piwik no script img

Antroposophie und das ImpfenDer Zweifel wächst trotz Wissen

Unter An­thro­po­so­ph:in­nen gibt es viel Skepsis gegenüber den Corona-Impfungen. Aber gilt das auch für anthroposophische Ärzt:innen?

Goetheanum in Dornach in der Schweiz, monumentaler Entwurf von Rudolf Steiner Foto: Petr Svarc/UIG/imago

Eine Gruppe, die in der Debatte über das Impfen besonders in den Fokus rückt, sind die anthroposophischen Ärzt:innen. Die Medizin ist neben der Pädagogik und der Landwirtschaft eines der drei Hauptgebiete, mit denen sich An­thro­po­so­ph:in­nen beschäftigen. In offiziellen Statements sprechen sich die jeweiligen Institutionen für die Corona-Impfung aus. Die Gesellschaft An­thro­po­sophischer Ärzte Deutschlands (GAÄD) etwa schreibt auf ihrer Webseite, sie „begrüßt die Impfmöglichkeit gegen Covid-19“.

Für die Interna­tio­nale Vereinigung anthroposophischer Ärztegesellschaften und die Medizinische Sektion am Goe­thea­num, dem institutionellen Zentrum der An­thro­po­so­ph:innen, „ist eine Impfung gegen Sars-CoV-2 ein wichtiges Element zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie“.

Dabei fällt zunächst auf, dass hier weder zum Impfen aufgerufen wird noch genau genommen eine Impfung empfohlen wird. Auch auf Nachfrage bei der GAÄD, ob sie sich den Corona-Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission anschließt, wird lediglich noch einmal darauf verwiesen, dass man die Impfung gegen das Corona­virus „begrüße“.

Der Journalist Oliver Rautenberg, der sich seit vielen Jahren intensiv mit Anthroposophie auseinandersetzt und den für den Grimme-Preis nominierten An­thro­po­so­phie-Blog betreibt, hält solche Aussagen für Feigenblätter. Dem offiziellen „ja“ der anthroposophischen Me­di­zi­ne­r:in­nen folge in der Regel ein „aber“.

Um diese Nuancen in der Kommunikation zu erkennen, muss man etwas weiter ausholen. Georg Soldner, stellvertretender Leiter der medizinischen Sektion am Goetheanum, schreibt in einem Beitrag aus dem März 2021 Folgendes zur Corona-­Impfung: „Entscheidend ist, dass schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle sehr viel seltener werden. Diese Hoffnung ist für Geimpfte, vor allem ältere Erwachsene, zunächst begründet.“ Allerdings wisse man nicht, wie lange der Schutz anhält, so Soldner. Gegenüber mutierten Viren könne der Schutz schwächer sein. „Ökologisch gesehen übt die I­mpfung selbst Druck auf das Virus aus, zu mutieren.“

Mögliche Nebenwirkungen?

Rudolf Steiner Foto: imago

Dann kommt Soldner auf mögliche Nebenwirkungen zu sprechen: „Vektor- und mRNA-Impfstoffe erweisen sich als nicht so gut verträglich. Jüngere Menschen reagieren stärker auf die Impfung, mit Schmerzen, Abgeschlagenheit, Fieber“, schreibt er. Diese Impfreaktionen würden zwar im Allgemeinen nach einigen Tagen wieder verschwinden. „Wenn der Organismus allerdings schon geschwächt ist, können die Impfstoffe ihn auch nachhaltig erschüttern. Vor allem bei sehr alten, gebrechlichen Menschen raten Experten deshalb zur Vorsicht. Die Medizinische Sektion tritt dafür ein, dass man immer prüft, ob man für die Verarbeitung der Impfung ausreichend gesund ist.“

Nichts von dem, was Soldner schreibt, ist falsch, aber während er auf den Nutzen der Impfung kurz und allgemein eingeht, wird er bei den Risiken wortreich und konkret. Ins Verhältnis werden Nutzen und Risiken überhaupt nicht gestellt. „Der Subtext ist immer ein zweifelnder“, sagt der Journalist Rautenberg. „Man wisse nicht genau, ob das was bringt, man wisse nicht genau, ob das sicher ist. Und dann wird auf die individuelle Entscheidung verwiesen. Die Klientel hört diesen Unterton.“

