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Neoliberalismus der Jungen LiberalenSie verstehen es nicht

Die FDP-Jugend muss begreifen, dass der Neoliberalismus den Menschen die Hoffnung nimmt. Er ist Ideologie und Praxis der Wettbewerbsverzerrung.

Jens Teutrine, Mitglied des Deutschen Bundestages und Juli-Vorsitzender Foto: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Z u Beginn ihres Bundeskongresses am vergangenen Wochenende feiern sich die Jungen Liberalen. 23 Prozent der Erstwähler haben FDP gewählt. Über 4.000 Neumitglieder hat die Jugendorganisation der Liberalen im vergangenen Jahr dazugewonnen, immerhin fast ein Drittel von nun 14.000 Mitgliedern.

Noch-Vorsitzender Jens Teutrine lässt alle die Hand heben, die zum ersten Mal da sind. „Kuckt euch um, wie geil ist das?“ Ja, ist schon geil, muss man neidlos anerkennen.

Teutrine sieht mit Bart und T-Shirt nicht so aus, wie man sich den Vorsitzenden der Vorfeldorganisation der Partei von Christian Lindner vorstellt. Das Kind einer alleinerziehenden Mutter und ehemaliger Förderschüler hat sich hochgearbeitet. Ist also laut eigenem Selbstverständnis lebendes Beispiel der Idee, dass jede und jeder es schaffen kann.

Sympathisch macht Teutrine unter anderem, wie vehement er sich für Bildungsgerechtigkeit einsetzt. Die FDP müsse die Bildungspolitik revolutionieren und zur Chefsache machen. Herkunft dürfe nicht über Bildungschancen entscheiden.

Gesellschaftspolitisch progressiv

Die Jungliberalen sind für ein elternunabhängiges Bafög und die Einführung eines Bürgergelds. Kinder und Jugendliche, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sollen alles Geld behalten dürfen, das sie verdienen. Derzeit sei die Botschaft des Staats an Kinder von Menschen in Hartz IV noch: Wenn du etwas leisten willst, wirst du bestraft.

Auch sonst kann ein liberal denkender Mensch vieles von dem unterschreiben, was die Jungliberalen fordern. Legalisierung von Cannabis, Erleichterung für lesbische Paare, die Kinder haben wollen, und so weiter. Das gesellschaftspolitische Programm der Julis ist progressiv, an den individuellen Freiheiten orientiert.

Schon ein Jahr nach ihrer Gründung im Jahr 1980 hatten sich die Jungen Liberalen einer ökologischen Marktwirtschaft verschrieben. Lustigerweise forderten die Julis damals, das Verursacherprinzip konsequent anzuwenden, sowie Umweltbelastungen mittels Steuern und Lizenzen zu reduzieren.

Teutrine freut sich darüber, dass das Ampel-Team der FDP Steuererhöhungen verhindern konnte, klagt aber, dass man mittlere und niedrige Einkommen doch steuerlich entlasten wollte. Allerdings ohne umzuverteilen, weil das Sozialismus ist.

Strategischer Auftrag

Seinen Jungliberalen gibt Teutrine einen strategischen Auftrag auf den Weg. Wenn es bisher darum gegangen sei, bürgerrechtliche und gesellschaftspolitisch liberale Ideen voranzubringen, müsse beim Regieren ein besonderes Augenmerk auf die Marktwirtschaft gelegt werden.

Zu Recht macht er sich über die vielen Kommentatoren lustig, die sich fragten, was mit dem Teil von Deutschlands Jugend falsch gelaufen sei, der FDP gewählt hat. Teutrine erwähnt etwa die zur Erklärung herangezogene These, in der Schule würde den jungen Leuten halt ein neoliberales Weltbild vermittelt. „Wäre ja schön, wenn …“, kommentiert er das.

Hier liegt der Hund begraben. Die jungen Avantgardisten der Marktwirtschaft haben die Bücher von Wirtschaftshistorikern wie Thomas Piket­ty nicht gelesen, die zeigen, dass es der real­exis­tie­ren­de Neoliberalismus ist, der den Menschen jede Hoffnung nimmt, weil er Ideologie und Praxis der Wettbewerbsverzerrung ist und eine gigantische Umverteilungsmaschinerie in Gang gesetzt hat – von unten nach oben.

