Neoliberalismus der Jungen Liberalen: Sie verstehen es nicht
Die FDP-Jugend muss begreifen, dass der Neoliberalismus den Menschen die Hoffnung nimmt. Er ist Ideologie und Praxis der Wettbewerbsverzerrung.
Z u Beginn ihres Bundeskongresses am vergangenen Wochenende feiern sich die Jungen Liberalen. 23 Prozent der Erstwähler haben FDP gewählt. Über 4.000 Neumitglieder hat die Jugendorganisation der Liberalen im vergangenen Jahr dazugewonnen, immerhin fast ein Drittel von nun 14.000 Mitgliedern.
Noch-Vorsitzender Jens Teutrine lässt alle die Hand heben, die zum ersten Mal da sind. „Kuckt euch um, wie geil ist das?“ Ja, ist schon geil, muss man neidlos anerkennen.
Teutrine sieht mit Bart und T-Shirt nicht so aus, wie man sich den Vorsitzenden der Vorfeldorganisation der Partei von Christian Lindner vorstellt. Das Kind einer alleinerziehenden Mutter und ehemaliger Förderschüler hat sich hochgearbeitet. Ist also laut eigenem Selbstverständnis lebendes Beispiel der Idee, dass jede und jeder es schaffen kann.
Sympathisch macht Teutrine unter anderem, wie vehement er sich für Bildungsgerechtigkeit einsetzt. Die FDP müsse die Bildungspolitik revolutionieren und zur Chefsache machen. Herkunft dürfe nicht über Bildungschancen entscheiden.
Gesellschaftspolitisch progressiv
Die Jungliberalen sind für ein elternunabhängiges Bafög und die Einführung eines Bürgergelds. Kinder und Jugendliche, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sollen alles Geld behalten dürfen, das sie verdienen. Derzeit sei die Botschaft des Staats an Kinder von Menschen in Hartz IV noch: Wenn du etwas leisten willst, wirst du bestraft.
Auch sonst kann ein liberal denkender Mensch vieles von dem unterschreiben, was die Jungliberalen fordern. Legalisierung von Cannabis, Erleichterung für lesbische Paare, die Kinder haben wollen, und so weiter. Das gesellschaftspolitische Programm der Julis ist progressiv, an den individuellen Freiheiten orientiert.
Schon ein Jahr nach ihrer Gründung im Jahr 1980 hatten sich die Jungen Liberalen einer ökologischen Marktwirtschaft verschrieben. Lustigerweise forderten die Julis damals, das Verursacherprinzip konsequent anzuwenden, sowie Umweltbelastungen mittels Steuern und Lizenzen zu reduzieren.
Teutrine freut sich darüber, dass das Ampel-Team der FDP Steuererhöhungen verhindern konnte, klagt aber, dass man mittlere und niedrige Einkommen doch steuerlich entlasten wollte. Allerdings ohne umzuverteilen, weil das Sozialismus ist.
Strategischer Auftrag
Seinen Jungliberalen gibt Teutrine einen strategischen Auftrag auf den Weg. Wenn es bisher darum gegangen sei, bürgerrechtliche und gesellschaftspolitisch liberale Ideen voranzubringen, müsse beim Regieren ein besonderes Augenmerk auf die Marktwirtschaft gelegt werden.
Zu Recht macht er sich über die vielen Kommentatoren lustig, die sich fragten, was mit dem Teil von Deutschlands Jugend falsch gelaufen sei, der FDP gewählt hat. Teutrine erwähnt etwa die zur Erklärung herangezogene These, in der Schule würde den jungen Leuten halt ein neoliberales Weltbild vermittelt. „Wäre ja schön, wenn …“, kommentiert er das.
Hier liegt der Hund begraben. Die jungen Avantgardisten der Marktwirtschaft haben die Bücher von Wirtschaftshistorikern wie Thomas Piketty nicht gelesen, die zeigen, dass es der realexistierende Neoliberalismus ist, der den Menschen jede Hoffnung nimmt, weil er Ideologie und Praxis der Wettbewerbsverzerrung ist und eine gigantische Umverteilungsmaschinerie in Gang gesetzt hat – von unten nach oben.
Die Julis scheinen auch nicht zu wissen, dass die US-Idee der Meritokratie durch Leute wie George W. Bush beerdigt wurde, als dieser etwa die traditionell hohen Erbschaftsteuersätze in den USA vehement nach unten korrigierte. Zum Wohl reicher Clans und zum Schaden all jener, die nicht über ein Erbschaftspolster verfügen.
All das ist keine „Raketenwissenschaft“, wie Teutrine sagen würde. Doch wenn die Jungen Liberalen eine Kraft der Zukunft sein wollen, müssen sie ein radikales Projekt angehen. Den Liberalismus selbstkritisch von seinen katastrophalen neoliberalen Verirrungen befreien. Es klingt nicht so, als ob sie ihren historischen Auftrag verstanden hätten.
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