mitarbeiter halt schulen bevor diese solche Komponenten einbauen

    • @danny schneider:

      Endverbrauchern in Deutschland eine Software bzw. Dienstleistung anzubieten würde ich nicht als "keine Geschäftsbeziehung" bezeichnen. Auch Microsoft (Browser-Streit) oder Google (Wettbewerbsverzerrung) müssen sich ja an deutsches bzw. EU-Recht halten obwohl sie ihren Sitz im Ausland haben.

      • @Ingo Bernable:

        "Auch Microsoft (Browser-Streit) oder Google (Wettbewerbsverzerrung) müssen sich ja an deutsches bzw. EU-Recht halten obwohl sie ihren Sitz im Ausland haben."

        Microsoft hat hierzulande einen Standort und betreibt hier auch Server. Außerdem betreibt Microsoft nachweislich Handel mit und in der EU.

      • @Ingo Bernable:

        "Endverbrauchern in Deutschland eine Software bzw. Dienstleistung anzubieten würde ich nicht als "keine Geschäftsbeziehung" bezeichnen."

        Wer eine Dienstleistung allen auf der Welt anbietet unterliegt, nur weil das User Interface in Deutsch übersetzt ist und nur weil das Netz hierzulande noch nicht zensiert ist, noch lange nicht deutschem Recht.

        • @danny schneider:

          Wenn das so sein sollte, sollte man das dringend ändern. Ein Produkt das den deutschen Markt in voller Breite addressiert sollte auch die hier geltenden Gesetze einhalten, allein schon um einen fairen Wettbewerb mit den lokalen Entwickler*innen zu gewährleisten.



          Bei Mordaufrufen, Holocaustleugnung und NS-Propaganda nachträglich eine Löschung und Strafverfolgung zu ermöglichen ist weder Zensur noch eine unverhältnismäßige Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern notwendig um ein friedliches Gemeinwesen zu ermöglichen und eine logische Konsequenz die man aus der deutschen NS-Vergangenheit ziehen muss.

          • @Ingo Bernable:

            Frage: wenn ich ein Programm mit englischer GUI schreibe, welches Gesetz gilt dann für mich? Oder bei Spanisch?

            Ganz einfach: es gilt immer nur das Land des Firmensitzes

            Und wer sagt das z.B. Telegram auf den deutschen Markt zielt? Es könnte auch die Deutschschweiz oder Österreich sein.

            Es gibt übrigens auch eine deutschsprachige Minderheit in den USA (war zur Zeiten vom WWII ~30%, heute weniger). Für die sind all die bösen Dinge die unser GG verbietet zu 100% legal. Auch auf Deutsch geäußert.

            Am deutschen Wesen muss die Welt nicht genesen.

            • @danny schneider:

              "Am deutschen Wesen muss die Welt nicht genesen."



              Mein Argument war, das bei einer Software die innerhalb einer deutschen Zielgruppe als Massenmedium die Verbreitung Mordaufrufen, Holocaustleugnung und NS-Propaganda fungiert Strafverfolgung möglich sein muss und sie unterstellen mir deshalb Nationalismus und Deutschtümelei?!? Auf eine Auseinandersetzung auf diesem Niveau lasse ich mich nicht ein.

  • Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

  • Wie dumm kann man sein ?



    Glaubt denn von den Polits ernsthaft jemand, das Problem liesse sich durch Telegram-Bashing lösen ?



    Wie blauäugig ist dass denn ?



    Selbst wenn Telegram mitspielt können die Gerichte wohl kaum so schnell ihre Anordnungen erlassen wie auf Telegram gehetzt wird - denn in jedem Einzelfall ist eine richterliche Anordnung erforderlich.



    Oder wollen sie das ändern, liebe Frau Rößner ?



    Vielleicht in Richtung vorrauseilende Behördliche Anordnung ?



    Das wird spannend!

    Aber mal Spaß beiseite:



    Wenn es nicht augenblicklich gelingt das Bürgervertrauen zurück zu gewinnen wird die Politik binnen kürzester Zeit zur Gänze haldlungsunfähig.



    Erste Auswirkungen sehen wir schon, denn offenbar ist man nicht mehr in der Lage die dringend erforderliche Impfpflicht durchzusetzen.

    Und das wirklich Schlimme daran ist: Die Regierung hat gewechselt - die neuen Köpfe aber offenbar ähnlich fähig und kompetent wie die alten.

  • Die Grünen, wein würdiger Ersatz für die CSU.