Die Julis scheinen auch nicht zu wissen, dass die US-Idee der Meritokratie durch Leute wie George W. Bush beerdigt wurde, als dieser etwa die traditionell hohen Erbschaftsteuersätze in den USA vehement nach unten korrigierte. Zum Wohl reicher Clans und zum Schaden all jener, die nicht über ein Erbschaftspolster verfügen.

All das ist keine „Raketenwissenschaft“, wie Teutrine sagen würde. Doch wenn die Jungen Liberalen eine Kraft der Zukunft sein wollen, müssen sie ein radikales Projekt angehen. Den Liberalismus selbstkritisch von seinen katastrophalen neoliberalen Verirrungen befreien. Es klingt nicht so, als ob sie ihren historischen Auftrag verstanden hätten.

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Ulrich Gutmair
Kulturredakteur
Kulturredakteur der taz. Hat Geschichte und Publizistik studiert. Aktuelles Buch: "'Wir sind die Türken von morgen'. Neue Welle, neues Deutschland". (Tropen/Klett-Cotta 2023).
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17 Kommentare

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  • @HUNKY DORY

    Ich schreibe Programme. Ich meine Computerprogramme, nicht Parteiprogramme.

  • Wenn man das Wort "liberal" durch das Wort "egoman" ersetzt, dann passen alle Thesen zusammen. Dann versteht man Herrn Lindner genausogut wie die Jungwähler der FDP.



    Das Universum mag unendlich sein - und der menschliche Geist ebenso - aber der Planet Erde - und der Mensch (bzw. das menschliche Leben) sind es nicht.

  • Schon interessant wie hier kommentiert wird..



    Und ja klar,wenn man sich auf der Seite der Gewinner der Systems befindet,oder auch nur glaubt dazu zu gehören,erscheint der Neoliberalismus als postives System.

    Daß der Neoliberalismus allerdings in erster Linie Monopole befördert, die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer spaltet, vor allem aber den Planeten als unendliche Ressource betrachtet, den man plündern darf bis der Artzt nicht mehr kommt,bleibt dabei außen.

    Metaphorisch bleibt es dabei, daß "Teufel stets auf den größten Haufen scheißt". Aber wenn man dabei gewinnt, dann ist alles Andere doch ein PAL (siehe: "per Anhalter durch die Galaxis").

  • Ich bin Mensch, ich lebe im Neoliberalismus und habe Hoffnung. Ergo täuscht sich zumindest der Autor und möglicherweise auch Herr Piketty.

    Ich habe weder geerbt, noch werde ich Erben, meine Eltern sind keine Akademiker und wie Herr Teutrine bin ich davon überzeugt, dass man sich durch eigene Leistung hoch arbeiten kann.

    Man muss sich dabei nur recht frühzeitig für das richtige Studienfach entscheiden.

    • @DiMa:

      "Man muss sich dabei nur recht frühzeitig für das richtige Studienfach entscheiden."

      Wahrscheinlich meinen Sie BWL.

      Und natürlich kann man sich mit der nötigen Bereitschaft, sich unterzuordnen und der Profitmaximierung zu dienen, im Rahmen dieser Bedingungen hochdienen. Am besten fängt man mit Tellerwaschen an.

      Dass Kinder aus prekären oder ähnlichen Verhältnissen signifikant wenig qualifizierte Schul- oder Berufsabschlüsse haben, scheint sowieso nur linke Propaganda gegen Hartz IV zu sein.

      • @Rolf B.:

        Die FDP ist die einzige Partei, die das Problem der mangelhaften Schulbildung ernsthaft angehen möchte.

        Übrigens, mein erster Job war bei McDonalds. Dort werden zwar keine Teller gewaschen, die Tätigkeit dürfte vom Ansehen her ähnlich sein.

        Sie erkennen ja selbst an, dass es möglich ist, sich hoch zu arbeiten. Man muss es halt nur wollen.

        • @DiMa:

          Und die es nicht schaffen, wollten es einfach nicht und sind selbst Schuld, oder was?

    • @DiMa:

      Ihr persönlicher Werdegang ändert aber nichts an der globalen ökonomischen Ungleichheit und den ökologischen Folgen des Neoliberalismus.

  • Wer in Lobbyorganisationen wie die FDP eintritt ist eh lost. Da hat die Bildung halt versagt.

  • Natürlich verbreiten die Schulen ein neoliberales Weltbild, unter anderem in dem die deutsche demokratische Republik dämonisiert wird.