Dennoch ist auch das Bild einer durch und durch impfskeptischen Szene, wie es in den vergangenen Wochen in einigen Medien verbreitet wurde, nicht ganz zutreffend. Es gibt anthroposophische Ärzt:innen, die es durchaus ernst meinen mit der Corona-Impfung und die dafür werben. Das anthroposophische Krankenhaus Havelhöhe hat es in der Region Berlin-Brandenburg in den vergangenen Wochen zu einiger Bekanntheit gebracht. Nicht nur weil hier jeden Tag gegen Corona geimpft wird, sondern auch weil die Organisation funktioniert. Anders als in den vom Land Berlin aufgebauten Impfzentren bekommt man in Havelhöhe auch kurzfristig einen Termin, etwa für eine Booster-Impfung.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Der anthroposophische Arzt Christoph Holtermann hat früher im Krankenhaus Havelhöhe gearbeitet. Aktuell schreibt er an seiner Dissertation. Anfang Dezember empfängt Holtermann zu einem Gespräch im Haus der anthroposophischen Hochschulgruppe Berlin, ein Altbaugebäude im Bezirk Steglitz. Holtermann – dreifach geimpft und getestet, was man auch ruhig schreiben dürfe – fragt als Erstes, wie man das Gespräch führen wolle. Mit oder ohne Maske? Wir entscheiden uns für Abstand und gegen Maske.

„Grundsätzlich würde ich jedem zur Corona-Impfung raten“, sagt Holtermann, der sehr bedacht und überlegt spricht. „Die Impfungen sind die zentralen Instrumente, die wir haben, um mit der Pandemie umzugehen. So schlicht ist es eigentlich.“ Man könne darüber diskutieren, welchen Impfstoff man nimmt, in welcher Reihenfolge, in welcher Kombination, sagt Holtermann. „Ganz allgemein gibt es jedoch nur sehr wenige Ausnahmen, eine Impfung abzulehnen.“ Selbst eine Impfpflicht will Holtermann heute nicht mehr ausschließen. „Wenn die Impfquoten nicht höher werden, würde ich mich auch dagegen nicht grundsätzlich wehren“, sagt er.

Holtermann hat zu Beginn der Pandemie auf Facebook zahlreiche Artikel geteilt, die sich gegen die Verharmlosung des Coronavirus gewandt haben. In letzter Zeit wirbt er dort auch fürs Impfen. Warum macht er das? Hat er das Gefühl, sein Umfeld ist besonders anfällig für Coronaverharmlosung und Impfskepsis? „Ich habe das in verschiedensten Kontexten erlebt“, sagt Holtermann und macht eine Pause. „Ich habe es auch in anthroposophischen Kontexten erlebt“, sagt er dann.

Ganz konkret hat Holtermann es in einer anthroposophischen Hausarztpraxis erlebt, in der er selbst bis zum Frühjahr 2021 gearbeitet hat. Auf der Webseite der Praxis steht auch heute noch zum Teil in Großbuchstaben und mit zwei Ausrufezeichen: „ZUR INFORMATION: WIR IMPFEN NICHT GEGEN COVID-19 mit den vorhandenen Vektorimpfungen bzw. mit den neuen mRNA-Impfstoffen!!“ Das habe zu Konflikten geführt, sagt Holtermann, mehr will er dazu nicht sagen.

Auch wenn die Indizien stark sind: Zahlen, die eine niedrigere Corona-Impfquote unter Menschen, die sich selbst als An­thro­po­so­ph:in­nen verstehen, belegen, gibt es nicht. Auch Holtermann ist diese These zu steil. Auf die Frage, ob nicht aber gerade anthroposophische Ärz­t:in­nen eine größere Verantwortung hätten, für das Impfen zu werben – eben weil es zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass ihre Klientel impfskeptisch ist – sagt Holtermann: „Ich finde das eine gute Anregung, sich da noch deutlicher zu positionieren, und ich finde, das sollte auch getan werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Meine Güte, ist das Goetheanum häßlich. Bauen können sie also auch nicht.

  • Der letzte Absatz ist aber nicht euer Ernst, oder? "Steile These", dass mehr Anthroposophiegläubige ungeimpft seien, es könne "nicht ausgeschlossen werden" dass sie "impfskeptisch" seien? Der Zusammenhang kann gut belegt werden, warum auch immer die übervorsichtige Wortakrobatik.