  • Die FDP ist eine Werbeagentur.

    Neulich, auf einem baugerüstfüllendem Werbeplakat, das es zu einer gewissen Twitterbekanntschaft [1] brachte:

    "Manche sehen Nachhaltigkeit. Wir sehen unsere Verantwortung"

    "Und ich", so dachte ich zu mir, "ich sehe eine Werbekampagne für Sportschuhe". So ist es.

    [1] nitter.namazso.eu/....jpg%3Fname%3Dorig

    • @tomás zerolo:

      Herr Zerolo, verraten Sie mir, was Sie beruflich machen?

    • @tomás zerolo:

      Welche Ehre, wenn man seine Wohnung hinter einer Plane mit so großen Worten hat. Besser als Sonnenlicht!

  • Tja, ich habe die Betrachtungen von Piketty und anderen Protagonisten gelesen. Nur leider sind die wenig überzeugend. Kulturredakteure sollten sich vielleicht lieber mit Kultur beschäftigen, als die Frage nach der Funktionsfähigkeit von Wirtschaftssystemen beantworten zu wollen. Und vor allem sollten sie nicht links-grüne Kampfbegriffe zur Beschreibung von Wirtschaftssystemen nutzen. Neoliberalismus ist ein solcher Kampfbegriff, der in den Wirtschaftswissenschaften noch nicht mal als deskriptiver Begriff verwendet werden kann. Die soziale Marktwirtschaft, die von den Liberalen bevorzugt wird, ist das System, das funktioniert und eine Versorgung aller Menschen bestmöglich sicherstellt - im Gegensatz zu allen anderen Systemen, die bisher in dieser Richtung ausprobiert worden sind. Die Marktwirtschaft bietet auch die einzige Möglichkeit, den notwendigen Umbau des Wirtschaftssystems in einer angemessenen Geschwindigkeit zu bewältigen - das wird nämlich ohne die privaten Investitionen, die die staatlichen um den Faktor 10 übersteigen, nicht möglich sein. Die FDP und die Jungliberalen sind die einzigen politschen Kräfte in diesem Land, die dafür brauchbare Rezepte anbieten. Um mit den Worten des letzten Absatzes dieses merkwürdigen Artikels zu sprechen: wenn die jungen Liberalen eine Kraft der Zukunft sein wollen, dann sollten sie auf dem ordoliberalen Kurs auf jeden Fall verbleiben. Alles Andere wird nämlich nicht funktionieren, insbesondere nicht die etatistisch geprägten Ansätze von SPD und Grünen.

  • Es ist genau wie sie sagen. Der Neoliberalismus ist es, der die Welt dem Abgrund zutreibt und man muß allergrößte Skepsis haben ob das Ampel-Projekt zukunftsfähig ist, denn neue Techniken bedeuten neuen Resourcenverbrauch und das bedeutet fortgesetzte Zerstörung unserer Welt.

  • Es hat in der deutschen Politik und den meisten Medien nie eine qualifizierte Kritik am Neoliberalismus gegeben. Außer Sahra Wagenknecht gab es kaum PolitikerInnen, die sich auch auf wissenschaftlicher Ebene sehr kritisch mit dem Neoliberalismus auseinander gesetzt haben. Dabei ist der Neoliberalismus nach dem Faschismus die schlimmste Herrschaftsform des Kapitals und hätte eine deutlich kritischere Analyse der verheerenden Folgen für die Gesellschaft verdient. Folge des Neoliberalismus sind Individualisierung, Entsolidarisierung, Verarmung bestimmter Bevölkerungskreise, Privatisierung wichtiger staatlicher Aufgaben, z.B. Gesundheit und Pflege, Umverteilung von unten nach oben usw. usw.

    Dass viele junge Menschen ausgerechnet die Partei gewählt haben, die für ihre Zukunft wenig anzubieten hat, entspricht auch der total geschichtsvergessenen Haltung vieler junger Menschen. Das macht sie wieder anfällig für alte Feindbilder und deutscher Überheblichkeit.

  • "Den Liberalismus selbstkritisch von seinen katastrophalen neoliberalen Verirrungen befreien." Wie bitte? Wenn schon, wäre das Umgekehrte richtig. Der Neoliberalismus ist gerade die gezähmte Version des Liberalismus.