    Ich empfehle die Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zur Herkunft der Querdenker in BaWü. Die rekrutieren sich nämlich exakt aus jener anthroposophischen Szene.



    taz.de/Studie-zu-Q...in-BaWue/!5816872/

    Oder die vor Corona von Pia Lamberty durchgeführte Studie, die zeigt, dass Verschwörungsglauben (wie die Lehren von Rudolf Steiner) und Ablehnung von wirksamer Medizin wie Impfungen korrelieren.



    "Effects of Individual Differences in Conspiracy Mentality on Attitudes Toward Medical Approaches



    Pia Lamberty und Roland Imhoff"

  • „Ökologisch gesehen übt die I­mpfung selbst Druck auf das Virus aus, zu mutieren.“ - wenn man solch einen ausgemachten Schwachsinn schon liest, braucht man sich über alles weitere ja auch nicht mehr zu wundern...

    • @JaKr:

      Wieso, stimmt doch! Der Virus muss Möglichkeiten finden an der Impfung vorbeizukommen - siehe Omikron. Im Laufe der Zeit wir der Virus schwächer, weil wir irgendwann alle "durchseucht sind". Die Impfung verzögert den "natürlichen" Verlauf einer Pandemie - aus guten, humanistischen Gründen! Aber das Auslaufen der Pandemie zieht sich dadurch hin. Vielleicht doch mal weiter drüber na chdenken?

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Danke für die Einsicht in Teile des anthrophischen Weltbildes.



    Kenne selbst einige Anthroposophen, die sich trotz schwerer Krankheit und entsprechendem Risiko nicht impfen lassen. Sie werden bei einer Erkrankung mit Covid möglicherweise sterben ...



    Man kann es jetzt besser nachvollziehen, verstehen kann man es letztlich nicht.



    Vielleicht nehmen einige ja wenigstens Novavax. (Auch wenn hierbei stärkere Nebenwirkungen geben soll...)

    • @05867 (Profil gelöscht):

      "Auch wenn hierbei stärkere Nebenwirkungen geben soll..."

      Wird! diese Art von Impfstoffen funktioniert ohne Wirkverstärker nicht, und soweit ich es verstehe sind diese für die meisten Nebenwirkungen (nicht kurzfristige Impfreaktionen) verantwortlich.

      Aber tatsächlich kann es uns bis zu einem gewissen Grad egal sein. besser die lassen sich damit Impfen als gar nicht.

  • Vielen Dank für diesen Artikel, der sich etwas detaillierter zur aktuellen Debatte beiträgt (oder sollte man Shitstorm sagen?) und die Hintergründe beleuchtet. Einzig in der Bewertung von Worten wie "begrüssen" und "befürworten" würde ich einen tieferen Kontext öffnen. Ja, viele Menschen wünschen sich eine "unabhängigere" medizinische Begleitung. Ich kenne dies selber aus meiner eigenen Arbeit. Ich war Lehrer für Physiotherapie, leitender Physiotherapeut für Intensivstationen einer Klinik und habe dann jahrelang erfolgreich "fachmedizinisch" gearbeitet. Seit Mitte der 2000er praktiziere ich zudem Craniosacrale Therapie mit tiefen somatoemotionalen Prozessen. Grundsätzlich biete ich also Physiotherapie an. Ich kläre Patienten aber auch über weitere Verfahren wie Psychotherapie (nicht bei mir), Craniosacrale Therapie, Ergotherapie (wieder nicht bei mir) und und und an, wenn ich merke, dies könnte eine sinnvolle Ergänzung sein. Und letztendlich biete ich nur eine Hilfe an, die Entscheidung liegt bei der PatientIn.

  • Dass Bildung gegen Ideologie hilft ist leider allgemein eine Illusion. In den USA gab es eine Studie zu politischen Einstellungen. Die wurden bei steigender Bildung nicht moderater, sondern polarisierter.

    Je stärker die Fähigkeit, sich zu hinterfragen, desto komplexer und ideologischer die Argumentation für die eigenen Standpunkten.

    Und das finde ich besorgniserregend.

    (allerdings ist die Begrenzung der Studie möglicherweise, dass höher Gebildete faktisch falsche Standpunkte nur mit einem höheren Maß an Ideologie aufrechterhalten können — und ich weiß nicht mehr genug Details, um zu wissen, ob sie das ausschließen konnten)

  • Muss man solchen Pseudowissenschaften hier auch noch eine Bühne geben? Schlimm genug das unsere Politik das aus wirtschaftlichen Interessen protegiert.

    So, ich geh mal meine Erdkraftsteine mit dem Orgongenerator aufladen.